Ron Caines/Martin Archer AXIS „Dream Feathers“ – Jazz aus der Grenzregion

AXIS ist ein Musikprojekt von Ron Caines /Sopran-, Alt- und Tenorsaxofon) und Martin Archer (Bass Clarinet, Organ, Electronics), das sie auf dem kleinen, aber sehr feinen Label Discus-Music in einem fernen Örtchen im äußersten Südwesten Englands umsetzen. Ron Caines/Martin Archer AXIS Dream Feathers ist ein Geheimtipp für Freunde des Anspruchsvollen und Ungewöhnlichen aus der eher freien Jazzabteilung.

Von Dylan Cem Akalin

Es ist tatsächlich so. Mark Rothkos Bilder, seine „Farbfeldmalerei“, sind gar nicht so eindeutig, wie man auf den ersten Blick vermuten möchte. Vor allem die Säume der Farbfelder verlieren sich in einer Weise, als hätte man einen feinen Schleier über das Gemälde gebreitet. Das Titelstück „Rothko Veil / Dream Feathers“ greift diese Dreidimensionalität der Arbeit Rothkos musikalisch auf. Im ersten Teil der Suite wird Raum geschaffen, indem der melodiöse Part des Saxofons wie durch entfernte Störgeräusche auf eine neue Ebene gehoben wird. Im Mittelteil geht es durchaus bewegter zu. Saxofon wird atonaler, durchgedrehter, das Piano, bislang kaum wahrgenommen, schafft zwei Farbfelder, ein massives, wuchtiges und ein flirrendes. Der letzte Teil ist geprägt von einem Bass inmitten von leise sirrenden Sounds. Ungeachtet der unterschiedlichen Strukturen stellt sich durchweg die gleiche meditative Wirkung dar – wie Traumfedern oder eben Mark Rothkos Bilder.

„Mazeep“ ist der Rhythmus weitgehend erhalten, insbesondere durch das hämmernde Piano. Die Tonalität indes ist frei und durchflochten von Elementen der Weltmusik. Sehr spät-Coltrane’isch. So wie auch „African Violets“. Hier wird aber immer stärker auf Mittel der Elektronische Musik und des Fusion-Jazz zurückgegriffen. Insbesondere die verzerrten Hörner versetzen dem Stück eine ganz andere Grundhaltung, als den Kompositionen davor. Oder auch dem epischen „Uccello / 1934“, das konzilianter mit dem Zuhörer umgeht. Kontemplative Sektionen geben Ron Caines Saxofonspiel Raum für sein meditatives, ja oft sogar lyrisches Spiel, wobei grollende Sounds immer wieder Unheil ankündigen scheinen.

Musik zu Ausdruckstanz

Natürlich ist das Avantgarde, freie Ausbrüche als „Kult der Intensität“ gibt es aber eher selten. Dafür ist das, was Caine und Archer mit Unterstützung von Laura Cole (akustische und elektronische Pianos, Harmonium); Anton Hunter (Gitarre und Electronics), Gus Garside (Bass), Johnny Hunter (Drums), Herve Perez (Field Recordings, Electronics,  Sound Design /Processing) tun, viel zu filigran gedacht. Stücke wie „Harmonix“ sind gar aus der Grenzregion zwischen zeitgenössischer Musik, Jazz und anderen Sparten radikaler Kunstformen. „Nico“ etwa könnte von seiner Dynamik, Spannweite und Mehrschichtigkeit her durchaus die Musik zu einem modernen, avantgardistischen Ballett bieten.

Übrigens: Ja, Ron Caines (80) ist jener, der 1967 mit Dave Arbus die Canterbury-Progrockband East of Eden gründete und vor allem wegen ihrer Kombination aus Theater und Live-Improvisation bekannt wurde. Bekanntestes Album und Stück war „Jig-a-Jig“, auf dem sie auch keltischen Folk integrierten.

Grünschimmernder Vogel

1977 wechselte er zur Bristol Cooperative, der ersten „Improvisations-Genossenschaft“ in Großbritannien. Nebenher koordinierte das Festival für improvisierte Musik in Bristol und spielte in Keith Tippetts Arche und mit anderen Künstlern wie Steve Lacy. 1995 zog er nach Brighton und konzentrierte sich auf das Malen, weil er aufgrund einer Sehnenverletzung nicht mehr musizieren konnte. 2008 begann er erneut aufzutreten, zunächst mit Brightons Safehouse Collective und anderen lokalen Musikern.

Martin Archer (63) lernte ursprünglich Saxofon, war beeinflusst von Musikern wie Anthony Braxton. 1988 entstand Archers erstes Soloalbum „Wild Pathway Favourites“, und in diesem Jahr entstand auch sein eigenes Plattenlabel Discus, auf dem seitdem seine Aufnahmen erscheinen. Archer wandte sich stärker seinen Network-Projekten zu, in denen er mit Synthesizern und Sequenzern im Studio arbeitet.

Als letztes Stück zieht die Truppe alle Soundregister. Übrigens: Es lohnt sich, das Album auf Kopfhörer zu hören, denn da gibt es unendlich viele Klangdetails zu entdecken. Vor allem beim 11:15 Minuten langen „Almazon / 1934 reprise“, das deutlich stärker an die Vergangenheit Caines anknüpft und fast ein Stück aus alten Softmachine-Zeiten sein könnte. Und dann erschließt sich auch das Coverbild. Susan Caines grünlich schimmernder Vogel in der Dunkelheit der Nacht.