Mir geht es mit Bob Dylan wie ihm mit Bobby Vee von The Shadows. Ich muss nur irgendwo auf seinen Namen stoßen, und schon ist es, als stehe er neben mir. Und wenn ich eine beliebige Platte von ihm auflege, denke ich zurück: Es war ein langer Weg, es war ein langer und schmaler Weg. Du bist direkt neben mir/Aber du bist weit weg von zu Hause. Zum 80. Geburtstag von Bob Dylan.
Von Dylan Cem Akalin
Vielleicht verdanken wir es Mike Seeger, dass uns Bob Dylan all die Songs schenkte, dass er überhaupt anfing, eigene Songs zu schreiben. Der Folksänger sei einfach zu gut gewesen, schrieb Dylan in seinen „Chronicles“. Wenn man so gut sein wollte wie Mike Seeger, dachte er sich, musste man im Grunde er sein und kein anderer. Und so kam ihm der Gedanke, dass er vielleicht seine eigenen Songs schreiben musste, Songs die Mike nicht kannte. „Und dann wurde mir klar, dass das alles Neuland für mich war. Man öffnet die Tür zu einem dunklen Raum und glaubt, man weiß, was einen erwartet, wo alles steht, aber in Wirklichkeit weiß man gar nichts, bis man eintritt.“
So war das in den 1960er Jahren, man suchte nach Kreativität, nach Texten von Bedeutung und der Verlust von Kreativität, der mitunter mit dem Altern einherging, war eine Angst, die allgegenwärtig war. „Lass mich in meinen Fußstapfen sterben“, sang der junge Bob Dylan. Gut, dass das nicht geschah. Und nun feiert er seinen 80. Geburtstag.
Bob Dylan statt Robert Allyn
Bob Dylan wurde am 24. Mai 1941 in St. Mary’s Hospital in Duluth, Minnesota, als Robert Allen Zimmerman geboren und wuchs in Hibbing, Minnesota, auf. Man beschreibt den jungen Mann als höflich, aber nicht übermäßig freundlich. Im Mai 1960 brach Dylan das College am Ende seines ersten Jahres ab und reiste im Januar 1961 nach New York City, um sein Glück als Folksänger in den Clubs zu suchen. Eigentlich wollte er sich als Musiker Robert Allyn nennen. Dass daraus Bob Dylan wurde, hing mit den Gedichten des walisischen Dichters Dylan Thomas zusammen, die er damals gerade für sich entdeckt hatte.
Dylan hat wohl den Rat seiner Großmutter mütterlicherseits beherzigt, dass das Glück nicht irgendwo am Wegrand liege, sondern der Weg selbst sei das Glück. Seit 1988 befindet er sich auf seiner Never Ending Tour, hat mehr als 3000 Konzerte gegeben. Er ist rastlos, was ihm wohl im Blut liegt.
Vorfahren aus der Türkei
Seine Großmutter väterlicherseits beschreibt er als Lady von dunklem Typ, die Pfeife rauchte und mit einem grausigen Akzent sprach. Offenbar eine Frau, die das Leben von seiner schwersten Seite kennengelernt hatte. Sie war aus Süd-Russland nach Amerika eingewandert, kam aber ursprünglich aus der Türkei. Ihre Familie stammte aus Kagizman, einer türkischen Stadt in der Nähe der armenischen Grenze, und ihr Mädchenname war Kirghiz. Die Vorfahren kamen aus Konstantinopel. Von der Hafenstadt Trabzon aus hatte sie das Schwarze Meer überquert. Anna Kirghiz und Zigman Zimmerman wanderten nach den Pogromen von 1905 aus Odessa in die Vereinigten Staaten aus. Seine Großeltern mütterlicherseits, Florence und Ben Stone, waren litauische Juden, die 1902 in die Vereinigten Staaten kamen.
Dylan ist der „Künstler mit unzähligen Masken“, lese ich, der „Mann, der sich immer wieder neu erfand“. Davon abgesehen, dass ich mit solchen Floskeln nichts anfangen kann, ist es tatsächlich so? Oder ist er einfach ein Künstler, der sich immer weiterentwickelt hat? Gut, es gab Platten, auf denen der Blues dominierte, Jazz-Lounge-orientierte Aufnahmen, Funk, Jazz, Folk, Reggae, Pop und Rock, ja, das hat er alles absorbiert, hat vielleicht sogar vieles geprägt. Aber er war und ist ein Poet, der sich weder vereinnahmen noch festnageln lassen wollte. Er passte in keine Schublade, was ihm insbesondere die Musikkritik oft übelnahm. In seiner Biographie beschreibt er, wie er einmal beim Newport Folk Festival mit den Worten angekündigt wurde: „Und da ist er … greift zu. Er gehört euch!“ Was ihn verstörte. „Soweit ich wusste, gehörte ich damals niemandem – genauso wenig wie jetzt.“
Er wollte sein wie Picasso
Nein, dieser Mann wollte weder Wortführer noch Prophet sein. Alles, was ihn interessierte, war, sich fortzuentwickeln. Es nutzte nichts. Sein Haus in Woodstock wurde belagert, die Leute drangen auf sein Grundstück, kletterten aufs Hausdach, folgten ihm nach New York, hielten Mahnwachen vor dem Apartmenthaus. Dylan war auf der Flucht. Vor den aufdringlichen Fans, vor Musikerkolleginnen und –kollegen wie Joan Baez, die mit „Diamonds and Rust“ ihren Freund sogar in einem Song aufforderte, sich an den Demonstrationen zu beteiligen.
