So ist das neue Album von Beth Hart „You Still Got Me“ – und was sie selbst zu ihren neuen Songs sagt

Beth Hart FOTO: Greg Watermann

Von Dylan Akalin

Beth Hart zeigt in ihrem neuen Album „You Still Got Me“ eine weitere tiefe, emotionale und intime Seite ihrer Persönlichkeit – und sie stellt sich musikalisch breiter auf. Jeder Song ist ein Fenster zu den verschiedenen Facetten ihres Lebens und ihrer inneren Welt. Ein Hauptthema, das sich durchzieht, ist die Suche nach Trost, der im kreativen Prozess selbst liegt. Das Album ist jedenfalls wieder ein Ereignis, ein emotionales Erlebnis. Denn so mancher Song trifft die Hörer wie ein expressiver Faustschlag in den Solarplexus. Das Album erscheint an diesem Freitag, 25. September, am 18. November 2024 kann man Beth ab 20 Uhr in der LANXESS Arena in Köln live erleben.

„Savior With A Razor“

Es geht schon intensiv los mit „Savior With A Razor“, eine eindrucksvolle Mischung aus roher Emotionalität, musikalischer Kraft und düsterer Poesie, die Beth Harts unverwechselbare Art der musikalischen Selbstoffenbarung zum Ausdruck bringt. Dazu schreit die unverkennbare Gitarre von Slash als Gastmusiker. Der Titel selbst ist ein Paradoxon: Ein „Retter mit einem Rasiermesser“ deutet auf jemanden hin, der zwar Rettung verspricht, aber auch Gefahr in sich trägt – vielleicht sogar den Schmerz verstärkt. Es spiegelt den inneren Kampf wider, in dem die Grenze zwischen Erlösung und Zerstörung oft verschwimmt.

Musikalisch ist der Song von schweren, rauen Gitarrenriffs geprägt, die eine dunkle, bluesige Atmosphäre schaffen. Beth Harts eindringliche, soulige Stimme trägt den Text mit emotionaler Tiefe, und sie vermittelt den Schmerz, die Verzweiflung und die Hoffnungslosigkeit, die in den Zeilen mitschwingen. Es fühlt sich an, als würde sie über den Kampf um ihre eigene Rettung singen, während sie gleichzeitig das Messer in der Hand hält, das sowohl schaden als auch heilen könnte.

Schreiben aus dem Unbewussten

Beth Hart beschreibt im Gespräch mit J&R das Schreiben ihrer Songs nicht als geplanten, bewussten Akt, sondern als eine Art Selbstentdeckung. Sie betont, dass sie nicht mit der Absicht schreibt, eine Botschaft zu vermitteln. Vielmehr beschreibt sie das Songwriting als eine Form der Selbsttherapie, eine Reise ins Unbewusste. „Ich suche nach dem, was vielleicht hinter den Schichten der Zwiebel liegt“, sagt sie und spricht von den „Schichten der Selbstverleugnung“, die sie durch das Schreiben erforscht. Diese Offenheit gegenüber dem eigenen Unwissen lässt ihre Musik authentisch und berührend wirken.

Der Wandel der Bedeutung

Für Hart ist die Bedeutung eines Songs nie festgelegt. Sie sagt, dass sie beim Schreiben zwar oft eine Vorstellung davon hat, was ein Lied für sie bedeutet, aber dass sich diese Bedeutung im Laufe der Zeit verändert. Es ist, als ob die Songs ein Eigenleben führen und sich an die veränderten Lebensumstände anpassen. „Es ist, als ob Lieder ihre eigene Wandlung und Veränderung erfahren würden“, sagt sie. Dieser Prozess sei für sie faszinierend und verleihe den Liedern eine zeitlose Qualität, die sie mit ihren Hörern teilen möchte.

Apropos Slash: Bei „Suga N Mx Bowl“ spielt Eric Gales die Gitarre. Hart erzählt begeistert von diesen Kollaborationen und zeigt sich beeindruckt von deren Können. Eric Gales lobt sie als einen Künstler von außergewöhnlichem Talent, der es schafft, in nur einem Durchgang die Essenz eines Songs zu erfassen. Slash beschreibt sie als „echten Teamplayer“ ohne Ego, der dem Album eine neue Dimension verliehen hat. Diese hochkarätigen Zusammenarbeiten verleihen dem Album zusätzliche Tiefe und musikalische Vielfalt.

Die Seele in die Musik legen

Beth Hart geht mit voller Hingabe an das Schreiben heran. Sie betont, dass sie „alles geben muss“, denn nur wenn sie alles in die Musik steckt, kann sie etwas daraus gewinnen. Diese kompromisslose Leidenschaft zeigt sich in jedem Ton ihrer Lieder. Besonders deutlich wird das bei „Wonderful World“, einem Song, der ursprünglich ihrer Nichte Jade gewidmet war, aber im Laufe der Zeit eine tiefere Bedeutung für die gesamte weibliche Linie ihrer Familie angenommen hat. Hart beschreibt diesen Song als eine Feier des familiären Erbes und der Generationen, die vor ihr kamen – eine Hommage an die Frauen ihrer Familie, von der Urgroßmutter bis zur Tochter ihrer Nichte.

