„Moving People“ nennt sich ein Projekt des italienischen Bassisten Riccardo Del Fra, und dabei geht es um die ideelle Verschiebung der Geographie der Nationen, um den musikalischen Kampf um die Menschheit, es geht um Verletzlichkeit, aber auch um phänomenale Lebenskraft. Del Fra appelliert an Empathie und Mitmenschlichkeit. Er und sein Ensemble rissen das Publikum im Pantheon dermaßen von den Sitzen, dass sie es gar nicht mehr von der Bühne lassen wollte,
Von Dylan Cem Akalin
Also wenn das Pantheon nicht der ideale Ort für Jazzmusik ist! Das Auge isst bekanntlich mit, und an diesem Sonntagabend war es, als würde die Musik besonders intensiv auf die Menschen wirken. Das lag natürlich auch an den beiden Acts, aber auch an der wunderbaren Atmosphäre des Theaters auf der schääl Sick von Bonn.
Riccardo Del Fra möchte, dass wir alle mal eine Verschnaufpause einlegen und eine Bestandsaufnahme machen, wo wir gerade sind. „Moving People hat auch mit der bewegenden Seite aller zu tun. Manchmal sind wir manchmal in der Geschwindigkeit, in der wir nicht auf unseren Nachbarn, die Menschen neben uns, schauen. Wir haben zuerst Angst und schützen uns selbst. So verpassen wir mögliches Lernen, mögliches Wachsen. Ich möchte über Dinge sprechen, die uns bewegen.“
Interaktion und Rücksichtnahme
Der Bassist glaubt, dass der Einstieg in den Jazz in dieser Hinsicht hilfreich sein könnte. Schließlich muss jeder Musiker als improvisatorische Kunstform bei Auftritten in einer Band darauf achten, was die anderen tun. Es erfordert Interaktion und Rücksichtnahme.
Riccardo Del Fra war fast neun Jahre lang Bassist von Chet Baker, aber er hat auch mit Johnny Griffin, Bob Brookmeyer, Dizzy Gillespie, Art Blakey, Barney Wilen, Dave Liebman, Kenny Wheeler, Lee Konitz und vielen anderen gespielt. Der Mann ist fantastisch, er ist ein wunderbarer Gastgeber, ein Gentleman, und wenn er sich über seinen abgewetzten Kontrabass lehnt, dann entlockt er ihm die schönsten Töne. Was war das für ein Zusammenspiel mit Pianist Carl-Henri Morisset? Klavier und Bass, die „I’m a Fool to Want You“ spielen, so sacht und liebevoll im intimen Dialog. Dass ein Bass so weich und poetisch klingen kann. Und Morisset ist eh ein wunderbarer Pianist. Sein Solo baut sich sachte auf und mitten drin ist es, als würde er die Türen öffnen und das Sonnenlicht in die dunkle Halle hineinfließen lassen.
Erinnerung an Chet Baker
Riccardo Del Fra ist nicht nur Bassist, er ist ein Komponist, der sich leidenschaftlich für Klänge und Harmonien einsetzt. Für ihn ist jedes neue Projekt ein Abenteuer, das er wie einen Roman komponiert, den er dem Hörer anbietet. Dazu gehört auch sein exzellentes Album „My Chet Song“ aus dem Jahr 2014. Bei Riccardo Del Fra gibt es so viel Eleganz wie Zerbrechlichkeit. Und in diesem Duo hängt, wie in vielen anderen Stücken, die Seele von Chet Baker hier und da, und es sind diese Momente, die in den Kompositionen am intensivsten sind.
Die Auswahl der Musiker an seinem neuen Projekt hat auch eine Menge mit mehreren Generationen von Musikern aus verschiedenen Ländern zu tun: Auf dem Album spielt noch der Amerikaner Kurt Rosenwinkel (Gitarrist), heute dabei sind der Deutsche Jan Prax (Saxofon), der polnischen Trompeter Tomasz Dabrowski, der französische Drummer Nicolas Fox und eben Pianist Carl-Henri Morisset. Und diese Musiker sind im Konzert pure Magie voller unvergesslicher Momente.
Aber sie rütteln auch auf. Etwa mit „Children Walking (Through A Minefield)“. Das klingt wie eine siebenminütige Dauerbedrohung, wenn das gesamte Ensemble mit Breaks und wildern Wendungen ein beklemmendes Gefühl beim Zuhörer erzeugen. Auch wenn er selbst beim Komponieren an die Musik zu einem imaginären Zeichentrickfilm gedacht hat – es hat etwas Bedrückendes.
Unbändige Ausbrüche
Das Titelstück des Albums befasst sich mit Menschen, die alles hinter sich lassen, um überleben zu können, die hoffen, irgendwo ein neues Leben zu finden. Die kleine Melodie am Anfang des Stückes lässt die Band bald hinter sich, um sehr rhythmisch betont die Bläser in immer wildere Sphären zu jagen. Schrittweiser Aufbau und Wiederholung sind vor allem durch Piano und Bass allgegenwärtig.
Dabrowski und Prax wirken auf den ersten Blick so unterschiedlich, doch das Feuer haben beide in sich. Der Saxofonist indes lässt es gerne erst langsam angehen, dafür zieht er das Tempo aber stetig an. Der Schluss von „Wind On An Open Book“ ist fulminant, wenn die beiden Musiker sich in ihren Solos abwechseln und am Ende ihre unbändigen Ausbrüche immer mehr miteinander verknüpfen – bis plötzlich wieder eine Einheit entsteht.
„Music is about Empathy“, sagt Del Fra zum Abschied. „And we do feel, here is a lot o fit.“ Gerne wieder!