Es war wie ein längst überfälliges Familientreffen. Vielleicht noch schöner. Fast auf den Tag 15 Jahre nach ihrem letzten Besuch in Bonn, spielt die legendäre Canterbury-Band Caravan am Donnerstagabend in der Harmonie Bonn. Ein Erlebnis.
Von Dylan Cem Akalin
Pye Hastings sieht mittlerweile aus wie ein ergrauter, aber junggebliebener Schuldirektor, der mit Hingabe Englische Literatur und Latein unterrichtet und eben Frontmann einer sagenhaften Band ist. Der 72-Jährige Frontmann, Sänger und Gitarrist ist einzig verbliebenes Gründungsmitglied und hat immer noch diese helle, unschuldige Stimme, die den Sound von Caravan ebenso unverwechselbar macht wie ihr avantgardistisches Rockkonzept, das geprägt ist von Klassik, Jazz, Blues, Psychedelic Rock und einer gehörigen Portion kindlich-neugieriger Melodiebildung und Ironie.
Geoffrey Richardson darf ruhig auch als Urmitglied gezählt werden. Der Multiinstrumentalist hat in der wechselhaften Geschichte der Band seit 1972 praktisch an fast allen maßgeblichen Alben mitgewirkt. Hastings und Richardson bilden immer noch den magischen Mittelpunkt der Band.
Dieser ganz eigene Orgelklang
Jan Schelhaas, 1975 bis 1978 und seit 2002 dabei, ist als Keyboarder aber ein echter Gewinn für die Band. Was er an diesem Abend mit seinen zwei Keyboards und seinem Laptop an Sounds kreiert, ist fantastisch. Was muss sich Dave Sinclair, der wohl mittlerweile zurückgezogen auf einer japanischen Insel lebt, wie Pye bemerkt, damals an technischen Verrenkungen versucht haben, um diese Caravan-Sounds zu kreieren? Dazu gehört etwa dieser ganz eigene Orgelklang. Sinclair spielte damals zwar auch eine Hammond, aber nicht diese große, die alle Rockbands der Zeit gerne einsetzten, sondern die kleinere Variante aus der M- oder L-Serie. Sein einzigartiger Sound ist darauf zurückzuführen, dass er dazu kein Leslie Cabinet verwendete, sondern einen Standard-Gitarrenverstärker, so dass er auch eine Reihe von Gitarreneffektpedalen wie Flanger, Wah-Wah, Phaser und ähnliches vorschalten konnte.
Schelhaas, ein Liverpooler mit einem niederländischen Vater, spielt diesen Sinclair-Sound aber verdammt gut, je nach Stimmung baut er Hammondorgelsounds, E-Piano-Akkorde oder Melotronteppiche ein. Ganz stark.
Begnadeter Basssound
Jim Leverton weiß, wie effektiv man einen Bass einsetzt. Der Linkshänder hat einen begnadeten Basssound, der vor allem in leisen Passagen durchgreifend die Stimmung hält. Mark Walker ist mit 55 Jahren der Youngster in der Truppe. Vor 15 Jahren war noch Richard Coughlan dabei. „Als er 2013 starb, wussten wir nicht, ob wir Caravan noch aufrechterhalten konnten“, sagte Pye. „Das war ein schwerer Schlag.“ Walker hat indes noch bei Coughlan gelernt. Der ewig lachende Drummer spielt ein starkes Schlagwerk, kräftiger als sein legendärer Vorgänger, was der Musik aber einen modernen Progrockguss gibt.
Faszinierend und ein Schwergewicht in der Band ist auf jeden Fall Geoffrey Richardson. Egal, ob an der Bratsche, an den Flöten oder der weißen Fender: Er ist ein solch fabelhafter Virtuose, der scheinbar unendlich viele Einfälle im Kopf (und im Herzen) hat.
Verbindung von Intelligenz und Spiel-/Experimentierfreude
Schon der Start mit „Memory Lain, Hugh / Headloss“ zieht die Zuschauer sofort in die Magie der Band. Die Musik hat sowas Bezauberndes an sich, und das liegt nicht nur an dem arglosen Gesang. Bei all der Raffinesse von Harmonien und Tempi, spiegeln Instrumentierung und Melodieführung etwa Verspieltes wider. Die Musik klingt nach erwachsenem Kinderspielzimmer, und ich denke, dass es das ist, was diese Canterbury-Szene so ausgemacht hat: die Verbindung von Intelligenz und Spiel-/Experimentierfreude.
Ihr Album „In The Land of Grey And Pink“ ist von einer Ironie durchzogen, die manchmal auch etwas Grausames hat. Den idyllischen Titeltrack spielt die Band leider nicht, enthält es doch die bittersüße Essenz des Genres, einschließlich Glocken in der Ferne, Orgelsoli und einen mit Wortspielen und englischem Humor gesättigten Text („In the Land of Grey and pink/ where only boy scouts stop to think“ ).
Monumental: „Nine Feet Underground“
Dafür erklingt aber als letztes Stück des regulären Sets das wahre Glanzstück aus diesem Album: das monumentale „Nine Feet Underground“. Das Stück verdankt seinen Titel dem „neun Fuß unter der Erde“ gelegenen Keller, in dem David Sinclair unter anderem diesen Songs komponierte. Die achtteilige Suite ist eine Art musikalische Collage mit abwechslungsreicher Stimmung, meist instrumental, die auf dem Album von der Orgel und der verrückten Gitarre von Pye Hastings geleitet wird. Die spielen live zwar immer noch eine große Rolle, aber Richardson bereichert das Epos mit einem sagenhaften, auf der Viola gezupften Solo und einer Bratschenekstase, die das Publikum jubeln ließ.
Große Freude auch zu Beginn bei „Golf Girl“ und „And I Wish I Were Stoned“, das mit einer ruhigen Orgel beginnt und in dem zweiten instrumentalen Teil alle Register gezogen werden – inklusive Violo-Solo, einem Keyboardsolo, das zwischendurch in eine Art Honky Tonk Piano abdriftet und einem Löffel-Percussion-Solo von Richardson. Es endet wie eine ironische Referenz an ein Tanztee auf einem Ausflugsschiff. Die Herren haben’s immer noch drauf.
„Who Do You Think You Are“ besticht durch die witzig rhythmische Textzeile, dessen Thema vom Bass stoisch weitergetragen wird.
„The Love In Your Eye“
Weiterer Höhepunkt: „The Love In Your Eye“. Es beginnt mit einem breiten String-Einsatz, bis sich die Violine einschaltet. Der Beginn könnte von Pink Floyd sein, auch wenn die gesungene Melodie an Al Steward erinnert. Das Tempo zieht im instrumentalen Teil an, wird auf melancholische Weise fröhlich. Schelhaas lässt sich nach einem fulminanten Keyboardsolo zurückfallen, und Pye spielt auf einer stark verzerrten Gitarre das vielleicht schönste Solo an diesem Abend, unterstützt vom satten Alt der Viola. Die Drums knallen, die Band findet berauschend zusammen, greift das Thema auf, bevor Richardson wieder ein einfühlsames Solo spielt, lediglich begleitet von Bass und leisem E-Piano. Der Schluss hätte auch von frühen Genesis sein können.
So manche Pink Floyd-Momente
„Left To Love You“ hat wunderbare Momente, scheint unter dem Eindruck der Beatles entstanden zu sein, Richardsons kleines Solo auf der Flöte ist hinreißend. „Nighmare“ hat so manche Pink Floyd-Momente. Die leisen Passagen mit Bass und gezupfter Bratsche und die Pianoakzente sind wunderbar. Ein unvergessenes Konzert.