Barfuß, wie immer. Der schmächtige Mann mit der Brille sieht aus wie ein Dozent an der Hochschule. Und Forscher ist Steven Wilson ganz bestimmt. Auf seine Weise. Und klug und humorvoll ist die Ikone des Progressive Rocks sowieso. Auf dem Kunst!Rasen in Bonn gab der 50-Jährige Brite am Dienstagabend ein großartiges Konzert.
Von Dylan Cem Akalin
Seinen Fans gibt der Mann, der einst mit Porcupine Tree die Grenzen des konzeptionellen Rocks weitete, immer wieder Rätsel auf. Er gehört zu jenen Künstlern, der seinen Zuhörern gerne etwas zum Nachdenken mitgibt. Und das beginnt schon mit dem Filmeinspieler. Bilder und Worte werden auf die Leinwände projiziert wie bei einem Diavortrag. Bilder sind manipulativ, so wie Worte. Der IS-Kämpfer kann als Bedrohung wie als Symbol für Glauben dargestellt werden – so wie das Bild eines Neugeborenen. Was ist Liebe? Aufrichtigkeit? Gefahr? So doppeldeutig Worte genutzt werden können, so ambivalent können Bilder wirken. Und die Musik?
Steven Wilson trägt ein schwarzes Miles-Davis-T-Shirt. Es ist das Cover von „Tutu“, jenem Album der Jazz-Ikone, auf der Adam Holzman mitspielte, jener Keyboarder, der jetzt auf der Bühne für sagenhafte Sounds, Sythieklänge, E-Piano-Läufe und Soli sorgt. Und dann spielt Nick Beggs am Bass auch noch ein Thema aus Davis‘ bahnbrechendem Album „Bitches Brew“, eines seiner absoluten Liebensplatten, wie Wilson mehr als einmal betonte. Alles nur Zufall?
Das Gesamtkonzept Steven Wilson
Das Wort gibt es im Gesamtkonzept Wilson nicht. In seiner Musik, die mal so schwerelos und tollkühn rüberkommt wie der Flug eines Mauerseglers, ist nichts dem Zufall überlassen. Wenn „Ancestral“ an diesem Abend zu Beginn wie ein King Crimson-Song klingt, dann nur weil der bekennende Verehrer von Robert Fripp das so will. „Don’t Hate Me“ beginnt Wilson mit einem Gitarrenspiel, bei dem er den Sound mit dem Volumepedal zum Schwingen bringt, Holzman übernimmt das Zepter mit jazzigen Linien, Alex Hutchings (ein sagenhafter Virtuose!) lässt seine Gitarre wie eine Flöte oszillieren, zwischendurch kippt der Song in Richtung Pink Floyd aus der Meddle-Ära.
Wilson macht Musik voller Assoziationskraft. Musikalisch bedient er sich aus allen Genres, huldigt Pharao Sanders, den frühen Genesis, Yes, Pink Floyd, Perfect Circle, Led Zeppelin, dem Psychedelic Rock und vielem mehr. Da rasen die Musiker durch die Harmonie und wechseln die Takte so häufig, wie sie sich immer wieder andere Gitarren und Bässe umhängen.
„To The Bone“
Dass Wilson überwiegend aus seinem jüngsten Album „To the Bone“ spielt, war vorherzusehen. Ein Album, mit dem sich der Multiinstrumentalist, begnadete Producer und Remixer (er hat gerade eine Box mit fünf neu abgemischten Yes-Alben herausgebracht) zielstrebig dem Indie und Pop zuwandte. Und dann kommt natürlich aus die Tanznummer „Permanating“. Lebensbejahender jedenfalls als etwa „The Creator Has a Mastertape“, bei dem verschwommene Bilder wie aus dem Jenseits über die Leinwände flimmern.
Die Doppelnummer „Home Invasion/Regret #9“ aus dem 2015er Album „Hand Cannot Erase“ ist eigentlich ein einziges Gänsehauterlebnis: Diese Pink-Floyd-Referenz, die Perfektion der Rhytmusgruppe (Nick Beggs am Bass und Drummer Craig Blundell) mit ihren abgehackten Schüben, die Breaks, das Keyboard, das engagiert überleitet zu brachialen Metal-Passagen. Und was für Soli von Holzman und Hutchings! Zum davonfliegen!
Wilson führt sein Publikum an den Rand der musikalischen und lyrischen Abgründe. Eine Reise mit ungewissem Ausgang. Dass da die Bilder im Hintergrund aus der technischen Notwendigkeit nur auf einer kleinen Leinwand erschienen. Egal. Dass die Lichteffekte erst gegen Ende des Konzerts aufgrund der Helligkeit wirkten. Egal. Auch wenn der Begleitfilm zu „People Who Eat Darkness“, ein Song über das Böse schlechthin, beeindruckte. Letztlich erzeugen seine Songs, so wie „Same Asylum As Before“ genug Bilder im Kopf. Sagenhaft!