Das Pinkpop-Festival im holländischen Landgraaf steigert sich. Gavin James, Busty and the Bass, Birdy, My Baby, Kodaline, Imagine Dragons, Rancid und vor allem Green Day und Biffy Clyro machen Tag zwei zum Ereignis.
Von Dylan Cem Akalin
Ein besonders schöner Moment. Gavin James singt Louis Armstrongs „What a Wonderful World“ und Tausende singen mit. Ja, so kitschig das auch war, in diesen Tagen braucht man solche Momente. „For You“, „Remember Me“ oder „Coming Home“ sind ja wunderschöne, verträumte Songs – aber vielleicht nicht gerade etwas für die ganz große Bühne, vor allem auf einem Festival, auf dem wohl die meisten wegen der Rocker Green Day und Biffy Clyro kommen.
Am zweiten Tag des Pinkpop-Festivals 2017 ist indes vor allem eine Band eine Riesenüberraschung: Busty And The Bass aus Montreal/Kanada rocken auf der kleinsten Bühne (Stage 4) dermaßen ab, dass das Publikum Krach macht, als wär’s die große Bühne.
Die jungen Leute in den Anfang 20ern präsentieren einen äußerst energischen, dynamischen und tanzbaren Jazz-Soul-HipHop-Rock-Pop mit den beiden Frontmännern Nick, der auch das Altsaxofon bedient, und Ouster Blue (HipHop-Gesang und Keyboards). Wir haben mit den Jungs ein Interview geführt. (Demnächst hier) Die Kanadier sollte man sich jedenfalls nicht entgehen lassen, wenn sie am 17. Oktober 2017 nach Köln kommen.
Das neuseeländisch-holländische Trio My Baby überraschte ja bereits im vergangenen Jahr beim Crossroads Festival in Bonn mit der überaus präsenten Cato van Dyck. Uns was soll ich sagen? Die Blondine mit der starken Stimme und ihre Band überzeugen auch auf der großen Festivalbühne. Ihr Bluesrock kam mir noch härter, noch hypnotischer vor.
Die irische Alternative-Rock-Band Kodaline aus Dublin ist vor allem bekannt wegen ihrer sensiblen Balladen wie „High Hopes“ und „All I Want“, der insbesondere mit dem Soundtrack des Films „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ verbunden wird, die sie auch beide spielte. Ihr Konzert eröffnete sie mit dem hymnischen „Brand New Day“, ein absolut stadiontauglicher Song, der auch durch den exzellenten Sound auf der großen Bühne getragen wurde.
Was für ein Kontrast zu den leichtfüßigen Songs der Iren dann der Auftritt von The Charm The Fury im Zelt nebenan: Das ist Metalcore/Post-Hardcore in seiner harten Ausprägung. Frontfrau Caroline Westendorp wechselt zwischen Growling und melodiösem Gesang, bei dem sie schon mal stark an Siouxsie Sioux erinnert.
Die Wendungen vom Brachialrock zum melodischen ist ein gern benutztes Mittel der Band, die in diesen Zwischenphasen durchaus Linkin Park näherkommen. „Echoes“ ist so ein Stück, das auch durchaus unter die Haut geht mit den festen Riffs, den schnellen Gitarrenläufen, der Präsenz der Sängerin, die hier einen Schmerz in die Stimme legt, der trotz der Härte der Musik niemanden unbeeindruckt lassen kann. Insgesamt ein Headbanner-Rock, der nicht über Flüsterasphalt rast.
Was haben wir uns noch angeschaut an diesem Festivaltag? Die wunderbare Birdy mit ihrem unvergleichlich berührenden Gesang, Rancid pflegt nach wie vor ihren Punk-Ska, der immer noch den Sound der 80er Jahre trägt.
Imagine Dragons bringen natürlich ihren bekanntesten Song „Radioactive“ als letzten Song. Das Stück hat die Macht, das ganze Festivalgelände auszufüllen, und die Indie-Rocker aus Las Vegas auch keine Mühe, das Publikum für sich einzunehmen. „It’s Time“ mit dem sofort in die Knochen gehenden Rhythmus und Dan Reynolds kraftvoller immer wie an der Leidensgrenze Gesang dringt in jede Ecke des Festivals. „Demons“ – was für ein Song! Und man versteht ihn noch besser, seit Reynolds kürzlich dem US-Magazin „People“ erklärte, dass er vieles aus seinem Leben in den Songs verarbeite.
„Viele meiner Stärken entstanden durch meine größten Schwächen oder körperliche Leiden“, verriet der 29-Jährige dem Magazin. „Mein Glück, meine Liebe, mein Gott, sie stammen vom Schmerz!“ Und so handele zum Beispiel „Believer“ davon, wie Schmerz ihn zu einem Gläubigen gemacht habe. Seine Leiden hätten ihm „Disziplin, Dankbarkeit und Barmherzigkeit“ gegeben. Der Sänger leidet seit zehn Jahren an Morbus Bechterew, eine schmerzhafte, chronisch verlaufende entzündlich-rheumatische Erkrankung, die sich vor allem an der Wirbelsäule auswirkt. Das Konzert — bombastisch.
