Wir treffen Heidi Solheim kurz vor einem Auftritt. Die 35-jährige Norwegerin mit der Powerstimme ist entspannt und lacht gerne. Mit der Chefin und Frontfrau von Pristine sprach Dylan Cem Akalin.
Es ist erstaunlich. Ich höre Jimi Hendrix, ich höre Jimmy Page, ich höre Santana aus seiner Woodstock Ära, ich höre Golden Earring, ich höre David Gilmore. Das sind doch alles Musiker, mit denen du eigentlich nichts zu tun haben dürftest. Das Titelstück Eures vorherigen Albums hat gar Referenzen an den Progrock.
Heidi Solheim: Stimmt! Danke für das Kompliment!
Als du Teenager warst, war doch eher Grunge und Pop angesagt. Wie kommt es also zu dieser musikalischen Sozialisierung?
Heidi: Mein Vater hatte einen Plattenspieler in unserem Esszimmer. Und er hatte jede Menge Platten. Beatles, Eagles, Rolling Stones… Wenn du in solch einer musikalischen Umgebung aufwächst, wo die 70er Jahre prägend waren, dann prägt dich das. Natürlich habe ich Pop und all diese Mainstreammusik gehört. Aber sogar meine Lehrer waren eher alte Rocker! (lacht)
In Skandinavien wird offensichtlich viel Rock gehört. Da kommen ja etliche ganz hervorragende Rockbands her. Wie kommt’s?
Heidi: Ich habe keine Ahnung! (lacht)
Vielleicht ist es das Wetter! Hahaha
Heidi: Das kann durchaus sein. Ich komme ja aus dem Norden von Norwegen. Gerade um diese Zeit ist es ja fast ununterbrochen dunkel. Sogar am Tag ist es dunkel, und wir haben nicht viel mehr zu tun, als drinnen im Warmen zu hocken und viel Musik zu hören. (Lacht)
Du hast ja noch andere Projekte: du hast dein Soloprojekt, das sehr poppig ist. Und du hast noch ein Projekt, wo du norwegische Kinderlieder singst. Pristine ist wiederum richtig harter Rock. Wie passen diese drei Seiten zusammen?
Heidi: Für mich ist das extrem befreiend. Das ist eine große Freiheit für mich als Künstlerin, mich in so vielen Genres auszudrücken. Da hält mich lebendig. Ich würde durchdrehen, wenn ich mich nur auf ein Projekt konzentrieren müsste.
Du hast also mehrere Seelen in deiner Brust?
Heidi: Absolut! Ich finde, das ist doch menschlich. Du hast manchmal Lust zu joggen, an anderen Tagen liegst du lieber faul auf der Couch. Der Mensch trägt doch viele Seiten in sich.
Das heißt also, dass sich dein Fokus auch eines Tages ändern kann?
Heidi: Natürlich!
Du könntest dir also auch vorstellen, eines Tages nur noch Kinderlieder zu schreiben?
Heidi: Warum nicht? Dieses Kindermusikprojekt ist mir sehr wichtig. Auch weil es aus viel Ironie besteht und wir uns dabei nicht allzu ernst nehmen. Es besteht also aus sehr viel Humor. Und: Ich singe im norwegischen Dialekt.
Woher kommt diese Liebe zu Kinderliedern? Kommst du aus einer großen Familie mit vielen Brüdern und Schwestern?
Heidi: (lacht) Nein, überhaupt nicht! Bei meinem ersten Soloalbum habe ich bemerkt, was für eine enorme Freiheit es ist, sich einfach fallen zu lassen, Stücke zu schreiben ohne an ein bestimmtes Image zu denken. Oder daran, was Leute jetzt von dir erwarten. Ich kann über alle möglichen Themen schreiben ohne nachzudenken, ob das jetzt zum Beispiel zum Bild einer Rockband passt. Ich habe gemerkt, wie befreiend und befriedigend das sein kann.
