Wenn die Tedeschi Trucks Band am Sonntag in Bochum nur einen Song gespielt hätte, dann hätte es „Shame“ sein müssen, der genügt hätte, das Talent der Truppe zum Ausdruck bringen und gleichzeitig das Publikum so zu beglücken, wie es nur möglich ist. Das Stück aus dem aktuellen Album „Sings“, in Überlänge präsentiert, hat alles, was eine Band für eine Liveperformance braucht: Seele, Virtuosität, eine Bandbreite an Emotionen bis hin zu Explosionen der Gitarrenkunst, eine hinreißende Leadstimme und ein harmonisches Spiel der Band. Ein atemberaubender Höhepunkt in einem glänzenden Konzert.
Von Dylan Cem Akalin
Die Tedeschi Trucks Band habe ich schon mehrmals gesehen, und die Band schafft es immer wieder, eine andere Seite zu zeigen. Sie war schon immer eine Art Supergruppe – mit Sängerin / Gitarristin Susan Tedeschi und dem Gitarristen Derek Trucks. Beide sind Stars für sich, Tedeschi für ihre Solokarriere und Trucks zunächst für sein bahnbrechendes Werk, um die Allman Brothers Band neu zu beleben, dann mit seiner eigenen Band. Auf der Bühne sind sie als Ehepaar die Chefs einer Großfamilie. Denn die Intimität, die das zwölfköpfige Ensemble trotz seiner Größe auf der Bühne immer wieder vermittelt, ist großartig.
Göttliche Gitarre
Und auch die Chemie zwischen den Eheleuten war an diesem Sonntagabend so großartig, wie ich es, glaube ich, noch nie so erlebt habe. Susan, in einem entzückenden schwarz-roten Kleid, wirkte manchmal wie ein verliebtes junges Mädchen, wiegte sich und tanzte wie auf einem Abschlussball. Immer wieder warf sie Trucks lächelnd Blicke zu, stupste ihn zärtlich am Ärmel. Trucks, in Jeans, kariertem Flanellhemd, die hüftlangen blonden Haare zu einem Zopf gebunden, stand, wie immer seitlich zu ihr gewandt, nur hin und wieder kehrte er sich mal um oder trat zum Bassisten oder Keyboarder, um sie zu Soli anzutreiben oder unmerkliche Anweisungen zu geben. Und sein Gitarrenspiel war an diesem Abend wieder mal göttlich, zuletzt hatte er sich etwas mehr zurückgenommen, sein erstes kurzen Slide-Solo spielte er schon beim Opener „Loving You“.
Susan Tedeschis Stimme
Susan Tedeschis Stimme, die ich schon mal als eine Mischung aus der Kraft einer Janis Joplin und der feinen, rauen Brillanz von Bonnie Raitt verglichen habe, war wieder auf den Punkt. Diese Frau alleine ist es schon Wert, für einen Abend von Bonn nach Bochum zu fahren. Ihre wenigen Soli an der Gitarre waren auf gläserne Weise spröde, sie spielte jede Note elegant, aber mit erlesener Härte aus.
Rotzige Posaune
Nach „Dont’t Let Me Slide“ kam mit dem dritten Stück schon die erste Ballade des Abends, und Trucks spielte auf „It‘s So Heavy“ sein erstes, sitarähnliches Solo. Mit einer rotzigen Posaune begann „High & Mighty“, der ein schönes Trompetensolo folgte. Der Song hat was von einer Zirkusnummer, die auch Lisa Minelli singen könnte. Lokomotivenryhthmen bestimmen „Down In The Flood“, das einzige Stück, bei dem Trucks zu Beginn mal seine SG gegen eine andere Gitarre wechselt. Mike Mattison singt den Song mit seiner tiefen, rauchigen Stimme, die am Ende von den gleitenden Linien der Gitarre unterlegt wird. Der Schluss wird zu einem frenetischen Ausbruch von Band und Gitarre.
Bei „Part of Me“ schaltet sich Backgroundsängerin Alecia Chakour mit einer kräftigen Gospelstimme ein. Gänsehaut pur!
