Was war da los mit Mitch Ryder? So hat man den R’n’B-Musiker aus Detroit noch nie gesehen. Der Mann mit dem schwarzen Hut und der Sonnenbrille lächelt! Und zwar die ganze Zeit. Vielleicht liegt es daran, dass er im Sommer endlich Großvater geworden ist, wie er mit humorvollem Stolz berichtet. Vielleicht liegt es daran, dass er einfach nur glücklich ist, dass er nach seiner schweren Krankheit im vergangenen Jahr und einer OP an den Stimmbändern wieder singen kann – obwohl die Ärzte ihm schon das Schlimmste prognostiziert hatten. Warum auch immer. Mitch Ryder, der am Dienstag seinen 74. Geburtstag feiert, beschenkte seine Fans in der ausverkauften Bonner Harmonie mit einem zweieinviertelstündigen Konzert. So mancher sprach danach von einem „magischen Abend“.
Von Dylan Cem Akalin
„Mann, das hatte mich in eine echt schlimme Depression geworfen“, sagte Mitch Ryder. Die Ärzte hatten gemeint, das mit dem Singen könne er wohl in Zukunft vergessen. „Und nun stehe ich hier. Ich liebe Euch. Es ist schön, dass ihr da seid.“ Die Harmonie ist für Mitch Ryder sowas wie sein Stammlokal. Seit Jahren kommt er jedes Jahr im Frühjahr nach Europa. Bonn lässt er nie aus.
Das Publikum ist auffallend früh da. Normalerweise trudeln die Leute erst kurz vor Einlass in den Musikclub. Vor allem am Sonntag, wenn die Konzerte schon um 19 Uhr beginnen. Als ich gegen 17.30 Uhr ankomme, stehen schon zwei Dutzend Fans vor der Tür.
Sensationelle Band
Um viertel nach sieben steht die Engerling Blues Band auf der Bühne, links Bandleader Wolfram „Boddi“ Bodag (Keyboards, Mundharmonika) und Gitarrist Heiner Witte, rechts „Pitti“ Piatkowski, neben ihm Manne Pockrandt mit seinem fünfsaitigen Bass, Drummer Tobias Ridder ist der Neue im Bunde. Nach ein paar Takten kommt Mitch Ryder langsam die Stufen hoch. Das Publikum flippt schon total aus.
Er lässt es zunächst ganz sachte angehen mit „Do You Feel Alright?“. Und dann krachen auch schon die Gitarren zu „Tough Kid“, Piatkowski reißt sein erstes Solo, könnte fast Metal sein. Die Band tobt. Und der dunkel gekleidete Ryder steht hinter seinem Mikro, wippt unmerklich, schlägt das Tamburin (Gibt es irgendjemanden, der dieses Teil eleganter schlägt als Mitch Ryder?).
Das ist er also. Das versoffene, wilde Ekelpaket, das am 7. Oktober 1979, nachts um zwei die Essener Gruga-Halle abriss, der beim Interview mit Fernsehmoderator Alan Bangs in der ARD-Rockpalast völlig betrunken war und live auf Sendung auch noch dessen Freundin belästigte. Mitch Ryder & The Detroit Wheels, über die Ryder später schreiben sollte, dass das alles Kriminelle gewesen sein sollen, stolperte mehr auf die Bühne, als dass er ging. Der Mann machte den Eindruck eines vollgedröhnten, kaum zu kontrollierenden Kapitäns, der alle mit ins Unglück reißt. Und dann lieferte der kraftstrotzende, komplett enthemmte Mann ein Konzert ab, von dem Bangs sagen sollte, es sei das beste, das er je gesehen habe. „Niemand konnte an diesem Abend betrunkener gewesen sein als ich“, sagt Ryder schmunzelnd und erinnert dankend an den vor wenigen Tagen verstorbenen Rockpalast-Erfinder Peter Rüchel.