Geradezu jazzig geht es auf „Drunk on Vanlentine“ zu. Auf dem Song präsentiert sich Beth „soft as powder“, wie es in einer Zeile heißt. Es geht in diesem Song um Liebe, Sehnsucht und Exzess, wobei die Metapher des „betrunken Seins“ auf die berauschende und manchmal auch zerstörerische Wirkung von Liebe anspielt. Valentine, der Tag der Verliebten, wird in Harts Interpretation zu einem bittersüßen Symbol – einerseits für romantische Hingabe, andererseits für das Verlustgefühl, das oft mit solch intensiven Beziehungen einhergeht.

Im Text spricht Beth Hart über den Drang, sich der Liebe hinzugeben, trotz der Gefahren und der Selbstaufgabe, die damit einhergehen. Sie stellt sich dem emotionalen Rausch, der Euphorie und der schmerzhaften Ernüchterung, die oft folgen. Es ist eine Hommage an diese Art von Liebe, die berauscht, aber auch auslaugt – eine Liebe, die man feiert, auch wenn man weiß, dass sie einen letztlich zerreißen könnte.

Persönliche und schmerzhafte Themen

Eindrucksvoll ist auch der Song „Don’t Call The Police“, der von der Ermordung George Floyds inspiriert wurde. Hart beschreibt, wie sie von dem Video und den darauffolgenden Medienberichten tief betroffen war. „Ich war am Boden zerstört für uns alle“, sagt sie und spricht damit nicht nur das Leid der afroamerikanischen Gemeinschaft, sondern auch das kollektive Trauma der Gesellschaft an. Dieser Song steht für die soziale Relevanz, die Harts Musik immer wieder aufgreift.

Der Song „Wanna Be Big Bad Johnny Cash“ auf Beth Harts neuem Album ist eine Hommage an den legendären Country-Sänger Johnny Cash. Hart greift in diesem Stück die rebellische, raue und kraftvolle Energie von Cash auf und formt sie zu einem eigenständigen Song, der sowohl seine Anerkennung als auch ihren eigenen musikalischen Stil widerspiegelt.

„Wanna Be Big Bad Johnny Cash“

Textlich geht es darum, das Leben eines Außenseiters und Rebellen zu feiern – jemand, der sich nicht an Konventionen hält und seinen eigenen Weg geht, ähnlich wie Johnny Cash es in seiner Karriere und seinem Leben tat. Der Song spielt mit dem Bild des „Outlaws“, das Cash verkörperte: Der „Big Bad Johnny Cash“ steht für Freiheit, Unabhängigkeit und eine Haltung, die sich weder den Regeln der Gesellschaft noch den Erwartungen anderer beugt. In diesem Sinne fungiert der Song wohl auch als ein Ausdruck von Beth Harts eigenem Streben nach Authentizität und künstlerischer Freiheit.

Musikalisch ist „Wanna Be Big Bad Johnny Cash“ eine Mischung aus Country, Rockabilly und Blues, die von treibenden Gitarrenriffs und einem tanzbaren Rhythmus getragen wird. Hart bringt in ihre Interpretation eine rohe Energie ein, die ihre eigene, unverwechselbare Stimme zur Geltung bringt. Es ist ein fröhlicher, kraftvoller Song, der Johnny Cashs Geist der Unabhängigkeit und des Nonkonformismus feiert, aber auch Harts persönliche Affinität zu solchen Charakteren zum Ausdruck bringt.

Ein Liebeslied und die Schatten der Vergangenheit

Der Titelsong „You Still Got Me“ entstand aus einem sehr persönlichen Moment, erzählt Beth Hart und schildert, wie sie nach den schwierigen Jahren der Pandemie und ihrer psychischen Kämpfe am Ende ihrer Kräfte war. Ihr Mann Scott war es, der sie in einem Moment völliger Leere auffing und sie daran erinnerte, dass sie trotz allem noch ihn habe. Diese intime Szene, in der Scott ihr sagte „You still got me“, führte sie direkt ans Klavier, wo der Song in einer Art kathartischem Moment entstand.

Herausforderungen und Belohnungen

Hart spricht offen über die Herausforderungen beim Schreiben des Albums. Es habe Momente gegeben, in denen die Musik wie ein Geschenk von oben gekommen sei und der Song einfach da war. Doch oft ist das Songwriting ein harter, mitunter ein demütigender Prozess, der sie an ihre Grenzen bringt. Diese Momente der Ohnmacht sind für sie eine wichtige Lektion in Bescheidenheit, und sie schätzt sie genauso wie die einfachen, süßen Momente des kreativen Flusses.

Beth Hart präsentiert sich mit „You Still Got Me“ als eine Künstlerin, die sowohl das Schöne als auch das Schmerzhafte des Lebens in ihrer Musik vereint. Ihre Songs sind nicht nur persönliche Ausdrucksformen, sondern auch universelle Botschaften, die sich im Laufe der Zeit wandeln und verändern – ganz so, wie das Leben selbst. Und musikalisch nutzt Beth die Stile, die ihr Blues, Rock, Jazz, Country und Singer/Songwriting gekonnt aus, um ein reifes, sehr hörenswertes Album zu machen. Vielleicht ist es sogar ein Meisterwerk.

Beth Hart FOTO: Greg Watermann

TOURDATEN Beth Hart 2024

16.11. Mannheim – SAP Arena

18.11. Köln – Lanxess Arena

20.11. Hannover – ZAG Arena

22.11. Berlin – Max-Schmeling Halle

24.11. Hamburg – Barclays Arena

05.12. Nürnberg – Kia Metropol Arena

11.12. Zwickau – Stadthalle (Solo Show)