Okay, Pannen passieren. Lenny Kravitz kommt fünf Minuten später auf die Bühne, als es der enge Zeitplan vorsieht. Er hätte wohl gerne die vollen 75 Minuten abgeliefert. Aber die Organisatoren des Pinkpop Festivals sind unerbittlich und holen ihn pünktlich um 20 Uhr von der Bühne. The Show must go on. Ein abruptes Ende eines sonst fantastischen Auftritts. Und es gab an diesem Pfingstsonntag noch mehr zu erleben.
Von Dylan Cem Akalin
28 Songs spielt The Cure, und „Boys Don’t Cry“ kommt als letztes. Da geht es schon stramm auf Mitternacht zu. Ist schon eine Weile her, dass ich The Cure live gesehen habe. In solch großem Rahmen vor knapp 80.000 Zuschauern schon gar nicht. 1980 bis 1982 sah ich die Band von Robert Smith viermal in der Mülheimer Stadthalle. 1987 zog es die Band schon in die Kölner Sporthalle. Ich war damals skeptisch. Doch es funktionierte, zumal vor allem das Album „Kiss Me Kiss Me Kiss Me“ im Vordergrund stand, also das Album, mit dem The Cure einen Schritt in Richtung Mainstream gingen.
Und heute? Ja, wir sind alle älter geworden. Aber die Musik hat immer noch ihren dunklen Romantikcharme des Wave/Post-Punk/Gothic. Gitarrist Reeves Gabrels ist seit sieben Jahren bei The Cure, und der vielseitige Saitenkünstler bringt eine Menge Sounds in die Musik der Cure. Er ist der Mann für Soundebenen, für Gitarren voller anhaltender Klanggrundlagen. Aber er bringt auch harten Rock, ja Metallanteile in die Musik – so wie bei „Fascination Street“.
Cherokee auf Erkundungstour
Im Kopf versuchen wir die Sounds von früher in Einklang zu bringen mit dem, was wir heute hier hören. Die Schärfe, das Kantige, das Helle ist gewichen, diese sparsame Effektivität, die The Cure einst ausmachte, hat einem breiteren Arrangement Platz gemacht. Das klingt gut – aber anders. Gerade ältere Stücke verlieren dadurch ihre prägnante Physiognomie. „From The Edge oft he Deep Green Sea“ klingt ein wenig überladen (allerdings spielt Gabrels hier ein himmlisches Solo!). Bei „Play For Today“ dominieren tiefe Keyboardstrukturen, bei „A Forest“ bekommt der Bass eine herausragende Rolle, diese durch den Phaser modulierten Frequenzen der Gitarre, die so bestimmend sind, bleiben indes. Der Basspart passt ganz gut zu dem Stück, und am Ende beschert uns Simon Gallup ein wahres Bassdonnerwetter.
Gallup hat sich mittlerweile zu einer Art Cherokee entwickelt mit seinen langen Haaren, dem flüchtigen Dutt und den hautengen Hosen, und er ist der Einzige, der die ganze Zeit über in Bewegung ist, leichtfüßig wie ein Krieger auf Erkundung. Beim „Lovesong“ indes übertreiben es sowohl Gallup als auch die Jungs am Mischpult: Der Bass dominiert einfach zu sehr. Bei „High“ indes schlägt er die fetten Saiten in einer leicht orientalisch anmutenden Folge zum mandolinenartigen Gitarrenspiel von Smith. Das ist klasse.
Robert Smith bleibt einsilbig
Robert Smith war ja noch nie der Typ, der viel mit der Kommunikation mit dem Publikum am Hut hatte. So bleibt er auch an diesem Abend eher einsilbig. Als „Just Like Heaven“ beginnt, dachte ich, jetzt passiert etwas Überraschendes. Während sich die Band abspielt, spaziert Robert Smith plötzlich gemütlich bis zum äußersten linken Rand des Bühnenaufbaus. Er schaut – und geht wieder zurück an sein Mikro.
Mit „Shake Dog Shake“ startet die Band ziemlich energisch in den Abend, Tribaldrums bringen Dramatik in „Burn“, „A Night Like This“ schält sowas wie den Kern von The Cure heraus: Smiths prägnanter, melancholischer Gesang, der immer noch voll da ist (toll bei „A Forest“) und die leise Instrumentierung. „Wendy Time“ klingt zu Beginn, als würde das Stück auf einer mächtigen Kirchenorgel eingeführt. Das psychedelic-rockige „Want“ ist für mich eines der Highlights, weil es auch etwas anders und für The Cure eher untypisch ist. Bei „39“ haut Smith gesanglich wirklich alles raus, was geht. Beeindruckend, wie er sich so entspannt gegen die mächtige Instrumentierung durchsetzt.
„Lullaby“
„Lullaby“ ist einfach bezaubernd, dieses „Wiegenlied“, das Smith mehr flüstert denn singt und über das so viel spekuliert wurde, ob es Sucht und Depressionen thematisiert. Smith selbst erklärte mal, dass es über Albträume in der Kindheit handeln könnte, aber auch von Missbrauch. Wahrscheinlicher ist, dass Robert Smith seine Drogenvergangenheit damit verarbeitet.
The Cure sind aber, wenn Sie es noch nicht wissen, immer noch brillant. Entstanden in einer Ära, in der der britische Pop unverschämt exzentrisch war, wo der Punk auch viel Blödsinn hervorbrachte – Smith sagte mal, er wollte damals Punkmusik machen, die gut war – sind sie eine düstere Band mit einer kindlich-genialen Lust an der Schaffung von Melodien, die sich auf morbide Art auf Explosionen purer Freude und Liebe spezialisiert hat. Das alles kam in diesen fast zweieinhalb Stunden rüber!
