Das nenn‘ ich mal ‚ne Show! Die Scorpions liefern am Sonntag vor gut 5000 Fans auf dem KunstRasen in Bonn ein Spektakel ab, das man so schnell nicht vergessen wird. Es ist der bisher aufwendigste Gig der achtjährigen Open-Air-Reihe – und Schlussakt der Saison 2019.
Von Dylan Cem Akalin
Ein in luftiger Höhe schwebendes Schlagzeug, riesige Screens, auf denen Bilder und Farben erscheinen, viel Rauch, Blitzlichtgewitter aus Unmengen von Scheinwerfern und erstklassiger Sound – die Scorpions zeigen auch mit 70 Jahren, dass Metall nicht rosten muss.
Klaus Meine (70), wie gewohnt in engem schwarzen Leder eingeschweißt, der glitzernde Cowboy Rudolf Schenker (Gitarre, fast 70), Matthias Jabs (Gitarre, 63), Bassist Paweł Mąciwoda (52) und Schlagzeuger Mikkey „Animal“ Dee (55) beweisen, dass Rock ‚n‘ Roll noch lange nicht tot ist. Die Männer wissen, wie sich Rockheroen in Szene setzen, wenn sie wie die Musketiere auf der Vorbühne stehen und in freundschaftlicher Konkordanz ihre Gitarren kreuzen wie Degen.
Las Vegas in Bonn
Gut, manches mag schon fast wie eine Überspitzung von Rockattitüden wirken. Wir fühlen uns zurückversetzt in die Zeit der 80er-Jahre-Hair-Metal-Shows. Oder, wie Bernie „Mr Music“ Gelhausen kurz konstatiert: „Ein wenig Las Vegas in Bonn“.
Fast 55 Jahre im Geschäft, und die Scorpions sind immer noch eine wichtige Größe im Rock & Metal. In den USA und in Japan füllen sie Arenen. Meine und seine Jungs zeigen, dass sie es drauf haben, eine Menge zu unterhalten. Sie sind selbstbewusst genug, um solch eine Show in jeder Sekunde des gut eindreiviertelstündigen Konzerts auszufüllen.
Die Scorpions kommen mit einem Knall, einer Surroundsoundcollage, riesigen bunten Bildern und dem passenden Song „Going Out With a Bang“ auf die Bühne. Die Pose stimmt immer noch, auf Pyro wie früher verzichtet die Band, aber nicht auf rauchende Rohre, die aus den Gitarren ragen. Die Lichtshow ist geradezu spektakulär und erinnert an berauschende Exzesse der goldenen Jahre des Rock’n’Roll. Zu jedem Stück gibt es das passende Kaleidoskop aus Lichtern und Lasern.
Songs aus dem Underground
Mein Highlight ist das Medley aus den frühen Scorpions-Songs „Top of the Bill“, „Steamrock Fever“, „Speedy’s Coming“ und „Catch Your Train“, das Meine eröffnet mit der Feststellung und der Frage: „Die Songs haben wir im Underground in Godesberg gespielt. Wer war damals da?“ Harmonie-Chef Wolfgang Koll nickt und Jens Hoffmeister reckt die Faust hoch: „Und wir haben das Underground eröffnet.“ Der frühere Verlagsleiter des „Schaufenster“, Drummer der Sixties United, spielte damals bei Proud Flesh.
Hinter der Band steht eine unbezwingbare Wand aus Marshall-Verstärkern und Lautsprechern, LSD-berauschte Bilder und Formen begleiten die teilweise stark psychedelic-rockigen Stücke. Zu „Make It Real“ weht eine riesige deutsche Fahne, Rudolf Schenker läuft die Rampe zur kleinen Vorbühne, er geht in die Knie, der Cowboyhut ist tief ins Gesicht gezogen und glitzert in der Abendsonne. Die Jungs wollen immer noch Helden sein – und das Publikum liebt sie dafür.
Bei „Is There Anybody There?“ färbt sich die Bühne auf ganzer Breite in tiefes Rot, während die Reggae-Rhythmen den Ton angeben, stampfend geht es über zu „The Zoo“, und Jabs spielt ein langes Gitarrensolo über die Talkbox. Unisono Leads spielen die beiden Gitarren auf „Coast to Coast“.
Zuckerguss und fette Wolken
Es geht Schlag auf Schlag. Die Show sieht keine Pausen vor. Als Meine ruft „Seid Ihr bereit?“ und auf der Leinwand hinter ihnen sowas wie „…on the Run“ steht, freute ich mich schon auf „Love On The Run“, es wurde dann aber leider „We Built This House“. Dem schönen Instrumental „Delicate Dance“ mit Jabs an der Leadgitarre folgen Songs, auf die viele gewartet haben, und die ersten Feuerzeuge gingen hoch: „Send Me an Angel“ und „Wind of Change“, bei letzterem stehen die Musiker vor Bildern gewaltiger, rötlich angestrahlter Wolken… Mehr Zuckerguss geht nicht.
Und dann kommt der spektakuläre Moment. Nach „Bad Boys Running Wild / I’m Leaving You / Tease Me Please Me“ steigt das Schlagzeug in die Lüfte, und Mikkey Dee wirbelt auf den Trommeln wie „Animal“ von der Muppet Show, dem wohl wildesten Drummer in der Musikgeschichte. Am Ende sind unter ihm sämtliche Plattencovers der Band eingeblendet. Mit Blaulicht, gleißendem Licht und viel Rauch beendet die Band mit „Blackout“ und „Big City Nights“ das reguläre Set. Zur Zugabe gibt es dann mit „Still Loving You“ eine der schönsten Rockballaden und „Rock You Like a Hurricane“ einen Dauerbrenner der Scorpions. Dann ziehen sich die Männer zurück, steigen in ihre Limousinen und lassen sich in ein Luxushotel nach Düsseldorf fahren. Auch das ist Rock ‚n‘ Roll.