Eddie Vedder ist schon eine coole Socke. 30 Jahre und zehn Tage nach dem legendären Auftritt von Pearl Jam beim Pinkpop Festival steht er am Samstag auf der Bühne und erzählt wie es damals war, als er auf den Kamerakran stieg und von dort aus in die Menge sprang. Rob, den Kameramann von damals, dessen Bruder währenddessen alles aufnimmt, holt er auf die Bühne und dankt ihm für den etwas wackligen Einsatz. Derweil laufen über die Leinwände die Bilder von einst. (Fotostrecke hier)
Von Dylan Cem Akalin
Pearl Jam, das war ein wilder Haufen aus Seattle, der Brutstätte des Grunge, eine Band von unbändiger, ungeschliffener Ausgelassenheit, einer fast zügellosen Power. Einem Ausdruck, der einem den Atem raubte. Eddie Vedder war ein Sänger mit einer rauen Stimme und einer Energie, die kaum zu zähmen schien.
30 Jahre später ist das freilich anders. Eine leere Bühne, ein Pianospiel. Dann kommt die Band auf die Bühne. Eddie Vedder im Freizeitlook mit einem Stapel Papiere unterm Arm. Und dann geht’s gleich mit einem Lieblingssong der Menge los. „Even Flow“. Früher, da hatte er noch diesen zornigen Gesichtsausdruck, schüttelte die langen Haare und presste die Worte raus. Die Gitarre hatte vielleicht auch noch mehr Bluesschmutz unter den Saiten. Heute hat der Song nichts von seiner Dynamik verloren, kommt aber sehr viel hymnischer rüber. Erster Gänsehautmoment!
Und während Stone Gossard sein erstes fulminantes Solo spielt, sortiert Vedder erstmal seine Papiere hinter dem Monitorlautsprecher, zieht seine Jacke aus und gibt dann für den Rest der Nacht Vollgas. Animiert die Menge zum Klatschen. Zum Hüpfen.
Mit „Why Go“ kommt dann gleich die nächste Nummer aus dem legendären Album „Ten“. Was für eine Hingabe, was für ein Knurren in der Stimme. Das hat sich Vedder erhalten. Die Lebenslust, die Leidenschaft für die Musik. Und die Gitarre nach dem Chorus! Sagenhaft.
„Low Light“ bringt ein wenig Ruhe, Gänsehaut einer anderen Art. Ich habe „Elderly Woman Behind The Counter In A Small Town“ immer geliebt, weil es eine einfache Geschichte auf diese zerbrechlich-grobe Art erzählt. Genau dieses Gefühl bringt die Band auch live rüber. „Dance of the Clairvoyants“ ist dann erste neue Song vom Album „Gigaton“ (2020). Eine metallisch-funkige Grundstimmung, fiebrig-unruhig im Verlauf, passt zur brüllenden Hitze.
Wer hätte damals gedacht, dass diese Band so eine feste Größe im Rockzirkus bleiben würde? Viele alte Weggefährten aus der Seattle-Grunge-Bewegung sind längst Geschichte: Nirvana, Soundgarden, Alice in Chains… Kurt Cobain, Chris Cornell sind tot, Mark Lanegan von den Screaming Trees starb Anfang dieses Jahres. Das geht einem durch den Kopf während „Wishlist“ eindringlich unter die Haut geht.
Und dann spielen sie auch noch Neil Youngs „Throw Your Hatred Down“. Zum Heulen schön. Das soll nicht die letzte Referenz des Abends gewesen sein. Crowded House, Pink Floyd, die Rolling Stones, sie werden von Pearl Jam auf ihre Art gefeiert. Schöne Geste einer Truppe, die sich sowas wie die jugendliche Freude am Rock ‚n‘ Roll bewahrt hat. Und die Power hat sie live auch noch. Immerhin ist es zum ersten Mal seit 1994, dass sie ein Stones-Cover („Street Fighting Man“) spielen. „Comfortably Numb“ klingt bei Eddie Vedder natürlich etwas leidenschaftlicher, gequälter, vielleicht sogar ehrlicher als bei Pink Floyd. Das Gitarrensolo versucht Gossard gar nicht erst wie David Gilmour zu spielen – und siegt damit!
Beeindruckend, wie die Band das Niveau konstant hält. Nach einer Stunde kommen dann nochmal die Songs der frühen Jahre „Daughter“, „Better Man“ und „Jeremy“. „Wie vor dreißig Jahren“, strahlt Vedder nach „Alive“, während er aus einer Flasche Rotwein trinkt. Nicht ganz. Aber immer noch fantastisch.