Es ist ja gerade das Überraschungsmoment, was die Kraft des Jazz ausmacht, und der Reiz eines Livekonzerts, dabei zu sein, wenn aus der Freiheit des Künstlers etwas völlig Neues geschaffen wird. Die mehrfach ausgezeichnete Schlagzeugerin Terri Lyne Carrington präsentierte in der Kölner Philharmonie ihr Projekt „Money Jungle: provocative in blue“, das sie vor zwei Jahren auf einem Album festgehalten hatte – eine Fortführung des einzigartigen Konzeptes von Duke Ellington, Charles Mingus und Max Roach, völlig unterschiedlich orientierte Jazzmusiker aufeinanderprallen zu lassen. Das hatte vor 50 Jahren funktioniert, und das ist auch heute noch spannend.
Carrington geht das Live-Projekt in Köln mit einer außergewöhnlichen Besetzung an. Da ist erst mal Aaron Parks. Der 31-jährige Pianist, der auf einer Insel nördlich von Seattle aufwuchs und als Matheüberflieger schon mit 14 Jahren an der Uni in Washington State aufgenommen wurde, gilt in der jungen New Yorker Jazzszene als Leuchtkraft der improvisierten Musik.
Zach Brown kann mit seinen gerade mal 25 Jahren nicht nur auf eine beeindruckende Liste von Musikern schauen, die ihn als Bassisten verpflichteten, etwa Paquito D’Rivera, Lonnie Liston Smith oder Donald Harrison, er sahnte schon als Teenager jeden renommierten Jazzpreis für Nachwuchsmusiker ab. Und
Antonio Hart, 46, der schon für Dizzy Gillespie, Roy Hargrove und McCoy Tyner spielte, ist bekannt für seinen brillanten Alt-Saxophon-Sound, den er sich noch aus seiner klassischen Ausbildung bewahrte. Hart ist ein Musiker, der das Feuer in sich bewahrt. So cool er nach außen wirkt, sein Spiel ist ein einziges Statement. Jeder Ton ist eine Aussage. Geschwafel gibt es bei ihm nicht, und bei all der Energie, die er sich für seine Soli aufhebt, so kann er sich aber auch als empathischer Begleiter an der Querflöte zurücknehmen.
Was für ein Gegensatz zu Aaron Parks, ein eher introvertierter Künstler, der sich Zeit lässt, dann aber die Flügel ausbreitet und davon zu segeln scheint auf seinen imaginären Schwingen. Carrington, die auf ihrem Schlagwerk die wundersamsten Klänge und Rhythmen zaubert, hat immer die Zügel in der Hand, sie treibt ihre Musiker an, jagt sie zu Glanzleistungen oder lässt sie gleiten auf sanften Wogen.
Der Abend bietet zarte Momente der Anmut wie etwa bei „Fleurette Africain“, das sie ihrem kürzlich verstorbenen Mentor Clark Terry widmet, oder „Warm Valley“, das auf ihrem Album nicht zu finden ist, auf dem Parks seine lyrische Seite ausspielt, die irgendwo zwischen Eric Satie und Keith Jarrett liegt, es gibt irre Bluesvariationen („Backward Country Boy Blues“), tänzerische Momente, die an Chick Coreas Return To Forever erinnerten („Wig Wise“), schräge, bisweilen unbarmherzige Ausbrüche. Ihr Album ist nicht nur eine Verneigung vor der kreativen Kraft Duke Ellingtons und seiner Mitstreiter, es ist auch ein politisches Statement. Sie baut Ausschnitte von Reden von Martin Luther King, Jr., Bill Clinton, Barack Obama und anderen ein. Den Anfang macht ein Satz des investigativen Journalisten Michael Ruppert: „Du musst Probleme schaffen, um Profit zu machen.“ Das gilt jedenfalls nicht für dieses außergewöhnliche Quartett. Ein großartiger Abend.
(Cem Akalin)