Von Cem Akalin
Bonn. Das Schöne an der Rheinkultur ist ja, dass man auch unbekannte Künstler erlebt, die einem den Atem rauben können. Zum Beispiel die Kölner Truppe mit dem wohl nicht ganz ernst zu nehmenden Namen Bolle & the very good looking Boys. Schöner Rock mit Erdhaftung. Bolle: Bart, lange Haare, Bierbauchansatz und eine Reibeisenstimme, die röhrt ohne Ende. Gitarrist Jan Elson hat einen sehr britischen Metall-Sound, mit deutlichen Anklängen an Led-Zeppelin-Gitarrist Jimmy Page, und ist ein echter Zauberer an den elektrischen Saiten. „Sonst mach ich mehr Show, aber ich hab eine böse Erkältung“, entschuldigt er sich später hinter der Bühne. Er und Bolle lernten sich übrigens ausgerechnet bei einem Luftgitarren-Wettbewerb kennen. Bolle belegte den ersten, Elson den zweiten Platz. Das ist neun Jahre her.
Ein weiteres Highlight auf der Blauen Bühne: die amerikanische Indie-Rock-Band Twilight Singers mit ihrem Frontmann Greg Dulli, die Elemente des Blues, Gospel, Soul und Rock zu einer etwas düsteren, gespannten, sehr von der Alternative-Szene New Orleans‘ geprägten Melange zusammen bringen. Und Dulli hat diesen sehr leidenschaftlichen Klang eines William Topley in der Stimme, der Anfang der 90er Jahre mit Blessing einen ähnlichen musikalischen Weg gegangen ist: Suchtgefahr.
Ruhig, geradezu familiäre Stimmung herrscht an der Grünen Bühne. Singer/Songwriter konzentrieren sich hier. Donata mit ihrer Band Nosoyo (siehe Kurz gefragt) mit sehr experimentellen Anklängen. Gitarrist Wessel, eine optische Mischung aus Bob Dylan und Lenny Kravitz, Zigarette im Mundwinkel, Sonnenbrille, spielt abenteuerliche Akkorde und Arpeggien. Und Alin Coen mit Band. Man will eintauchen in diese ungewöhnlichen Klänge aus Psychodelic, Folk, Jazz, Pop und Akustik und den zarten, melancholischen Texten. Man darf sich schon auf den 21. Oktober freuen. Dann ist Alin Coen mit ihrer Band in der Harmonie zu Gast. Außerdem wird sie, so verriet sie, Thüringen beim Bundesvision Songcontest vertreten. Huldigungen an Bonn und die Rheinkultur gab es übrigens zu später Stunde von Monsters of Liedermaching und auch von Blumentopf. Überhaupt Blumentopf: Die deutsche Hip-Hop-Truppe versprühte eine Laune, dass selbst Nicht-Fans dieser Musik begeistert gewesen sein dürften. Party pur an der Blauen Bühne und tausende von Armen wippten zum Beat.
Auch wenn die Hip-Hop-Bühne frühzeitig geschlossen werden musste (siehe erste Spalte), es gab tolle Acts zu erleben. Akua Naru etwa, Concious-Rap, der fast schon in Vergessenheit geraten scheint. Also Rap, der sich vor allem politischen und sozialkritischen Themen zuwendet. Und die Afro-Amerikanerin, die seit einigen Jahren in Köln lebt, hat jahrelang nahezu alle Kontinente der Erde bereist, was sie einbaut in ihren sehr temporeichen Sprechgesang. Leider hört sie abrupt auf, als es ihr einfach zu viel wird mit dummen Zuschauern, die ihr permanent den Mittelfinger zeigen. Bahnte sich da vielleicht schon der spätere Tumult an? Schade.
Der Mittelfinger gehört bei Kraftklub zum Bühnenbild, wo eine gigantische Hand aufgestellt ist. Die Truppe selbst, die eine freche Mixtur aus Indierock und Rap bietet, tritt auf in Popperjacken. Auch sie werden übrigens am 29. September in der Lanxess Arena sein: Sie vertreten Sachsen beim Bundesvision Songcontest.
„Wir haben echt geheult, als wir gehört haben, dass die Rheinkultur zu sterben drohte“, sagte Jupiter Jones-Sänger Nicholas Müller, bevor er voller Inbrunst etwa „Sonne? Scheint!“, „Das Jahr in dem ich schlief“ und natürlich „Still“ singt.
Effektvoll natürlich der Auftritt der Brachial-Rocker Die Apokalyptischen Reiter, die ein „lebendes Flugzeug“ auf die Menge stürzen ließen – ungeachtet des Stagediving- und Crowdsurfing-Verbots, auf das die Ordnungskräfte eigentlich penibel achteten. Eher enttäuschend bei all den starken Auftritten des Tages die Brit-Popper Razorlight, die am Ende dann doch ihre Hits „America“ und „Wire to Wire“ sangen, die eigentlichen Höhepunkte ihres Auftritts. Insgesamt dürfte es keinen der 160 000 Zuschauer gegeben haben, der enttäuscht nach Hause gegangen ist. Es gab jede Menge musikalische Höhepunkte und jetzt nicht mehr so geheime Schätzchen zu entdecken.