Das ist interessant. Denn Pristine klingt sehr kompromisslos. Eine Musik mit ungeheuer viel Power, zu der auch dein kraftvoller Gesang viel beiträgt. Wie kommt es zu dieser Entwicklung? Pristine gibt es ja seit immerhin mehr als zehn Jahren. Euer erstes Album von 2007 ist bluesiger.
Heidi: Wir haben ja jetzt vier Alben raus, und das erste ist tatsächlich sehr Bluesbetont. Es ist noch nicht so rau wie die letzten beiden. Wir wollten neue Pfade gehen und uns mehr in Richtung Rock und Psychedelic bewegen. Denn das ist definitiv in meinen Genen. Wir nehmen unsere Alben ja auch live im Studio auf. Das gehört zu unserer Philosophie der 70er-Rockmusik. Dazu gibt es keine andere Option, weil das eine gewisse Rauheit kreiert und Energie freisetzt. Das ist schon magisch. Das ist etwas anderes, wenn sich die Musiker beim Spielen sehen können. Wir sind eben in erster Linie eine Liveband.
Du sprichst immer von „Wir“. Aber du bist der Boss, und die Bandmitglieder sind deine Angestellten. Richtig?
Heidi: Das ist richtig. Dennoch sind wir eine Band. Aber es ist wirklich so: Ich schreibe alle Songs, und die geben eine sehr klare Richtung an. Die Jungs sind tatsächlich meine Angestellten. Sie bekommen ein Gehalt von mir.
Warum ist das so? Hast du so bestimmte Vorstellungen von dem, was du machen willst? Oder hat das was mit deiner Persönlichkeit zu tun?
Heidi: Wir hatten das vor zehn Jahren mal anders gehabt. Aber wenn es keine faire Arbeitsteilung gibt, dann funktioniert das nicht. Irgendwann habe ich entschieden, einen bestimmten Weg einzuschlagen und das Projekt am Laufen zu halten. Das gab mir die Möglichkeit, Songs zu schreiben, und die Sicherheit, auf Tour gehen zu können. Denn es ist einfacher, eine Band zu führen, wenn du die Freiheit der Entscheidung hast. Wenn etwa der Bassist nicht auf Tour gehen will, dann wird die Band nicht in Frage gestellt, und ich kann entscheiden, einen anderen Bassisten zu engagieren. Das alles gibt mir die Sicherheit, dass all das Geld und die Liebe, die ich in das Projekt stecke, auch auf ein Ergebnis hinauslaufen.
Das Album „Reboot“ klang schon wie ein Statement: „Hallo! Ich bin Heidi. Hier bin ich!“
Heidi: (lacht) Der Titel „Reboot“ deutet ja tatsächlich darauf hin, dass ich mehr in Richtung Rock gehen wollte. Und ich habe wirklich viel daran gearbeitet, meine Vision umzusetzen. Als ich die Lyrics geschrieben habe, kam es wirklich wie eine Welle über mich. Ich dachte darüber nach, dass viele Menschen die Fähigkeit der Empathie verlernt haben. Dass wir unsere Kinder mehr erziehen müssen, jeden zu akzeptieren. Die Menschen sind so unterschiedlich, und das muss man akzeptieren. Ich bekomme meine Inspirationen tatsächlich mehr durch den Kontakt zu unterschiedlichen Menschen als durchs Hören von Musik. Die sozialen Medien explodieren ja geradezu vor Bösartigkeit, vor selbstsüchtigen Menschen, die ihren Wohlstand nicht teilen wollen, die anderen nicht helfen wollen. Und so ist der Titel auch als Appell gedacht, sich selbst einmal zu „Repooten“!
Und „Ninja“ geht ein wenig mehr in Richtung Psychedelic Rock…
Heidi: Das war der Weg, den ich gehen wollte. Und ich bin echt zufrieden mit dem Ergebnis.