So ist das neue Album von Tool „Fear Inoculum“

Tool by Travis Shinn

Die Klangschale des Zen erklingt, indische Tablas, ein meditativer Riff und irgendwann beginnt der Gesang. Auch ohne den hört man gleich, dass da Tool am Werke ist. Wie kommt’s? Weil sie die einzigen sind, die diese diffuse Melancholie über entrückten Rockriffs leben. Der Rhythmus bleibt beim Opener „Fear Inoculum“ fast konstant, dazu passt der seltsam morbide Text  über „ausgeatmete Seuchen“ und einen Betrüger, der davor warnt, das Licht von Anderen zu inhalieren. Lyrics aus der eingebildeten Zwischenwelt von Maynard James Keenan, Justin Chancellor, Adam Jones und Danny Carey. An diesem Freitag erscheint das Album endlich auf dem Markt. Wir haben schon reingehört.

Von Dylan Cem Akalin

Die größte Enttäuschung des Jahres?, fragt das amerikanische Magazin Guitar World immer kurz vor Weihnachten. Und seit 13 Jahren steht ganz oben auf der Liste, dass Tool schon wieder kein Album herausgebracht hat. Tool ist wohl die Rockband mit der verschworensten Fanbase überhaupt. Und sie wird weniger für irgendein Startum verehrt, als vielmehr ausschließlich für ihre ungemein tiefgehende Musikalität.

Das Warten hat sich gelohnt. Auf dem Album ist nicht ein enttäuschendes Stück. „Pneuma“ klingt wie eine an asiatischer Kultur orientierte Hommage an die alten Experimentalrocker Can. Diese wachsende Temposteigerung, der Spannungsbogen ist derart angezogen, als würden archaische Krieger sich in Trance trommeln, dazu die Gitarre, die so voluminös ist, als würde ein Frachtschiff angeschwebt kommen. Lyrics erinnern an Jon Anderson (Yes).

Rätselhaft rostig

„Invincible“ beginnt mit einer Reihe klarer Gitarrenarpeggios, die Percussions klingen so  metallisch-tönern wie von Hangs, der Bass groovt sich mit rätselhaft-rostigem Sound ein, die Gitarre sägt in langen Linien die Luft in Streifen. Der Gesang, typisch Tool, melodisch und eindringlich mit Silben, die wie aus der Twilight Zone verzerrt sind. Das Faszinierende an diesem für Tool so klassischen Stück ist, wie die einzelnen Strukturen wie sich gegeneinander bewegend zusammenkommen. Gerade als man meint, das Stück geht dem Ende zu, entfaltet es weitere Dimensionen mit Tribal-Drums, stampfenden Riffs, einer knöchernen Sologitarre und sardonischem Gesang mit der Aufforderung: „Fühle den Stich. Fühle die Zeit runter“. Mit unglaublich fetten Gitarren und Drums holt der Song zum letzten Stich aus.

Fernes Grollen, Wellen am Strand, von kontemplativem Bass und zarter Gitarre begleiteter Gesang. So beginnt „Descending“.  Es geht im freien Fall durch die Mitternacht, kopflos im Schlaf, ein Epilog eines Märchens. Dieses Stück bewegt sich textlich wie musikalisch zwischen Traum und Wirklichkeit, zwischen der Vorstellung von der eigenen Schwerelosigkeit und der Furcht vor der Grenzenlosigkeit der Menschen. Wieder dieser Spannungsbogen, der seinen Gipfel in einer rockigen, fast Wishbone Ash-artigen Gitarre findet. Sie ist melodiös und auf zurückhaltende Weise aggressiv mit leichten Bluesandeutungen, verfällt aber in ein zerbrechliches Sägen, wie der Abgesang eines Urtiers. Der Titel „Absteigend“ passt da tatsächlich gut. Und dann kommt doch noch „One drive to stay alive“, wie es da heißt, die Gitarre ist so präsent und ausdrucksstark wie eine Kirchenorgel in einer Kathedrale.

Psychopathische Innensicht

Leichte Folk-Marmorierungen sind im Gesang bei „Culling Voices“, und stellenweise erinnert es gar entfernt an Jethro Tull. Es gibt wohl kaum eine Band, die sich so empathisch in ein Seelenleben einfühlen kann wie Tool. Das Stück ist eine Innensicht einer  Person mit dissozialer  Persönlichkeitsstörung. Wir fühlen uns wie in einem großen schwarzen Raum ohne Anfang und ohne Ende, die Becken klingen unbestimmt, die Musik scheint wie aus allen Seiten auf einen zuzuströmen bis die Gitarre ganz nah an deinem Ohr ist und fetzt. Schreit. Das alles hört sich aber an, als würde die Kraft irgendwie zurückgehalten. Und so verklingen die Instrumente auch plötzlich wieder in einer unkörperlichen Ferne. Einfach nur irre.

Bei „Chocolate Chip Trip“ befinden wir uns im Inneren einer Maschine. Dissonante Töne zu industriellen  Rhythmen, die sich lösen und zu einem Drumgewitter entfalten, während die unstimmigen Töne weiterarbeiten wie am Fließband. Der erste Gong beschert uns nur langsam Erlösung.

Master of Metal

„7empest“ beginnt wieder mit einem Rhythmus wie aus Bali, wird aber von der Metalgitarre und der grölenden Warnung, Ruhe zu bewahren, verdrängt. Ein Sturm, der herbeibeschworen wird. Oh Mann, was für Gitarren, die brechen, die bersten, segeln, Riffs spalten, Linien zu Trapezen flechten, an denen wir schwerelos schwingen. Und dann explodiert die Struktur in tausend Teilchen, um wieder zu neuer Form zusammenzugleiten.

Tool gelten als die Intellektuellen des Metal, als Magister des Rock, die wohlüberlegte komplexe Songstrukturen schaffen, die aber dennoch so voller Magie sind. Mit dem neuen Album haben sie ihre Meisterschaft wieder einmal bewiesen.