Retro-Synthies, visuelle Magie und ein Hauch Antonioni: 4000 Fans erleben AIR auf dem KunstRasen Bonn

AIR auf dem KunstRasen Bonn 2025. FOTO: Peter "Beppo" Szymanski

Rund 4000 Fans erleben auf dem KunstRasen Bonn ein Konzert wie aus einer anderen Sphäre: Das französische Duo AIR bringt „Moon Safari“ in voller Länge auf die Bühne – mit analogem Sound, durchkomponierter Lichtkunst und Reminiszenzen an Atari, Antonioni und 70er-Jahre-Popkultur. Eine audiovisuelle Zeitreise in zwei Kapiteln.

Von Dylan C. Akalin

Es ist eines der visuell wie akustisch eindrucksvollsten Konzerte dieser KunstRasen-Saison – eine audiovisuelle Reise zwischen Retro-Futurismus, Popkultur und philosophischer Klangforschung. Diese Verbindung von Kunst und Unterhaltung, von visuellem und akustischem Erlebnis, von intelligentem Konzepttransfer und kollektiver Liveperformance gelingt nicht vielen Künstlern. Als die schwarzen Vorhänge fallen, geht ein Raunen durchs Publikum. Eine weiße Bühne, ebenfalls weiß umrandet wie ein überdimensionales Kunstobjekt oder eine breite Kinoleinwand. Fast alle Instrumente auf der Bühne sind ebenso weiß wie die drei Künstler eben so reinweiß gekleidet sind, als sie Punkt 20 Uhr still die Bühne betreten. 

4000 Fans kommen zu AIR

Zuvor waren die rund 4000 Fans von zwei überdimensionalen Augen mit roten Sternen als Pupille zehn Minuten lang zu loungigen Tönen erfasst worden. Wenn Nicolas Godin das Bassthema zu „La Femme d’argent“ anstimmt, möchte man niederknien – so melodiös, so präsent, so schön ist dieser Sound. Der Hintergrund bleibt weiß bis das Licht beginnt zu flirren, die flächige Struktur sich aufzulösen, als ein verzerrter Rockriff, gespielt von Jean-Benoît „JB“ Dunckel am Keyboard dem entspannten Song eine neue Richtung weist.  Schlagzeuger Brian Reitzell sorgt an diesem Abend für das rhythmische Grundgerüst. Es ist ein geradezu cineastischer Abend in zwei Kapiteln, das erste ist die Feier des bahnbrechenden Albums „„Moon Safari“, das in kompletter Länge gespielt wird.

AIR auf dem KunstRasen Bonn 2025. FOTO: Dylan Akalin

In tiefes Blau getaucht wirkt die Bühne entrückt. Dunckels Gesang bei „Sexy Boy“ – gesungen klingt es eher „Sexy BÖY“ – hallt wie aus einer anderen Sphäre. Es hat etwas von einem Panoptikum, als sich schattige Figuren im Hintergrund durch die Farbschlieren drehen.

Sound- und Lichtlehre mit eigener Ästhetik

Das 1995 in Versailles gegründete französische Electronica-Duo spielt mit den Sounds aus den 1960er und 70er Jahren. Nicht zuletzt setzt es gerne alte Analog-Synthesizer wie zum Beispiel der Korg MS-20 und Synthies der Firma Moog ein. Auch Wurlitzer und Vocoder kommen zum Einsatz, und dennoch übertragen sie das alles in eine zeitlose Gegenwart. 

Sound und Farbkonstellationen passen sich stets an, es ist, als hätte der innovative Filmemacher Michelangelo Antonioni hier an seinem Konzept der bewusst künstlichen Farbgebung weitergearbeitet. AIR ist mehr als Musik, es ist eine fast philosophisch anmutende Sound- und Lichtlehre mit eigener Ästhetik. Wie sich etwa bei „All I Need“ die pinkfarbenen Flächen zur Musik bewegen, wie WahWah- und Flanger-verzerrte Sounds, die reduzierten Keyboards, spacige eingestreute Soundeffekte in harmonischen Verflechtungen ein Ganzes bilden, ist faszinierend.

Schönen Gruß vom Atari

Und Humor hat AIR auch. Bei „Kelly Watch The Stars“ erkennen wir Pong im Hintergrund, jenes frühe Atari-Spiel, bei dem man mit dem Cursor eine Kugel zurückschlagen muss. Der Song ist eine Liebeserklärung an Jaclyn Smith, jene Kelly aus „3 Engel für Charlie“. Godin erzählt einmal in einem Interview: „JB und ich sind wirklich in sie verliebt. Es war unser erster sexueller Schock als Kinder. Ich erinnere mich, wie wir darüber sprachen, wer unserer Meinung nach die schönste Frau der Welt war. Für mich war es Kelly, also schrieben wir ‚Kelly Watch the Stars‘ über sie.“ Eine Reminiszenz an das Fernsehen der 1970er Jahre – das dann optisch mit einem grauen Bildschirmrauschen abschließt.