Schmerz, Liebe, Zorn und Trauer
Von diesem ungebändigten, zügellosen Tornado ist heute nichts mehr da. Jedenfalls äußerlich. Aber in ihm brodelt immer noch die Lust zu singen, das Verlangen, Schmerz, Liebe, Zorn und Trauer mit seiner Stimme auszudrücken.
Die Stimme ist teilweise höher, wenn er aber die Kraft aus seiner Brust freilässt, dann hat sie was von rostbelegtem Stahl, von altem, schwerem, hartem Holz, das Risse bekommen hat, aber immer noch robust wie Holzschwellen. Der Chuck Berry-Song „It Wasn’t Me“ klingt ein wenig wie eine Dylan/Dire Straits-Nummer. Die zwei Anti-Kriegssongs „War“ und „Bang Bang“ entfesseln die Band. Die von zwei Gitarren unisono gespielten Linien und die leichten Rhythmen geben „War“ eine ungewöhnliche Leichtigkeit, bilden aber zum rauen Gesang Ryders einen schönen Gegensatz. Und mit der Vorgeschichte Ryders bekommen die Zeilen „I Don’t Wanna Die“ eine besondere Bedeutung. Und es ist, als würde er sie besonders innig herauspressen. „Bang Bang“ hat an diesem Abend merkwürdigerweise was von Hearts „Barracuda“, so einen 70er-Jahre-Hartrock-Touch.
„Many Rivers to Cross“
Bis hier ist es einfach ein wunderbarer Konzertabend. Und dann kündigt Ryder zwei River-Songs an. „Flüsse haben in meinem Leben immer eine große Bedeutung gehabt“, sagt der Mann, der am Detroit River groß wurde. Jimmy Cliffs „Many Rivers to Cross“ wird an diesem Abend zu einem Gospel, die Kirchenorgeln leiten das Stück ein. Und diese Inbrunst eines Verlorenen kann nur einer so ausdrücken, der selbst ein Leben am Abgrund geführt hat. „Und nur mein Wille hält mich am Leben“, heißt es da. Die Worte kommen aus ihm heraus wie aus grobem Holz geschlagen, zersplittert, brüchig und hart. Trotzig schreit er die Zeilen aus sich heraus. „Und ich überlebe nur wegen meines Stolzes/Und diese Einsamkeit wird mich nicht alleine lassen.“ Und am Ende lässt er sanft in hohen Tönen seine Versöhnung mit dem Schicksal ausklingen. Das Publikum rast.
Und dann Al Greens „Take Me To The River“. Spröde. Die Drums bleiben straight, die Gitarren singen, segeln und fliegen am Ende in psychedelic-rockige Gefilde. Bis zum Ende des Konzerts gibt es keine Umkehr mehr. „Freezin‘ in Hell“ („Ich hatte auch dunkle Zeiten in meinem Leben“) startet mit einem leicht jazzigen Intro. Ryder singt es so aufbäumend. Und da ist der Dylan-Klassiker „Subterranean Homesick Blues“, ein textlicher Wahnsinn. „Ain’t Nobody White“, fast schon ein Muss in einem Ryder-Konzert. „It Ain’t Easy“, „Heaven Takes You Back“, „Everybody Looses“, „Yeah, You Right“.
Bei der Ballade „Heaven Takes You Back“ “, ein Song über ein Paar, das sein Neugeborenes verliert, ist es so ruhig, dass Ryder nicht mal ein Mikro gebraucht hätte. „Living in America“, „Long Hard Road“ und „Moondog House“ beschließen das offizielle Konzert.
„Soulkitchen“ als Zugabe
Zur Zugabe gibt es ein Basssolo und, zur Zufriedenheit aller, eine elf-minütige Version des Doors-Songs „Soulkitchen“, das Mitch Ryder auch damals im Rockpalast gesungen hatte. Ryders Stimme ist da zwischen einer melancholischen Klarheit und meeresschäumender Rauheit. Und die Band? War wieder sensationell.
Ach ja. „Bis nächstes Jahr“, verabschiedete sich Mitch. Am 1. März 2020 gibt es ein Wiedersehen.