Der Bass steht oft wie ein fester Pflock, wie ein Totempfahl im Zentrum der Musik, um den das Tonreich von Tortoise tanzt. Und dieser fette Bass von Doug McCombs mit seinen oft sehr intensiven Melodien kommt in der Bonner Harmonie wunderbar zur Geltung. Der Sound der legendären Post-Rocker aus Chicago war hervorragend. Das etwa anderthalbstündige Konzert sowieso.
Der Bass als Mittelpunkt? Das klingt abwegig angesichts der Tatsache, dass Tortoise mit John McEntire, John Herndon und Dan Bitney über drei Drummer verfügen, jeder mit eigenen Stil- und Soundvorstellungen, und oft sind die beiden Drums auch doppelt besetzt. Und doch: Der Bass bildet den ausgleichenden Kräftepunkt der Musik, die immer wieder mit Klanggrenzen und rhythmischem Erfindungsreichtum überrascht. Da werden schon mal asiatisch anmutende Drumloops mit wuchtigen, bombastischen Schlagzeugausbrüchen begleitet, wobei Herndon der Mann für die spannenden Drumhöhepunkte ist. Das erinnert oft an das athletische Spiel eines Jason Bonham.
Immer wieder wechseln insbesondere die drei Drummer ihre Rolle, spielen an den Keyboards, am Bass oder dem Xylophon. Auffallend ist, dass die Songs live eine noch größere Dynamik entfalten, obwohl sich die Protagonisten sehr eng ans Drehbuch halten. „Ich versuche, die Dynamik zu erhöhen, aber mehr für mich selbst, und manchmal treiben wir uns gegenseitig an“, sagte mal Herndon dazu.
Und so klingt es manchmal, als würden ein experimenteller Drummer wie Charles Hayward mit dem Jazzer Elvin Jones und eben der Rocker Bonham sich eine musikalische Schlacht bieten. Das wirkt sehr originell und vielschichtig, vor allem wenn diese sehr nach 70er Jahre klingenden artifiziellen Keyboardmelodien sich ruhig über die rhythmischen Konstruktionen legen oder wenn Gitarrist Jeff Parker seinen Ornette Coleman auf fünf Saiten ins Spiel bringt.
Parker kommt ja auch aus der freien Improvisation und ist ein Virtuose, der minimalistische Einsätze schätzt. Nur selten lässt er seine flinke Fingerfertigkeit sehen. Da werden dissonante Linien zu Kinderliedartigen Umrissen, die sich magisch auflösen. Parker hat einen eher schmucklosen Zugang zur Melodieführung, das zur Grundidee von der offensichtlichen Zurückhaltung des Individuums gegenüber der Gruppendynamik passt, die Übernahme konventioneller musikalischer Führungsrollen gibt es bei Tortoise nicht, und dennoch schafft es die Gruppe, dass sich markante Orientierungspunkte entfalten.
Tortoise säumen die Schranken von Rock, Jazz, Improvisiereter Musik und Electronica und folgen ihrer eigenen Logik des musischen Storytellings. Das macht sie zu einer der ungewöhnlichsten Bands in der Szene. Den für Außenstehende schwierig nachzuvollziehenden Kreativprozess hat Doug McCombs versucht, im J&R-Interview zu erklären.
Es ist vielleicht eine radikale Form der demokratischen Gruppendynamik, dass ein Song so lange ausprobiert wird, bis er passt. Für das aktuelle Album “The Catastrophist” haben sie sieben Jahre gebraucht. Das Ergebnis wirkt dann aber, so wie live präsentiert, keinesfalls gezwungen. Im Gegenteil. Die Musik hat eine Art von kultiviertem Anarchismus, eine bedingungslose Hinwendung zur Musik. Die Musik ist die Wahrheit. Die Person tritt auf elegante Weise konsequent zurück. Die Widersprüche von Emotionalität und Kühle, von menschlichem Schöpfergeist und digitaler Grazie schmelzen zusammen.