Man kann diese Musik als Electronica, Downtempo, Ambient Pop oder Chill-out bezeichnen. Das wird dem Duo egal sein. Denn es bedient sich aus allen möglichen Genres, bei „Talisman“ auch aus dem Blues, und am Ende wird es gar jazzig vor dem rot marmorierten Hintergrund. Vocoder-verzerrter Gesang und Harmonika-Sounds bei „Remember“, synthetische Tropfgeräusche bei „You Make It Easy“, Glockenspiel und Feuerwerk zu romantischen Klängen. 

AIR auf dem KunstRasen Bonn 2025. FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

„Ce matin‐là“ geht da schon eher in Richtung Pausenmusik, während es wieder robotisch bei „New Star in the Sky“ zugeht, vielleicht auch etwas von Kraftwerk hat. Elton John könnte Pate für das Piano-Intro bei „Le Voyage de Pénélope“ gestanden haben. Dann ist nach 47 Minuten das erste Kapitel beendet. „AIR“ ist rotumrandet, die Band verschwindet, Rauchschwaden verdecken zu archaischen Klängen die Bühne.

Kapitel 2

Zu Harfenklängen betreten nur drei Minuten später die Drei wieder die weiß umrandete Bühne. Eine riesengroße. Orangebrennende Sonne geht im Hintergrund auf, breite Keyboardstrings durchfluten den Platz bei „Radian“. Wie das geometrische Innere eines Raumschiffs sieht das Bühnenfenster bei „Venus“ aus. Wir erhalten einen Overview auf die Erde, einen Blick ins ferne Universum zu Bass- und Drumbetonten Sounds und sanftem Gesang.

„Cherry Blossom Girl“ bleibt mir noch die ganze Nacht im Ohr, ein Song wie von den Pet Shop Boys unter schwerelosen Bedingungen im Orbit geschrieben. Pinkes Licht zerfließt wie Wachs, der Gesang, die ganze Komposition hat etwas Zerbrechliches, Zartes wie die kurze Lebensdauer einer Malvenblüte.

Gleißend weißes Licht reißt uns bei „Run“ aus den Träumen. Wie die Strings im Crescendo erklingen, wie der Bass rollt!

Fast 100 Minuten Erlebnis

„Highschool Lover“ hätte sicher auch Supertramp gefallen. Weiße, streng geometrisch angeordnete Lichtpunkte bestimmen das Bild zunächst bei „Dirty Trip“ bevor vorbeirauschende Sterne uns mit Farbspielen zur befreiten Melodie beglücken. Zum Abschluss gibt es nochmal optische Wucht bei „Don’t Be Light“. Knallrotes Licht zu riesigen Lettern.

Zur Zugabe: wie Schneeflocken fallende Sterne zu „Alone in Kyoto“und das düsterste Stück des Abends „Electronic Performers“. Das waren 100 Glücksminuten.

AIR auf dem KunstRasen Bonn 2025. FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Setlist AIR, KunstRasen Bonn, 6. August 2025:

Chapter 1:

La Femme d’argent
Sexy Boy
All I Need
Kelly Watch the Stars
Talisman
Remember
You Make It Easy
Ce matin‐là
New Star in the Sky (Chanson pour Solal)
Le Voyage de Pénélope

Chapter 2:

Radian
Venus
Cherry Blossom Girl
Run
Highschool Lover
Dirty Trip
Don’t Be Light

Encore:

Alone in Kyoto
Electronic Performers

AIR auf dem KunstRasen Bonn 2025. FOTO: Dylan Akalin
AIR auf dem KunstRasen Bonn 2025. FOTO: Dylan Akalin
AIR auf dem KunstRasen Bonn 2025. FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
AIR auf dem KunstRasen Bonn 2025. FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
AIR auf dem KunstRasen Bonn 2025. FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
AIR auf dem KunstRasen Bonn 2025. FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
AIR auf dem KunstRasen Bonn 2025. FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
AIR auf dem KunstRasen Bonn 2025. FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
AIR auf dem KunstRasen Bonn 2025. FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
AIR auf dem KunstRasen Bonn 2025. FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
AIR auf dem KunstRasen Bonn 2025. FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
AIR auf dem KunstRasen Bonn 2025. FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
AIR auf dem KunstRasen Bonn 2025. FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
AIR auf dem KunstRasen Bonn 2025. FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski