Spiral Drive beim Crossroads Festival 2024 in Bonn: Psychedelische Klanglandschaften zwischen Ekstase und Reflexion

Spiral Drive in der Harmonie 2024 FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Von Dylan Akalin

In den vielen Jahren, die ich schon das Crossroads Festival des Rockpalast in der Harmonie Bonn besuche, gab es nicht viele Bands, die mich derart beeindruckt haben wie Spiral Drive am Freitagabend. Nach dem Konzert verstehe ich, warum viele Kolleg*innen sie als eine der aufregendsten Bands im Bereich des modernen Psychedelic Rock bezeichnen. Tatsächlich kommt die Band live nochmal kraftvoller, experimentierfreudiger und spaciger rüber, als auf den Aufnahmen.

Die Setlist, die eine sorgfältig orchestrierte Mischung aus eigenen, teilweise noch unveröffentlichten  Kompositionen und einer überraschenden Coverversion ist, spiegelt den Stil und die Vielschichtigkeit der Band wider.

Spiral Drive in der Harmonie 2024 FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Schon das Intro, das mit sphärischen Synthesizer-Klängen und Electro-Rhythmen die Dunkelheit füllt, legt die Richtung für den Abend fest: Eine Reise in die Tiefen des Bewusstseins, gespickt mit Erinnerungen an die großen psychedelischen Rockpioniere der 60er und 70er Jahre. Spiral Drive vereinen gekonnt die spirituelle Offenheit von Pink Floyd und The Doors mit der treibenden Kraft des modernen Stoner Rock, wie man es von Bands wie Tame Impala oder King Gizzard & The Lizard Wizard kennt. Doch Spiral Drive sind mehr als nur eine Retro-Band. Sie haben eine einzigartige Art entwickelt, flirrende Melodien, hypnotische Rhythmen und den Sound der Gegenwart zu einer kunstvollen Fusion zu verweben.

Echoes eröffnet das Set – die Bandmitglieder sind alle mit dem Rücken zum Publikum zu Drummer Jan Calaveras-Haußels gekehrt, der die Felle wuchtig bearbeitet. Der Song reflektierte das, was die Band ausmacht: Fantastischer, raumfüllender Sound, Drive, Dynamik, Echowellen, die durch den Raum hallen und tranceartige Rhythmen. Die Klanglandschaften, die die Band hier kontinuierlich aufbaut, dabei jedoch nie in Hektik oder Unruhe verfällt, setzen ein deutliches Ausrufezeichen. Der Einsatz von Reverb und Delay erzeugt eine schwerelose Atmosphäre, die perfekt mit den satten Basslinien korrespondiert.

„Illusion“

Das Stück geht nahtlos in den zweiten Track, Illusion, über. Rotes Licht und Windgeräusche, ein stampfender Rhythmus und die Gitarre von Bandchef und Sänger Raphael Neikes, die sich leicht und gefährlich wie eine Rasierklinge durchs Publikum schneidet, bestimmen den ersten Teil einer komplexeren Reise. Die Basslinien von Arthur Darnhofer-Demàr bauen ein solides Fundament auf, während sich die Gitarre in spiralförmigen Gitarrensoli verliert, die von einer fast kosmischen Intensität zeugen. Die psychedelischen Klangteppiche, die sich zwischen verzerrten Gitarren und Synths auftürmen, wirken wie eine perfekte Hommage an das Genre, ohne jedoch in bloßer Nostalgie zu verharren. Hier zeigt sich, dass Spiral Drive nicht nur den Einfluss von Bands wie Hawkwind oder Neu! verinnerlicht haben, sondern auch Einflüsse des elektronischen Krautrock integrieren. „Srewed“ mit den schönen Akkorden von Marian Feistritzer im Intro könnte eine Psychedelic-Komposition von Lennon/McCartney sein.

Spiral Drive in der Harmonie 2024 FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Nach „Heatwace“, das eigentlich einen Moshpit provoziert, scheint Green Vanilla – eine der markantesten Eigenkompositionen, indes noch nicht veröffentlicht –wie ein Trip durch das Kaleidoskop der Farben und Formen zu sein. Der Song ist ein Paradebeispiel für die Fähigkeit der Band, eine Brücke zwischen nostalgischer Sehnsucht und futuristischen Klängen zu schlagen. Besonders der Rhythmus, der zwischen stoischen, beinahe minimalistischen Beats und plötzlich aufblühenden Melodiewechseln oszillierte, zog das Publikum in eine Art hypnotischen Tanz. Hier dominieren elektronische Sounds, atmosphärische Gitarrenriffs und ein schnelles Tempo und bilden einen Psychedelic Rock, der mich sehr stark an Hawkwind erinnert.

Beatles-Cover „Tomorrow Never Knows“

Ein unerwarteter Höhepunkt des Abends ist die Interpretation des Beatles-Klassikers Tomorrow Never Knows, die zunächst wie eine Hommage an The Doors startet. Beim Intro und der schönen Beckenarbeit, frage ich mich, ob Jan Calaveras-Haußels nicht aus dem Jazz kommt. Der Schlagwerker ist so vielfältig und hat neben den massiven Einsätzen seines Instruments auch viele sensible Eigenschaften. Spiral Drive gelingt es, dem Song neues Leben einzuhauchen, indem sie das repetitive, mantrahafte Grundmotiv des Originals in ein donnerndes Rockstück verwandelten. Mit wuchtigen Drums, einem merkwürdig entrückten Grundrauschen wie aus einem elektronischen Didgeridoo und einer Leadgitarre, die sich immer weiter in die Höhe schraubte, geben sie dem Stück eine psychedelische, fast apokalyptische Wucht, die den Geist von Revolver, dem ikonischen Beatles-Album, in die Gegenwart katapultiert.

Spiral Drive in der Harmonie 2024 FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Lines For Lives hätte stellenweise fast von den Foo Fighters sein können, Hypnotized wirkte schließlich wie der Höhepunkt der Reise – mit seiner Struktur, die an die unendliche Wiederholung eines Loops erinnerte, wie eine meditative Vertiefung in den Sound. Hier wurde erneut deutlich, dass die Band ihre Inspiration tief aus der Substanz der psychedelischen Rockgeschichte (die frühen Pink Floyd lassen schön grüßen) schöpft, ohne dabei in Plagiat oder bloßes Imitieren zu verfallen. Der Beat erzeugte den Antrieb, der sich beständig wie ein Puls durch das Set zog, während der Gesang eine Mischung aus entrückter Melancholie und hypnotischer Ruhe ausstrahlte. Apropos Gesang: Da kommen mir immer wieder Assoziationen zu Richard Patrick von Filter, es fehlen nur noch die ausgesprochen starken vokalen Ausbrüche – die den Stücken bisweilen auch guttun würden.

„Infinity“ beginnt zunächst wie das Intro zu „Billy Jean“ von Michael Jackson: Das Intro von „Billie Jean“ von Michael Jackson ist ikonisch und sofort wiedererkennbar. Es beginnt mit einem pulsierenden, synkopierten Bass-Rhythmus, der von einem gleichmäßigen Drumbeat begleitet wird. Der Bassline ist simpel, aber kraftvoll, und treibt den Song mit einem tiefen, wiederholenden Groove voran. Diese minimalistische Instrumentierung lässt viel Raum für Spannung und Vorfreude, bis Marian Feistritzer mit einem wunderschönen Solo einsetzt und Raphaël Neikes auf einer hellblauen Fender Rhythmen mit viel Echo in den Saal feuert. Der Dualismus zwischen der schwebenden Les Paul von Feistritzer und der kratzenden Fender von neikes schaffen im Verlauf der Nummer eine tolle Spannung.

„Space Train“

Bei „Ego Placebo“ räumt die Band nochmal richtig ab. Die Truppe geht auf’s Ganze. Gitarrenlinien, die sich durch fette Riffs bohren, die faszinierenden Sounds, die Keyboarder Andreas Wroblewski produziert. Die Nummer erinnert von der Intensität an Filter und Stone Temple Pilots. Sagenhaft.

Den Abschluss markierte schließlich Space Train, ein Titel, der nicht passender hätte sein können, um den Abend ausklingen zu lassen. Der Song steigerte sich in eine kosmische Ekstase, bei der die Band zu einem massiven, fast orchestralen Soundbild anwuchs. Mit jedem Takt, der das Ende des Stücks ankündigte, wuchs auch die Energie im Raum, bis der letzte Gitarrenton verhallte und das Publikum in einer Mischung aus Faszination und Erschöpfung zurückließ.

Spiral Drive demonstrieren an diesem Abend in der Harmonie Bonn, dass Psychedelic Rock nicht nur ein Relikt der Vergangenheit ist, sondern auch im 21. Jahrhundert lebendig und aufregend bleibt. Ihre Musik ist eine Hommage an die Tradition und gleichzeitig ein kühner Schritt nach vorne – eine klangliche Expedition, die das Publikum sowohl auf einer intellektuellen als auch auf einer emotionalen Ebene mitnimmt. Intensiv!

Spiral Drive in der Harmonie 2024 FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Setlist Spiral Drive in Bonn:

Intro
Echoes
Illusion
Screwed
Heatwave
Green Vanilla
Tomorrow Never Knows
Lines For Lives
Hypnotized
Infinity
Ego Placebo
Space Train

Spiral Drive in der Harmonie 2024 FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
Spiral Drive in der Harmonie 2024 FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
Spiral Drive in der Harmonie 2024 FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
Spiral Drive in der Harmonie 2024 FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
Spiral Drive in der Harmonie 2024 FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski