
Erstmals in Bonn – und gleich ein Meisterwerk: Richard Thompson, britische Folk-Legende und Gitarrenkunst in Person, begeistert in der ausverkauften Harmonie mit einem Soloabend voller Tiefe, Virtuosität und leiser Wahrheiten. Ein Konzert, das lange nachklingt.
Von Dylan C. Akalin
Kaum zu glauben, dass dieser Künstler noch nie in Bonn aufgetreten ist. Es ist also ein seltener Moment an diesem Mittwochabend in der Bonner Harmonie, als Richard Thompson, Mitbegründer von Fairport Convention, britischer Folk-Pionier und einer der einflussreichsten Gitarristen seiner Generation, endlich seinen Weg in die Bundesstadt findet. Kein Wunder also, dass der Musikclub komplett ausverkauft ist. Somit erleben die Fans einen Soloabend, der alles bietet, was das Herz feinsinniger Musikliebhaber höher schlagen lässt: Virtuosität, Tiefgang, Humor – und Songs, die sich anfühlen wie kleine Romane.
Der einsame Gigant
Thompson, mittlerweile 76 Jahre alt, betritt pünktlich um 20 Uhr die Bühne. Ganz in Schwarz mit einem Barett auf dem Kopf. Der Brite ist eine Figur von beeindruckender Statur in der Musikgeschichte. Wenige verbinden sein Handwerk mit solcher Würde: ein Fingerstyle-Spiel auf der akustischen Gitarre, das gleichzeitig Basslinie, Rhythmus und Melodie liefert – und dabei stets den Eindruck erweckt, als wären mindestens zwei Musiker am Werk. Auch in Bonn bleibt einem bei vielen Stücken das Staunen: Wie kann jemand derart flüssig zwischen perkussivem Anschlag, filigraner Ornamentierung und kraftvoller Akkordarbeit wechseln, ohne den roten Faden je zu verlieren? Sein Gitarrenspiel gehört zum Feinsten, was die britische Musiktradition hervorgebracht hat: archaisch und virtuos zugleich, von keltischer Ornamentik durchzogen, mit Blues- und Ragtime-Elementen durchsetzt, aber nie effekthascherisch. Jeder Ton erzählt. Jeder Ton hat eine Bedeutung.
Dazu kommt Thompsons charakteristische Stimme, die über die Jahre nicht an Ausdruck verloren hat. Seine Baritonlage ist rauer geworden, doch diese leichte Brüchigkeit verleiht seinen Erzählungen nur mehr Gewicht. Denn darum geht es bei ihm: um das Erzählen. Und um den Zweifel.
Dunkelheit und Anmut – Set 1
Den Abend eröffnet Thompson mit „Gethsemane“, einem Song über Krieg und Verlust, in dem biblische Symbolik und persönliche Geschichte ineinandergreifen. Im Original erinnert mich sein Gesang leicht an Talking Heads David Byrne, heute Abend klingt der Song mit dem charakteristischen Gitarrenthema folkiger. Schon hier ist klar: Dies wird kein Nostalgieabend, sondern ein Konzert im Zeichen des Alterswerks, des Spätstils.

Die folgende Version von „Genesis Hall“ aus Fairport-Zeiten erinnert daran, wie früh Thompson ein Gefühl für soziale Härten und zwischenmenschliche Brüche entwickelte. Mit der Nummer versetzt und Thompson ins politische Terrain der britischen 1960er, wo er das besetzte Gebäude der Obdachlosen ebenso besingt wie die Enge der familiären Perspektive – ein Stück, das durch seine reduzierte Solo-Interpretation eher an Kraft gewinnt.
„Valerie“ trieb mit lakonischem Witz, sehr sonorer Stimme und treibendem Rhythmus das Tempo an, bevor „The Ghost of You Walks“ das emotionale Zentrum des ersten Sets markierte: eine Ballade über die nicht endende Präsenz des Verlorenen, in zarter Düsternis dargeboten: „The ghost of you walks right through my head…“
Bitterkomische Satire über Sex auf Kreuzfahrtschiffen
„Johnny’s Far Away“, Thompsons bitterkomische Erzählung über Untreue auf Kreuzfahrtschiffen, zeigt seinen makabren Humor – die Fähigkeit, Tragödien in pointierte Miniaturen zu verwandeln, und das alles im Stil eines Trinklieds.
„She Moves Through the Fair“, eine traditionelle Ballade, in der Thompson die irische Vergangenheit seiner Musik beschwört, ein Song aus den Sechzigern, wie er betont. Hier lässt er die Gitarre beinahe singen, schlägt und zieht die Saiten, wie bei kaum einem anderen Song an diesem Abend, und er schafft mit minimalen Mitteln eine fast sakrale Atmosphäre.
Bevor er die nächste Nummer anstimmt, erinnert er an die glorreichen Tage des legendären Marquee Clubs in London, wo die Who, die Yardbirds, Eric (Clapton), Jeff (Beck) und Jimmy (Page) auftraten, die Spencer Davis Group… „Warum erzähle ich das eigentlich alles?“, fragt er lachend. „Keine Ahnung.“ Jedenfalls habe er als Schüler so manche Nacht dort verbracht und dann die zehn Meilen nach Hause laufen müssen. Mit „Walking the Long Miles Home“ bringt er dem Publikum damit seine Jugend in London nahe – mit Selbstironie und literarischer Eleganz. Das erste Set endet mit dem Klassiker „1952 Vincent Black Lightning“ – ein Song wie ein Kurzfilm, virtuos erzählt, rasend gespielt, zu Recht einer seiner meistgefeierten Titel.
Im Duett: Stimmen der Intimität – Set 2
Nach der Pause tritt Thompson gemeinsam mit der Sängerin und Autorin (und Ehefrau) Zara Phillips auf – eine fruchtbare Ergänzung. Ihre harmonische, klare Stimme verleiht den Songs eine neue Dimension. In „Hokey Pokey“, einer Art kauzige Jahrmarktsatire, funkelt der sarkastische Biss vergangener Zeiten, während „Singapore Sadie“ und „I Dreamed“ sehnsuchtsvoll-melancholische Facetten betonen. Besonders gelungen: „She Twists the Knife Again“, ein Paradebeispiel für Thompsons Fähigkeit, bittere Beziehungserfahrungen in ironische Erzählkunst zu verwandeln.

Das neue Material – darunter „Mitered and Died“, „The Old Pack Mule“ und „The Rattle Mitin“ – klingen nie altbacken, sondern frisch und voller Leben. Es zeigt: Thompson ist kein Künstler, der in der Vergangenheit verharrt. Auch 2025 schreibt er mit scharfer Beobachtungsgabe und unverwechselbarem Tonfall weiter am Songbuch seines Lebens. In „If Love Whispers Your Name“ offenbart sich eine fast zärtliche Hoffnung, während „Wall of Death“ mit seinem düsteren Folkrock-Flair als kraftvolles Finale des Sets dient.
Ein stiller Triumph – die Zugaben
Die Zugaben beginnen mit einem ergreifenden Solo: „Dimming of the Day“, Thompsons berühmtestes Liebeslied, vorgetragen mit atemloser Intimität. Danach gesellt sich Zara Phillips noch einmal hinzu für „Tinker’s Rhapsody“ und den krönenden Abschluss: „I Want to See the Bright Lights Tonight“. Auch 50 Jahre nach seiner Entstehung klingt der Song wie ein Ruf aus einer anderen Zeit – lebendig, trotzig und durchaus tanzbar.
Richard Thompson in Bonn – das war kein lauter, triumphaler Abend. Es war ein stiller, intensiver. Einer, der lange nachhallt. Ein Konzert für Zuhörer, nicht für Mitgröler. Für Menschen, die sich dem Leben mit offenen Ohren nähern. Dass der Meister des britischen Folk-Rocks ausgerechnet in der intimen Atmosphäre der Harmonie sein Bonner Debüt gab, passte perfekt. Denn Thompsons Kunst war nie laut – aber immer wahrhaftig. Und diese Wahrheit hat uns an diesem Abend gefunden.

Setlist:
Set 1:
Gethsemane
Genesis Hall (Fairport Convention)
Valerie
The Ghost of You Walks
Johnny’s Far Away
She Moves Through The Fair
Walking the Long Miles Home
1952 Vincent Black Lightning
Set 2:
Hokey Pokey (mit Zara Phillips)
Singapore Sadie (mit Zara Phillips)
I Dreamed (mit Zara Phillips)
She Twists the Knife Again (mit Zara Phillips)
Mitered and Died (mit Zara Phillips)
The Old Pack Mule (mit Zara Phillips)
If Love Whispers Your Name (mit Zara Phillips)
The Rattle Mitin (mit Zara Phillips)
Wall of Death (mit Zara Phillips)
Encore:
Dimming of the Day
Tinker’s Rhapsody (mit Zara Phillips)
I Want to See the Bright Lights Tonight (mit Zara Phillips)




