Die Füße tun weh, aber der Körper ist gelöst. Wenn da nicht jeder verkrampfte Muskel im Körper nach diesem Act wieder entspannt ist, dann hat man etwas falsch gemacht. Jamiroquai haben am Samstagabend am ersten Tag des dreitägigen Pinkpop Festivals im niederländischen Landgraaf eine deutliche Marke hinterlassen. Ein grandioser Auftritt der britischen Acid-Jazz-Band um Jay Kay. Und sonst?
Von Dylan Cem Akalin
Pinkpop eben. Gibt es sonst noch ein Festival, wo es so entspannt zugeht, wo das Publikum so mitgehen kann? Das Wetter am Samstag hat Gott sei Dank gehalten, was vorhergesagt wurde, auch wenn immer wieder bedrohlich aussehende dunkle Wolken am Himmel auftauchten, hin und wieder ein fetter Regentropfen herunterplumpste. Jan Smeets jedenfalls konnte mit dem Verlauf und der Resonanz des ersten Festivaltags zufrieden sein. Am Ende sollen fast 180.000 Menschen die 50. Ausgabe des Festivals an diesem Pfingstwochenende besucht haben. Wohl das letzte Mal zu Pfingsten. Der Termin soll, das hatte Smeets ja bereits im Gespräch mit uns angekündigt, drei Wochen in den Sommer hinein verschoben werden.
Cage The Elephant
Bei Cage The Elephant stand Smeets jedenfalls in der ersten Reihe und sah ziemlich vergnügt aus. Konnte er auch sein. Der 35-jährige Frontmann Matt Shultz legte eine sagenhafte Show ab und hatte am Ende sicherlich einen Halbmarathon zurückgelegt. Gekleidet mit einem grauen Anzug und schwarzen Gummihandschuhen gab er theatralisch eine Figur ab, die zwischen Uriah Heep, Dorian Gray und Mick Jagger lag. Sehr beeindruckend, was er während seines Gesangs für körperliche Haltungen, sportliche Verrenkungen und Sprünge vollzog.
Shultz ist eine lebendige Gummiactionfigur, die man verdreht und die immer wieder in den ursprünglichen Zustand zurückkehrt. Seit ihrem Debütalbum von 2008 hat sich die Gruppe verpflichtet, den kulturellen Verfall des Rock im 21. Jahrhundert lautstark aufzuhalten. Die Band tritt auf, als stamme sie in direkter aristokratischer Linie vom Rock’n’Roll der 1950er Jahre ab, als gehörten der Psychedelic Rock der 1960er Jahre, der Glam Rock der 1970er Jahre, Punk, New Wave und der Grunge der 1990er Jahre zu ihrem heiligen Stammbaum. Und der Blues. „I Love The Blues“, ruft Shultz begeistert von der Bühne und später: „Isn’t freedom good?“ Ja, ist sie. Und genau diese Freiheit wird bei Pinkpop gefeiert.
Rotziger Punksound
Cage The Elephant haben uns gezeigt, dass man auch zeitgemäßen Rock machen kann, wenn man mit der Vergangenheit verbunden ist. Ihre Musik ist voller klanglicher und struktureller Anspielungen, die aber so flüchtig sind, dass man sie kaum fassen kann, aber man erkennt die DNA. Und dann sind auch noch die Texte so gut: „Ready to Let Go“, die erste Single aus „Social Cues“, zum Bespiel zeigt den Moment des Zusammenbruchs einer Beziehung. Eine Garage-Rock-Fuzz-Gitarre zerrt, ein Drumbeat im geloopten Hip-Hop-Stil pulsiert, und dann singt Shultz: “On both sides the vow was broken,” Shultz sings. “Oh my my I’m the one/Trying to hide this damage done.” Großartig.
Der rotzige Punksound bei „Social Cues“ erinnert an alte The Strokes-Alben. Der Song erzählt von Angst und Exzessen und weist mit seinem Hook auf David Bowies „Ashes to Ashes“ hin. Mit rauer rauen Stimme warnt Shultz, er wisse nicht, ob er diese Rolle noch länger spielen kann und erwägt einen Selbstmord: “The best die young/immortalize”. Doch es gibt Trost: „At least you’re on the radio.” Der Auftritt ist neben Jamiroquai das beste an diesem Tag.