Und doch ist es ein anderes, das größeren Eindruck hinterlässt, vielleicht sogar einen größeren, als später der Hauptact Green Day: Biffy Clyro. Schon als Simon Neil (Sänger und Gitarrist), James Johnston (Bass) und Ben Johnston (Schlagzeug) die Bühne betreten, natürlich wieder alle mit nacktem Oberkörper, und das machtvolle progrock-Stück „Wolves of Winter“ anstimmen, gibt es kein Halten mehr beim Publikum. Die Schotten sind eine der populärsten Alternativ-Rock-Bands. Ihre Konzerte sind in der Regel binnen Stunden ausverkauft. Und das mit gutem Grund. Die drei (plus Tourgitarrist Mike Vennart, der sich immer dezent im Hintergrund hält) brennen. Und es sind diese Texte, Zeilen wie diese: I’m drowning, caught in a shit tide,/Tape my face to the inside of love, /Nothing to eat but fingers in the backseat, /Well I’ve met God and he had nothing to say to me”, für die die Fans die Band lieben (“Living Is A Problem Because Everything Dies“).
Simon Neil (“We are Biffy Fuckin’ Clyro”) trägt rosa Hosen, der Oberkörper sieht aus wie eine Graffiti-Wand in Brooklyn, die Harre sind zunächst zurückgebunden, doch schon nach wenigen Stücken hängen sie wie ein klatschnasser Vorhang im Gesicht. Keiner bewegt sich so grazil und weich zu den dichten Rockriffs wie der 37-Jährige. Wie ein Shakespeare-Schauspieler auf der Bühne schreitet er erhaben zur Bühnenseite, um immer wieder die Gitarre auszuwechseln. Die Musik ist cool, abwechslungsreich, da tauchen auch mal Versatzstücke aus Synthiepop, Hip-Hop, Metal oder gar Country auf. „Bubbles“ endet mit einem Knall und geht über in die wunderschöne Ballade „Re-Arrange“. „That Golden Rule“ kommt dann aber schon wieder mit einem solche brachialen Bass und Schlagzeug, dass die Ohren vibrieren, und doch lebt das Stück von den akkuraten, opferwilligen Gesang. Würde auch zu Dave Grohl passen, wenn da nicht dieser typische Progrock-Mittelteil mit den Breaks und Tempiwechsel wäre. Biffy Clyro – das ist widerspenstiger Rock voller Lust am Unfug, Harmonien, die mit einer Bestrafung des Post-Hardcore daherkommen und einem allgegenwärtigen Lobgesang, der genau das Herz der Festivalfreunde trifft.
Und dann ab 21.30 Uhr Green Day. Wollen die denn gar nicht mehr aufhören? Zweieinhalb Stunden liefert „Let’s get crazy“, ruft Gitarrist und Frontmann Billy Joe Armstrong immer wieder. Lasst uns durchdrehen. Und die Fans ließen sich das nicht dreimal sagen. Wenige Nächte nach dem Anschlag in Manchester schlägt Green Day vor allem gegen US-Präsident Trump: „Es gibt keinen größeren Idiot als ihn“, ruft Billie Joe Armstrong, 45. Das einzige, was man der US-amerikanischen Punk-Rock-Band in dieser Nacht vorwerfen kann, sind die Böller, die sie immer wieder losließen. Beim ersten Krachen bleibt das Publikum für eine Sekunde wie erstarrt. Ein Anschlag? Nein! Gott sei Dank nicht, sondern nur diese idiotische Beigabe zur Show, als würden die Flammen, die vor der Bühne hochschießen nicht reichen.
Green Day sind schon lange im Geschäft. Und viele ihrer Fans waren noch nicht auf der Welt oder noch wahnsinnig jung, als es in den späten 1980ern losging. Seitdem hat Green Day die Definition von Punk erweitert. Natürlich sind sie keine Ramones, aber sie haben das Zeug für eine glänzende Live-Band. Und so spielen Green Day jede Menge Songs ihres Mega-Albums „Burnout“, „Basket Case“ und „She“ reißen die Leute mit. Und irgendwie sind sie immer noch glaubwürdig, wahnsinnig vital, auch mal brachial, ehrlich und originell. Logisch, dass auch politische Statements nicht ausbleiben: “Say no to Donald Trump! Let’s say yes to unity.”
Und Armstrong hat schon ein ziemliches Talent, die Leute bis zur letzten Grashalme anzusprechen und immer wieder zu animieren mitzumachen. Immer wieder holt der Frontman Fans auf die Bühne, überlässt ihnen das Mikrofon oder sogar seine Gitarre. Ein elfjähriger Junge konnte sein Glück nicht fassen, als er auf die Bühne und die Klampfe spielen durfte – und dann sogar die Gitarre zum Geschenk mitnehmen durfte. Wow-Effekt.