Mit dem Fusion-Projekt Steps Ahead, das eigentlich angekündigt war, hatte der Auftritt von Mike Mainieri mit der WDR Big Band unter Leitung von Bob Mintzer zwar wenig zu tun, dennoch gab es an dem Konzert am Samstagabend in der Aula der Bonner Universität nichts zu mäkeln.
Von Dylan Cem Akalin
Sogar die Klangstruktur konnte sich diesmal sehen lassen. Die Tontechniker hatten sich alle Mühe gegeben, aus dem akustisch schwierigen Raum das Beste herauszuholen. Besonders schwierig ist dieser „Schuhkarton“ für den Gesang, aber selbst der spätere Auftritt von China Moses war durchaus passabel. Und wenn man sich an den trockenen Sound gewöhnt hatte, daran, dass der Schall wie mitten im Saal zu stoppen scheint, dann ließ sich das Konzert durchaus genießen.
Dass die WDR Big Band eine sichere Hausnummer ist, ist hinlänglich bekannt. Die Frage ist meistens dann doch, wie sich die Gastsolisten mit der Kraft der Kölner auseinandersetzen. Mike Mainieri ist ein feingeistiger, eher introvertierter Mensch mit einer beeindruckenden Lebensgeschichte und einer Musikerfahrung für die Musiklexika. Und Lucas Schmid, Manager und Produzent der WDR Big Band, ein Glücksfall. Wer Schmid hat, braucht keine Einführungsveranstaltung, die das Jazzfest Bonn an drei ausgewählten Abenden ja aus gutem Grund anbietet. Der Mann hat nicht nur eine wunderbare aus dem Radio bekannte Stimme, er kann auch mit wenigen Worten fabelhaft erzählen. Denn es ging wohl (mal wieder) auf seine Initiative zurück, dass das aktuelle Programm, das Mainieri mit den Kölner insgesamt dreimal performte, zustande kam.
Mike Mainieri, der Mann aus der Bronx
Denn das Step Ahead-Programm war im vergangenen Jahr bereits auf Reisen. „Mike ist einer, der sein Vibraphon kaum verlässt“, erzählte Schmid. Während der Pausen in den Proben habe der gebürtige New Yorker vor sich hin gespielt – Jazzstandards. Wieso?, habe er ihn gefragt. „Weil das das ist, was mich zurzeit am meisten beschäftigt“, sei die Antwort gewesen. Eine gedankliche Rückbesinnung auf seine aktiven 60 Jahre in der Musikszene. Schmids spontaner Vorschlag: „Dann lass es uns mit der Big Band umsetzen.“ Das musste er dem 1938 in der Bronx geborenen und aufgewachsenen Musiker wohl nicht zweimal anbieten.
Der Opener ist eine Komposition von Joe Zawinul für Cannonball Adderly. „Young and Fine“ gehörte später aber auch zum Repertoire von Weather Report, was schon zeigt, dass das Stück viel Raum atmet. Und es ist auch Teil von Mainieris Leben. Er spielte es mit Joe Henderson, mit seiner Fusionband Steps Ahead, aber es ist auch auf seinem Album „Smokin‘ in the Pit“ (1978) zu finden. Ein Stück, in dem die Melodie im Vordergrund steht und auf dem früher Michael Brecker stets sehr lyrisch sein Tenor spielte – so auch Paul Heller, dessen Stil dem vor zehn Jahren verstorbenen Brecker sehr nahe kommt. Das Stück bilde für ihn sowas wie einen Bogen nach New York, so Mainieri, der ganz offensichtlich ein New Yorker durch und durch ist. Dem Big Apple widmete er immerhin mal ein ganzes Album.
Zurückhalten von den Bläsern begleitet, beginnt Mainieris Solo auf „Django“ zunächst recht melancholisch, und es ist ein Paradebeispiel seines Straight Ahead-Jazz, wie er sich vom melodischen Teil immer weiter entfernt, um dann wieder zurück beim Thema zu landen und beginnt, geradezu zu swingen. Hans Vroomans greift das geradezu schlafwandlerisch auf und perlt beinahe wie Oscar Peterson.
John Coltranes „Giant Steps“ beginnt mit polyrhythmischem Klatschen als Steve Reich-Intro – gleichzeitig ein Hinweis auf Coltranes musikalisch-mathematischen Genius. Der Bass bleibt bei diesem Arrangement eher stoisch beim Hauptthema, die Bläser schießen bei Mainieris Solo immer wie Blitze hinein und ziehen sich dann bei John Marshalls wunderbarem Solo etwas zurück. Und dann nimmt erstmals Bob Mintzer sein Tenor zur Hand. Sein temporeiches Spiel lässt gleich Erinnerungen wach werden an sein Projekt „Twin Tenors“, auch mit Brecker, bei dem sie sich auch „Giant Steps“ vornahmen. Das Gesamtarrangement ist diesmal aber ehe wie ein Wellenbrecher aufgebaut, beeindruckend anders.
„Body and Soul“ war in den 1930er Jahren schon ein Jazzstandard, den Ella Fitzgerald so hinreißend gesungen und Coleman Hawkins so unendlich sanft gespielt hat. Folgerichtig spielt Bob Mintzer sein Solo so smooth, mit soviel Gefühl und einem sagenhaft warmen Sound, dass man geradezu dahin schmolz. Und die Bläser unterstützen ihn mit einem beinahe symphonischen, milden Klangteppich. Mainieris Solo ist eher Akkordbetont, die Querflöten stützen die Höhen – sehr romantisch. Mainieri erzählt, dass er bei dem Stück auch an den Saxophonisten Charlie Mariano denken müsse, mit dem er das Stück vor Jahren in Köln aufgeführt habe.
Olivier Peters und Mattis Cederberg
Überraschendes Arrangement von Miles Davis‘ „Move“ (aus „Birth oft he Cool“). Mintzer lässt die Big Band das Thema eher in einer kindlich-hüpfenden Freudigkeit spielen, was einen großartigen Reiz bildet zum rasant-flüssigen Altsaxophon von dem großartigen Olivier Peters, und auch Mike Mainieri zeigt sich diesmal von seiner ungestüm-virtuosen Seite und spielt mit zwei Klöppeln ein irre stürmisches Solo. Und dann setzt Mattis Cederberg auf der Tuba eine dröhnende Marke. Tuba-Solo? Das Horn ist markerschütternd, durchdringt alle Bläser – zum Applaus kommt nur eine Hand zum Gruß hinter dem gewaltigen Instrument. Überraschend ist auch der Schlussakt: Nach einem plötzlichen Break lässt Mintzer die Big Band in geradezu psychedelische Sphären eintauchen. Die Coda ist Ornette Colemans „Lonely Woman“ entnommen. Was für eine großartige Idee!
„Los Dos Lorettas“ ist nicht nur eine Hommage an seine Frau und seine Enkelin, die beide Loretta heißen. Auf früheren Aufnahmen spielte Mainieri das Stück wesentlich melodiöser als an diesem Abend. Er beginnt mit einer durchaus freien Assoziation und lässt dem Stück eine große meditative Wirkung, die Karolina Strassmayer mit der Querflöte glänzend weiterträgt.
„Copland“ ist eines der Postbop-Kompositionen, die Steps Ahead auf dem Album „Holding Together“ (2005) aufgenommen haben. Sehr rasant, rhythmisch an Thelonious Monk hinweisend, zudem Ruud Breuls ein fulminantes Trompetensolo spielte, das an den frühen Freddie Hubbard erinnerte. Mit der ruhigen Toots Thielemans-Nummer „Bluesette“ beendete die Truppe den wunderbaren Abend.