„Picasso war in die Welt der Kunst eingebrochen und hatte ihre Grenzen gesprengt. Er war ein Revolutionär. Ich wollte auch so werden“, schrieb er über seine jungen Jahre. Das bezog sich für ihn aber nur auf die Musik. Die Leute sahen Dylan allerdings als Protestsänger, weil einige Songs diesen Gedanken nahelegten. Für Dylan erzählten Folksongs die Wahrheit über das Leben, „und das Leben ist mehr oder weniger eine Lüge, aber andererseits wollen wir es genauso nicht anders haben. Wäre es anders, würden wir uns nicht wohl fühlen.“
Er wusste selbst, dass seine Folksongs nicht eingängig waren. Sollten sie auch nicht. Ebensowenig, wie sie heiter sein sollten. „Sie plätschern nicht sanft ans Ufer. Man kann durchaus sagen, dass sie nicht kommerziell waren. Und nicht nur das, mein Stil war auch zu unberechenbar und zu schwer einzuordnen fürs Radio, und Songs bedeuten für mich mehr als nur leichte Unterhaltung. Sie waren mein Leitstern und mein Reiseführer auf dem Weg zu einer anderen Wahrnehmung der Wirklichkeit, in ein anderes Land, ein befreites Land.“
1966 in der Royal Albert Hall
Unberechenbar zu sein, gehörte bald zum Konzept. Als er 1966 die E-Gitarre einsetzte und im legendären Konzert in der Londoner Royal Albert Hall das Publikum zuerst irritierte, dann verärgerte, hatte nichts damit zu tun, sich dem jugendlichen Publikum der aufkeimenden Beat-Generation anzubiedern. Im Gegenteil. Es ging ihm stets um seine persönliche, künstlerische Freiheit – und das Austesten von Grenzen. Wie reagierte das Publikum auf Country? Wie auf ein Album, basierend auf Tschechows Erzählungen? Wie auf „Pat Garrett jagt Billy the Kid“? Er wollte weder „Oberpopanz der Rebellion“ sein noch „Hohepriester des Protests“.
Der Mann mit den vielen Gesichtern. Vielleicht auch, weil sein Besuch bei Papst Johannes Paul II. 1997 viele verwirrte? Ein jüdischer Junge aus Hibbing, Minnesota, der 1979 zum Christentum konvertierte, besucht den Vatikan?
Oder weil er seinen Nobelpreis bei der Zeremonie 2016 nicht persönlich entgegennahm? Und stattdessen seine Freundin Patti Smith bat, ihn zu vertreten und „Hard Rain“ zu singen? Überraschte das tatsächlich? Nach seiner ersten Ehrendoktorwürde nahm Dylan nicht mehr gerne Preise und Ehrungen entgegen. Zu sehr verabscheute er es, vereinnahmt oder wieder als Fackelträger für welche Sache auch immer aufgestellt zu werden.
Forever Young
Dylan bleibt für mich zeit- und alterslos. Mit dem Alter hat er nie gehadert, auch wenn er in einem Lied wünschte, dass seine Freunde „für immer jung“ bleiben. Als sich seine Finger versteiften, gab er auf, den ganzen Abend Gitarre zu spielen und wechselte ans Klavier.
Schon auf „Freewheelin‘“ klang Dylan alt, krächzend und spröde – eine Stimme, die wohl der seines Helden Woody Guthrie nachempfunden war. Auf „Talkin‘ World War III Blues“ klingt er wie ein Prediger in Endzeitstimmung. Und „A Hard Rain’s a-Gonna Fall“ war die Prophezeiung einer Welt, in der einiges schiefgelaufen ist. Seine Stimme sollte sich im Laufe der Jahre immer wieder ändern. Die näselnde Stimme auf einigen Songs auf „Good As I Been To You“ irritiert tatsächlich manchmal.
Und seine Songs bieten Raum für Entdeckungen. „Songs sind wie Träume, die man wahrzumachen versucht. Sie sind wie fremde Länder, die man bereist“, schrieb er. Die Figuren in manchen seiner Songs wandeln wie durch fiebrige Träume, „sie hatten das Leben gesehen, sich eingemischt und Herzen gebrochen“. Der Mann schrieb die schönsten Liebeslieder und die berühmtesten Melodien, die von etlichen anderen Musikern neuinterpretiert wurden. Aber Dylan macht keinen Hehl draus, dass es harte Arbeit ist. „Man sieht die Songs nicht kommen und bittet sie zur Tür herein. So simpel ist das nicht. Man will Songs schreiben, die größer sind als das Leben. Man will berichten, was einem Seltsames zugestoßen ist, was man Seltsames gesehen hat. Man braucht Wissen und Verständnis und muss über die Alltagssprache hinauswachsen“, beschreibt er es selbst.
Über die Jahre haben Dylans Songs unsere privaten Erinnerungen geprägt und unsere Seelen überflutet, so wie er es selbst in „Precious Memories“ besingt. Oder in „Open the Door, Homer“: “’Take care of all your memories,’/Said my friend, Mick,/’For you cannot relive them.’”