Köln. Zwei Fragen muss man sich nach diesem beachtlichen Konzertabend stellen: Ist Youn Sun Nah tatsächlich schon 44 Jahre alt? Und vor allem: Wie halten ihre Stimmbänder solch eine Verausgabung aus? Die südkoreanische Jazzsängerin, die im ausverkauften Kölner Stadtgarten am Sonntag wahre Begeisterungsstürme auslöste, vollzog im Laufe des Abends gleich mehrere Metamorphosen – von der schüchternen, mädchenhaften Asiatin bis zur grollenden Donnergöttin.
Einen passenderen Song als Nine Inch Nails „Hurt“ konnte sich Youn Sun Nah, traumtänzerisch von dem schwedischen Gitarristen Ulf Wakenius begleitet, gar nicht ausgesucht haben. Schon die ersten Zeilen „I hurt myself today/To see if I still feel“ singt sie in so berührender Weise, in einer so entschleunigten Version, jeden einzelnen Ton zart modellierend, dass man geradezu den Atem anhielt. Überhaupt ist es ein Ritt auf der Rasierklinge, wenn eine Sängerin sich geradezu nackt vor ein Publikum stellt, lediglich begleitet von einer Gitarre, manchmal gar zupfte sie zu ihrem Gesang nur einige Töne auf der Karimba („My Favorite Things“) oder entlockte wie bei Randy Newmans bittersüßem Liebeslied „Same Girl“ einer Minidrehorgel glockengleiche Klänge. Schon das dritte Stück, „Momento Magico“, forderte alles von der Stimmkünstlerin, muss sie doch nicht nur ein unerhörtes Tempo beim Scat-Gesang halten, gleichzeitig verlangt die Komposition ihres Gitarristen einen irren Wechsel der Gesangstechniken – vom schmetternden Belting über das Kulning in hohen Lagen, Wechsel von Kopf- zur Bruststimme. Sie schnurrt, sie haucht, sie kreischt, mal klingt ihre Stimme wie eine Panflöte oder das Kratzen einer Nadel über eine Schallplatte, dann wiederum bringt sie Stücke wie Nat King Coles „Calypso Blues“ oder Léo Ferrés „Avec Le Temps“ in ihrer ganzen schlichten Schönheit. Genial!