Adieu, Kofi Burbridge
Tatsächlich muss ich sagen, dass ein Mann auf der Bühne gefehlt hat. Am späten Nachmittag des 15. Februar verstarb Kofi Burbridge in Washington DC. Er spielte von Anfang an in der Band die Keyboards und die Querflöte und brachte eine gewisse kultivierte Eleganz in die Musik. Er hatte wohl 2017 schon eine Notherzoperation und erlitt einen Rückfall seines Zustands. Die Band hat auf dieser Tour mit zwei neue Mitglieder. Bassist Brandon Boone trat Ende 2018 als ständiges Mitglied der Band bei, um Tim Lefebvre zu ersetzen, der zu anderen Projekten wechselte. Keyboarder Gabe Dixon wurde zunächst als Krankheitsvertretung eingestellt, ist jetzt aber festes Mitglied der Band. Und ja, der Mann ist fantastisch, vor allem an der Orgel lässt er Kaskaden von Sounds von der Bühne ausbrechen.
Der Rest der Band besteht neben Susan Tedeschi und Derek Trucks aus Tyler Greenwell (Schlagzeug / Percussion), JJ Johnson (Schlagzeug / Percussion), Mike Mattison (Gesang), Mark Rivers (Harmoniegesang), Alecia Chakour (Harmoniegesang), Kebbi Williams (Saxophon), Ephraim Owens (Trompete) und Elizabeth Lea (Posaune).
„Don’t Drift Away“ hat einen schönen virtuosen, intimen Augenblick, als das Paar mit goldenem Licht ins Zentrum gerückt wird. Tolles Solo, toller Song! Rockig und fetzig und einem Gitarrenduell des Ehepaares wird mit „Get What You Deserve“ das erste Set beendet.
Das zweite Set wird deutlich besser, auch der Sound ist nachreguliert worden. Es beginnt mit „They Don’t Shine“ und einem Solo von Susan an der Fender. „Key To The Highway“ steigert das Zusammenspiel von Trucks und Tedeschi. Bei der Ballade „When Will I Beginn“ steht Trucks zunächst links im Nebel verborgen, als die Bläser einsetzen, tritt er wieder zu Susan. Als er mit seinem unvergleichlichen Sound ins Solo einsteigt, ist es, als würde er die Luft um sie beide zerschneiden.
Allman-Klassiker „Statesboro Blues“
Den Allman-Klassiker „Statesboro Blues“ singt Susan mit reichlich Hall auf dem Mikrofon. Die Band (ohne Bläser) belässt das Stück als Retro-Bluesrock. Sehr soulig und rollend kommt „Signs“ rüber. Auf „Going Down Slow“ spielt Susan ein wirklich starkes Solo. Das Gesangsduett am Schluss geht unter die Haut.
Und dann „Shame“. Susan legt die Gitarre ab, ganz so als wolle sie sich gesanglich voll auf den Song konzenrieren. Die Gitarre von Trucks überschlägt sich, als er zu den Drummern zugewandt spielt, in den tiefen Lagen klingt er wie Zappa in seinen besten Jahren, Trucks dreht an der Stimmmechanik, lässt die Saiten tief scheppern, und dann reitet er los, der Sound bekommt mehr Hall und klngt zunächst als würde er von der Ferne rüberwehen, die Band robbt sich langsam an ihn heran, aber Trucks jagt weiter. Mitten im Stück erscheint es, als würde man seiner Sterblichkeit bewusst werden, so intensiv kommt die Band einem vor.
Als würde das nicht reichen, spielt Trucks ein langes Intro im Dunkel. Es klingt wie ein verlorenes Licht auf einer Nussschale mitten auf dem Mississippi – bis die ersten indischen Moods erklingen und das Saxofon zu einem Solo ansetzt, ebenso verloren, stockend, als müssten sich die Klänge ordnen und ihren Platz in einem Puzzle finden. Percussions klappern, diffuse Akkorde erklingen, und dann kommen die ersten drei Töne, aus denen das Publikum „Midnight in Harlem“ erkennt. Nach „I Want More“ (mit einem Ausflug in Santanas „Soul Sacrifice“) und der Zugabe „Let’s Go Get Stoned“ (Auch im Repertoire von Ray Charles und Joe Cocker), das klingt wie ein Hochzeitsmarsch, ist nach 135 Minuten Spielzeit Schluss. Großartig.
Setlist
Loving You
Dont’t Let Me Slide
It‘s So Heavy
High & Mighty
Down In The Flood
Part of Me
Don’t Drift Away
Get What You Deserve
Set 2
They Don’t Shine
Key To The Highway
When Will I Beginn
Statesboro Blues
Signs
Going Down Slow
Shame
Midnight in Harlem
I Want More
Encore
Let’s Go Get Stoned