Die merkwürdige Geschichte rund um den achtjährigen Schuljungen Gerald Bostock, die Ian Anderson 1972 mit Jethro Tull so unglaublich realitätsnah gesponnen hatte, hat der britische Flötist und Sänger 40 Jahre später weitergesponnen. Das Konzept, die Welt um einen fiktiven Helden bis ins letzte Detail so auszuschmücken, dass sie fast von der Realität überdeckt wird, hat jetzt der Berliner Multiinstrumentalist Lutz Meinert mit seiner Projektband Reflection Club aufgegriffen. Das Ergebnis ist erstaunlich und faszinierend – und überaus gelungen. Angelehnt an Jethro Tulls epochales Werk heißt es „Still Thick As A Brick“. Assoziationen an die britischen Progrock-Pioniere sind durchaus erwünscht.
Von Dylan Cem Akalin
Solche Alben haben uns schon in den 70er Jahren fasziniert. Die Ausstattung und Konzeption geht so sehr in Details, dass man sich stundenlang damit beschäftigen kann. Wir denken an Rick Wakemans Fabulierkunst und das Artwork von „The Six Wives of Henry VIII“, an „The Lamb Lies Down On Broadway“ von Genesis, an „Tales from Topographic Oceans“ von Yes oder „Tales of Mystery and Imagination of Edgar Allan Poe“ von The Alan Parsons Project. Man versank in der Musik und in den Details der Plattencovers.
„Still Thick As A Brick“ erscheint als „Mediabook“. Das Cover ist einer Musikzeitschrift nachempfunden. Sogar kleine fiktive Anzeigen sind in dem 72-seitigen „Rellington Stone“ platziert. Im Editorial („In eigener Sache“) werden die finanziellen Schwierigkeiten des Blattes erklärt. Das (ebenso fiktive) Plattenlabel Madvedge Records hat seine Unterstützung zugesagt, sodass es also zu dieser wunderbaren Veröffentlichung von Lutz Meinert im Rahmen einer Spezialausgabe des Fake-Magazins kommt, um das Blatt vor der Pleite zu retten. Backgroundinformationen über die Musiker, Songtexte, „Album Reviews“, ein Interview mit einem Martin Perkins von einem „legendären“ Musikstudio – das alles lässt sich nachlesen.
Die ganze Geschichte dreht sich indes um den „Finanzmogul“ George Boston. Schon der Name erinnert an Jethro Tulls Gerald Bostock. Wie dieser im Urfaust „Thick As A Brick“ hat auch in Meinerts Geschichte sein Held alle Texte vermeintlich verfasst.
Und weil das alles noch nicht genug ist, gibt es auch noch eine DVD, die mit Surround Sound das musikalische Werk grafisch aufarbeitet. Minutiös auf die Rhythmen angepasst, wird die Musik von Bildern begleitet, wie bei einer grandiosen Diaschau. Wer da noch nicht beeindruckt ist, der achte auf den hervorragenden Sound.
Dem orchestralen Intro schließt sich der erste Gesangspart von Paul Forrest an – und der klingt so sehr nach dem Ian Anderson der 70er Jahre, wie der Meister heute selbst nicht mehr. Das ist im ersten Moment irritierend, und man denkt unweigerlich an eine Tribute Band. Aber das Gesamtergebnis ist von einem Cover weit entfernt. Auch wenn Stil und Instrumentierung (mit der immer wieder leitenden Querflöte) sehr an Jethro Tull erinnern, schafft es die Band dennoch bei allen Parallelen ihr eigenes Ding durchzuziehen. Ein kleines musikalisches Thema, das immer wieder in verschiedenen Bearbeitungen auftaucht, bohrt sich am Ende derart ins Ohr, dass man sich den ganzen Tag dabei erwischt, es zu summen.
Der Instrumentalpart zwischen „Time Out“ und „Part 3: Years on the Fast Track“ ist ein fantastisches Stück Progressive Rock mit ausgedehnten melodischen Gitarrenparts von Nils Conrad, exzellentem Orgelspiel und kreativen Drums von Mastermind Meinert, dazu die Anderson-mäßigen Flötentöne von Ulla Harmuth.
Stilistisch orientieren sich Reflection Club ähnlich wie ihre Vorbilder an einem Artrock mit Hard-Rock-Strukturen und Folksprenkeln. Die Arrangements spielen mit Elementen aus Renaissance und Barock, Jazz und Psychedelic Rock. Streckenweise werden auch Erinnerungen an frühe Genesis oder Focus wach. Die Wechsel von elektronischen und akustischen Instrumentierungen, zwischen schweren rockigen und zarten Parts, die Liebe zu verspielten Strukturen und virtuosen Freiräumen zwischen komplexen Formationen, die immer wieder vom Leitthema aufgebrochen werden, machen das Album zu einem wunderbaren Ereignis. Man bekommt große Lust, es mal live zu erleben.
Meinert selbst sagt, er wollte nicht nur eine bloße Fortsetzung von „Thick As A Brick“ schaffen, sondern Jethro Tull aus jener Zeit der frühen 70er huldigen. Das ist ihm mehr als gelungen. Ob der Truppe bewusst ist, was für ein Glanzstück sie da hingelegt haben? Ich wüsste zu gerne was Ian Anderson selbst davon hält…
Info zum Produkt
Das Debütalbum „Still Thick As A Brick“ vom Progressive-Rock-Projekt REFLECTION CLUB mit deutschen, englischen und amerikanischen Musikern wird als aufwändiges 72- seitiges Mediabook mit CD und Surround-DVD inkl. Album-Video sowie auch auf Vinyl mit beiliegender CD, DVD und Musikmagazin in Zeitungsform veröffentlicht.