Ausgelassene Partystimmung beim Jazzfest Bonn 2019? Nun, es ist eher eine unverhohlene Jubelfeier, die die österreichische Kombo Shake Stew am Sonntagabend im Pantheon Bonn feiert. Der Grund? Das Ende der rechtskonservativen Regierung von ÖVP und FPÖ.
Von Dylan Cem Akalin
Dem kreativen Kopf der Band Shake Stew, Lukas Kranzelbinder, kann man die fassungslose Freude ansehen. „Wir müssen das Programm unterbrechen“, sagt er nach dem ersten Stück mit charmantem österreichischen Zungenschlag. In den vergangenen anderthalb Jahren habe man sich in Österreich angesichts der politischen Verhältnisse so machtlos gefühlt, erzählt er geradezu aufgekratzt. „Man will aufschreien, aber weiß, dass es eh nichts bringt“, sagt er und spricht von Bundeskanzler Sebastian Kurz „von unserem österreichischen Kurzen“. Kürzlich habe er ihn in einer Zeitung beim Händedruck mit Donald Trump gesehen: „Ich wollte schreien.“ Und dann habe er gedacht, was bleibt, sei doch immer die Musik. Und diese Emotion habe er in der Komposition verarbeitet, die er im Auftrag des Jazzfest geschrieben habe. Was folgt, ist das 26 Minütige „No More Silence“.
Dazu gleich mehr. Shake Stew ist eine siebenköpfige Band, die schon aufgrund ihrer Besetzung auffällt: zwei Bässe, zwei Schlagzeuge und die Bläser, zwei Saxofonisten und ein Trompeter. Kranzelbinder selbst spielt akustischen und elektrischen Bass, ebenso Oliver Potratz. Niki Dolp und Mathias Koch verdoppeln Schlagzeug und Percussion, während in der Hornsektion Clemens Salesny (Alt- und Tenorsaxophon), Johannes Schleiermacher (Tenorsaxophon, Querflöte) und Mario Rom (Trompete) zu hören sind.
Musikalischer Dauerbrenner
Der 31-jährige Kranzelbinder ist so etwas wie ein musikalischer Dauerbrenner. Als Mitglied der Trompeter-Rom-Gruppe Interzone schrieb er mal eine Oper, gründete das Polyamory Sound Festival und kuratierte eine Reihe von Konzerten. Mit seinen zwei Bässen und zwei Schlagzeugern überrascht es nicht, dass Shake Stews Musik sehr rhythmisch ist. Elemente von Jazz, Rock, Funk und Afro-Beat prägen ihre Musik ebenso wie der Aufbruch-Jazz der 1960er Jahre von John Coltrane, Pharaoh Sanders und anderen. Aber „Keep Walking“, der Opener, zeigt auch, dass das Septett auch mit den Strukturen der elektronischen Musik spielt – mit diesem durchgehenden elektrifizierenden Rhythmus, den die Drummer in erstaunlicher gleichförmiger Mechanik minutenlang durchziehen.
„No More Silence“ beginnt auf der Basis eines Bluesschemas, das Ausgangspunkt für ein ausführliches Basssolo von Oliver Potratz ist. Mit dem Bogen gestrichen wiegt er uns mit ruhigen Klängen zunächst in Sicherheit, doch Potratz spielt sich gewissermaßen in Rage. Die Wut spricht aus den tiefen Registern seines Kontrabasses, bis die Hornsection einen melodischen Einsatz a la „Moanin‘“ von Art Blakey & the Jazz Messengers hat, sich zunächst die Trompete, dann das Altsax löst. Die Bläser spielen leicht bluesy und so kraftvoll, dass ich denke, dass sie ihren Sound noch durch Effekte verstärken. Plötzlich verfällt alles in eine Kakophonie von verspielten Musikern. Johannes Schleiermacher greift zur Querflöte, Potratz und Kranzelbinder zum E-Bass, mit dem sie ein Bluesthema spielen, über das sich die Querflöte immer aufbrausender hochbohrt. Als die Bläser das Rhema vom Anfang wieder aufgreifen, wechseln Potratz und Kranzelbinder wieder zum Kontrabass und klingen in der Schlusssequenz wie Kalimbas.
Ineinandergreifende Rhythmen
Die Dinge verlangsamen sich ein wenig mit „How We See Things“, das durch einen Doppelbass-Dialog in den höheren Registern eingeleitet wird, der wiederum dem Klang einer Kalimba nahekommt. Wenn Schlagzeug und Hörner hinzukommen, behält das Stück ein deutliches afrikanisches Gefühl bei. Eine fließende, luftige Trompete schwebt ruhig über den ineinandergreifenden Rhythmen, die sanft darunter versickern.
„I Can Feel The Heat Closing In“ ist die Geschichte einer Schreibmaschine, die uns in andere Gefilde entführt – mit flottem Bass, exotischen Gongs und einem luftigen Grundswing. Die Dynamik erinnert etwas an den Soundtrack von „Mission Impossible“. Die witzigen Rhythmen werden von psychedelischen Bassläufen über orientalisch anmutende Sounds überlagert.
Mitreißendes kollektives Spiel
„Dancing in the Cage of a Soul“ kombiniert melodische E-Bass-Patterns mit treibenden Trommeln und Percussion sowie eine verführerische Mischung aus Hörnern. Bei so viel Verdoppelung ist es schwierig, einzelne Beiträge herauszusuchen, aber wir hören ein kraftvolles Tenorsaxophon-Solo, das sich gegen eine unerbittliche Front aus Trommeln und Schlagzeug behaupten muss. Das alles ist höchst lebhaft, und das mitreißende kollektive Spiel ist äußerst energiegeladen und mit jeder Menge kompositorischer Raffinesse in den ungestümen Grooves versehen. Kein Wunder, dass das Publikum die Alpenjazzer stürmisch feiert.