Videos von The Cure live at Pinkpop 2019
Lenny Kravitz
Lenny Kravitz ist der Inbegriff von Coolness. Wie er da auf der Empore über seiner Band steht, vom Dämmerlicht und den Scheinwerfern in puren Gold gegossen und „Fly Away“ singt, macht ihm keiner was vor. Kravitz vereint die Lässigkeit eines James Dean mit der eines Al Capone. Jeder, der Gitarre spielt oder eine Band gründen will, sollte sich möglichst viel von Kravitz abgucken. Sein Hüftschwung hat nichts Peinliches. Der Mann ist einfach sexy. Auch mit weinroter Strickmütze.
Der 55-Jährige steht da auf der Plattform, als käme er aus einem anderen Zeitalter. Gibt’s solche Typen heute überhaupt noch? Die Menge flippt aus bei „Dig It“, sie flippt aus bei „American Woman“, das übergeht in eine Art Space-Reggae-Cover des Wailers-Songs „Get Up, Stand Up“, und da reißen auch schon Fäuste in die Luft.
Die coolste Band der Welt
Und der coolste Typ der Musikszene hat natürlich auch die coolste Band, die er als seine Familie vorstellt: Sein langjähriger Gitarrist Craig Ross, mit Afrohaarpracht und Funky-Klamotten, übernimmt fast sämtliche Solopartien. Einfach unglaublich. Am Bass ist Gail Ann Dorsey. Die Frau mit dem kahlrasierten Schädel, den luftigen afrikanischen Klamotten und dem wie in Marmor gemeißelten Gesichtsausdruck hat viele Jahre für David Bowie gespielt. Am Schlagzeug ist Franklin Vanderbilt, an den Keyboards George Laks. Und einen Bläsersatz hat Kravitz auch noch dabei: Die holt er selbst beim Wailers-Song auf die Bühne: Cameron Johnson (Trompete), Michael Sherman (Baritonsaxofon) und Harold Todd, der später noch ein paar Soloeinsätze am Tenor hat.
Leise geht es auch zu. „Fields of Joy“ singt Kravitz mit hoher leiser Stimme, und der Song hat was von den Beatles. „Freedon Train“ lebt von diesen stoisch gespielten Gitarrenriffs, bei „Who Really Are The Monsters“ drohen die Bässe den Asphalt vom Platz aufzureißen. Bevor er „Stillness Of Heart“ singt macht Kravitz noch ein Statement: Er betont die Diversität, die Unterschiede und das Imperfekte am Menschen machten doch das Leben so interessant. Und gegen Facebook, Instagram & Co schimpfte er auch: Da ginge es doch nur, alle Menschen zu programmieren, er rief die Leute auf, doch mal Verzicht von „diesem Scheiß“ zu üben. Der Typ vor mir kommentierte da mit einer Videoaufnahme mit seinem Smartphone.
Dann brüllt die Menge „It Ain’t Over ‚Til It’s Over“ mit, hört bedächtig bei „Can’t Get You Off My Mind“ zu, wippt lässig bei „Low“ mit. Wir hören noch „I Belong to You“, „Where Are We Runnin‘?“ und natürlich den Megahit „Are You Gonna Go My Way“, bevor Kravitz mit „Love Revolution“ zu einer Umwälzung aufruft: „Wir brauchen eine Revolution, wir brauchen eine neue Verfassung“! Es war Konzert voller Gitarren, cool, sexy, roh, auf den Punkt, Rock n Roll halt!
The Kooks
Am Nachmittag überzeugten The Kooks mit energiegeladener Musik. Frontmann Luke Pritchards Gesang stieg in die Höhe und hielt der Herausforderung auf der Hauptbühne stand. Die Band trat mit einem Selbstbewusstsein auf, würden sie nur in Stadions spielen.
Bevor Pritchard „Bad Habit“ startete, ließ er das Publikum erstmal im Rhythmus Gröhlen und sang zunächst dazu a capella, doch schon bald donnerten Trommeln wie von einem afrikanischen Stamm, in das eine bluesbetonte Gitarre einstieg. „Seaside“ singt Pritchard zur Begleitung einer akustischen Gitarre. „Do You Wanna“ ist schneller und aggressiver als viele Songs der Kooks und bekommt im Mittelteil eine psychedelic-rockige Einlage. „Junk oft he Heart“ klingt, als wäre es ein Coldplay-Song, und „No Pressure“ ist einfach bezaubernd.
Barnes Courtney ist die Überraschung
Joe Savoretti kann nebenan im Zelt das Publikum mit seinem italo-angehauchten britischen Singer/Songwriter-Pop überzeugen.
Der Sänger Barns Courtney jedoch brachte die Menge auf der kleinsten Bühne des Festivals richtig wach. Am Ende machten sie mehr Krach, als das Publikum vor der Hauptbühne. Courtney spielte ein kraftvolles Set, das das Publikum überwältigte. Das Spielen von Publikumsmagneten wie „Glitter and Gold“ und „Fire“ ließ seine starken Rocker-Vocals glänzen. Er nutzte auch seine unglaubliche Bühnenpräsenz, um die Menge zu begeistern. Die Menge liebte jede Minute seines Auftritts.
Ansonsten gab es viele holländische Acts, darunter auch niederländischen Rap (nicht so meins), der bei unseren Nachbarn so erfolgreichen Band Krezip um die präsente Jacqueline Govaert. Die 17-jährige Au/Ra (Jamie Lou Stenzel) mit Electropop. Zu später Stunde sorgte Trance-DJ Armin van Buuren mit Armins riesiger LED-Wand, Flammenwerfern, Feuerwerk und Marco Borsato und Davina Michelle für Stimmung.