„On an Island“ entstand in einer spektakulären Umgebung in einem alten Kirchenhaus im Fischerdorf Nyksund in Vesterålen im Jahr 2021. Mit dem Wunsch, etwas „Einfaches und Abgeklärtes“ mit dem Tontechniker Bjarne Stensli in einem großen Aufnahmeraum mit viel Hall zu schaffen.
Gesanglich beweist Sivert Høyem unter anderem mit den beiden bereits veröffentlichten Songs, dass er wie ein Engel singen kann, wenn er will, und wie ein Teufel, wenn er muss. Høyem sagt, dass es mit der Idee begann, zusammen mit dem Tontechniker Bjarne Stenslie etwas „Einfaches und Abgeklärtes“ zu schaffen. Etwas, das einer Live- oder Demo-Aufnahme nahe kommt, und nicht in einer „normalen“ Umgebung. (Aufnahmestudios sind akustisch tot.) Sie suchten einen großen Aufnahmeraum, vorzugsweise eine Kirche. Standorte in der Toskana und in Südfrankreich waren im Gespräch, aber sie wollten einen Ort mit Holzwänden und -böden, die in Südeuropa rar sind. Dann brach die Pandemie aus, und man konnte sowieso nicht ins Ausland reisen. Dann kam die Idee von Zoar auf.
Dort, in einem geheiligten Raum unter kitschigen Gemälden unseres Herrn und Erlösers, wurden die Lieder von On an Island lebendig. Von der Decke hängt ein Modell eines traditionellen norwegischen Kabeljaufängers. Ein altes Harmonium, das der Kirchengemeinde gehört, ist mit von der Partie.
Nyksund in Nordland, Norwegen, liegt auf 68,59 Grad nördlicher Breite (dem Breitengrad Nordsibiriens) und hat neun ganzjährig lebende Einwohner. Einst war dies eine bedeutende Fischergemeinde. In den 1960er Jahren wurde sie entvölkert, weil der Hafen für moderne Trawler zu flach ist.
Sivert Høyem wuchs eine 45-minütige Autofahrt von hier auf. Als Kind fuhr er nach Nyksund, um eine echte Geisterstadt zu sehen, und einmal, um einen gestrandeten Wal zu betrachten. Dann wurde die Gemeinde wieder etwas belebt. Künstler und Hippies zogen hierher, um die „Atmosphäre“ zu genießen. Nyksund tauchte in Film- und Fernsehproduktionen auf. Im Sommer kann der Ort jetzt ziemlich lebendig sein. Es gibt sogar ein gutes Restaurant.
Der September ist eine andere Geschichte. Kalter Regen und Wind fegen über die Insel, und die ersten Nordlichter flackern über dem Himmel. Im September 2021 zogen Sivert und seine Mitverschwörer in Zoar ein, das alte Gemeindehaus in Nyksund, um Musik zu machen. (Zoar ist eine Stadt, die in der Genesis erwähnt wird, ein Ort, der vom Herrn verschont wurde, als Sodom und Gomorrah vom Feuer vernichtet wurden.)
Die Umgebung ist spektakulär. Direkt westlich/nordwestlich liegt der offene arktische Ozean, die nächste Station ist Grönland. Im Rücken haben Sie die landschaftlich reizvolle so genannte Königinroute und ein zerrissenes Panorama, das mit den weltberühmten Lofoten weiter südlich konkurriert.
Alles wurde in diesem einen Raum mit Mikrofonen aufgenommen, normalerweise als Live-Trio (Sivert, Christer Knutsen und Børge Fjordheim), nicht unähnlich der Art und Weise, wie Jazzaufnahmen gemacht werden. Nichts kommt aus einer digitalen Box mit voreingestellten Sounds. In dieser Musik steckt viel Atmosphäre, geprägt vom bedrohlichen Zwitschern der Baryton-Gitarren, einem antiken elektrischen Keyboard namens Phillicordia und einer spärlichen, minimalistischen Rhythmusgruppe. Gemischt wurde es von der Branchenlegende Tchad Blake in seinem Heimstudio in Wales. Zufällige Geräusche, knarrende Bretter und mögliche Geisterbesuche sind allgegenwärtig. Es klingt zeitlos, unmittelbar und rau, und es ist wahrscheinlich nicht einmal Rockmusik.
Das Ergebnis ist, als würde man im September nördlich des Polarkreises teleportiert, wenn die Nächte kalt und dunkel werden. Auch lyrisch sickert das unbeständige Wetter des hohen Nordens irgendwie durch.
Sivert Høyem hat sich selbst immer als Melancholiker bezeichnet. „Zu Edvard Munchs Zeiten war das eine diagnostizierbare Krankheit“, sagt er. Mit Auf einer Insel ist er auch bei einer Art nordischer Gotik angekommen. Vor allem in „The Rust That Eats the Soul“, einer düsteren Geschichte über die Liebe und Autowracks, die im Einklang rosten, und in „Now You See Me, Now You Don´t“, einer Art Novelle über eine Fischergemeinde, die Nyksund aus der Vergangenheit nicht unähnlich ist. Ein junges Mädchen nimmt sich einen Liebhaber, der der Teufel oder ein Wanderprediger sein könnte. Sie wird schwanger, ein schwarzer Hund taucht auf dem Berg auf, und das verfluchte Wetter fordert zu viele Menschenleben auf dem Meer.
In Nordnorwegen ändern sich die Gemüter der Menschen mit den Jahreszeiten. Eine mildere Romantik findet sich in „Two Green Feathers“, dessen Anfang aus Knut Hamsuns „Pan“ entlehnt ist. Sivert las ihn als Jugendlicher, und der Roman hinterließ einen tiefen Eindruck. Eines Tages erhielt er persönlich einen Brief mit zwei grünen Federn – von einer Frau, die offenbar die gleiche Geschichte gelesen hatte.
Sivert Høyem steht in einer Gesangstradition, die mit Roy Orbison und Scott Walker beginnt, einer fast opernhaften Art, Popsongs zu interpretieren. David Bowie war ein starker Zweig in dieser Tradition. Ebenso wie Chris Isaak, der den melancholischen Ansatz, den Sivert so sehr mag, verfeinert hat.
Andere wichtige Einflüsse sind zu hören. „When Your True Love is Gone“ hat Phrasierungen, die auch zu Leonard Cohen gepasst hätten. „Aim For The Heart“ erinnert an Bryan Ferry, einen weiteren Favoriten von Høyem. Wie Ferry betrachtet er die gesamte Geschichte der Popmusik als eine Bibliothek, aus der man sich das herauspicken kann, was man braucht – in „Aim For The Heart“ ein paar Details mit lateinamerikanischem oder mexikanischem Einschlag.
Als Sänger ist er versierter als diese beiden Herren. Sivert kann wie ein Engel singen, wenn er so inspiriert ist, wie der Teufel, wenn er es braucht. Die Grundlagen sind da, der Sauerstoff und der Wasserstoff der Rockmusik, das Kirchenhaus und die Blueshütte.
(Torgrim Eggen)/Oktoberpromotion
Sivert Høyem auf Tour
09.04.2024 — Berlin | Heimathafen Neukölln
10.04.2024 — Hamburg | Gruenspan
11.04.2024 — Dresden | Alter Schlachthof
12.04.2024 — Köln | Kulturkirche