Golden Earring, Mit. Atlas, George Ezra und Yungblud
Golden Earring beglückt am Nachmittag die Hardcorefans mit teils genialen Momenten, aber auch einigen stimmlichen Schwächen – vor allem von George Kooymans. Aber Sänger Barry Hay, der ja „erst“ 1967 zu der 1961 gegründeten Band stieß konnte ebenso überzeugen wie Cesar Zuiderwijk (seit 1970 dabei), der bei „Radar Love“ ein erstklassisches Drumsolo bot.
Eröffnet wurde das Festival schon mittags von der deutschen Band Mt. Atlas, die Stoner, Grunge und Garagerock kombinieren. Der 21-jährige englische Musiker Yungblud lockte mit seinem Alternative Rock/Ska vor allem jüngeres Publikum. George Ezra war ziemlich gut gelaunt. Er startet mit „Don´t matter now“, der ersten Single-Auskopplung des zweiten Studioalbums „Staying at Tamara’s“. Der 25-Jährige mit dem Jungengesicht überrascht mit dunkler, prägnanten Stimme. Ezra spielt sich durch seine zwei Alben und erzählt dazwischen viel über seine Songs. Intime Stimmung auf der großen Bühne. Sein aktuelles Album ist ja in Barcelona entstanden, wo er bei einer Tamara gewohnt hat, „Budapest“ vom ersten Album entstand während einer Bahntour durch Europa. Netter Auftritt, vor allem etwas für seine Fans.
Hippo Campus und Jacob Banks
Hippo Campus bezeichnet ja ein besonderes Areal in der Gehirnstruktur. Die Band um Jake Luppen (Gitarre), Nathan Stocker (Leadvocals), Zach Sutton (Bass / Keyboard), Whistler Isaiah Allen (Schlagzeug) und DeCarlo Jackson (Percussion und Trompete) ist sicherlich eine Band mit Potenzial. Die Indie-Rock-Band aus St. Paul, Minnesota, die sich 2013 noch vor ihrem High-School Abschluss gegründet hat, zeichnet sich durch mitreißende Vocals aus, durchzogen von ätherisch klingenden Gitarrenlinien und äußerst komplexem und nachdenklichem Songwriting. Songs wie „Way It Goes“ und „Simple Season“ reflektieren vergangene Erlebnisse und blicken hoffnungsvoll in die Zukunft, wobei sie auch textlich wunderschöne Bilder zeichnen. Die Instrumentierung hat eine gewisse Subtilität. Indes fand ich, dass die Band ziemlich lustlos rüberkam. Schade.
Jacob Banks aus Birmingham schafft seelenvolle Songs, in denen seine raue, grobe Stimme einen wundervollen Kontrast aufbaut. Trotz des ruhigen Souls erreicht er das Publikum, unter anderem auch mit einer Coverversion von Coldplay „Fix You“.
Jamiroquai!
Was für ein genialer Sound bei Jamiroquai! Der problematische Kopfschmuck der amerikanischen Ureinwohner, den Jay Kay früher trug, wurde gegen einen LED-Helm ausgetauscht, dessen Stacheln sich mal legen, mal aufrichten, wie bei einem Ankylosaurier. Und sie leuchten wie die Krone eines Außerirdischen. Jay Kay singt aber immer noch mit einer Stimme, die so geschmeidig dahinfließt wie warme, flüssige Schokolade.
Von den unbeschwerten Synths des Openers „Shake It Off“ und den sinnlichen Grooves von „Little L“ bis zu den pulsierenden Basslinien von „Canned Heat“ war die Performance eine Meisterleistung der Acid-Jazz-Funk-Ästhetik. Eine Show, die nicht ihre Munition in explosiven Ausbrüchen verfeuert, sondern es den Groove eher beständig köcheln lässt. Dabei baut die Band auch zwischendurch ein paar clevere Stolpersteine ein, die einen losreißen vom gängigen Elektro-Funk. Dazu laufen auf der Leinwand im Hintergrund jede Menge futuristischer Bilder, mal jagt die Kamera durch elektronische Schaltkreise, mal tanzen Schatten von Frauen James-Bond-mäßig vor ampelgrünen Scheiben, mal erscheinen unwirkliche Landschaften in Donner und Blitz.
Paul Turner sorgt für pumpende Bassläufe und lässt seinen fünfsaitigen Bass auch schon mal Knallen wie Mark King von Level 42. Rob Harris ist ein so eleganter Gitarrist, der die Gesamtstimmung der Band mit seinen wie auf der Rasierklinge balancierenden Rhythmen und Linien immer auf auserlesenem Ausdruck hält. Die Keyboard-Strings klingen wie aus den 70ern, der Sound ist aber galaktischen Ursprung. Um uns herum wird getanzt. Es gibt nur lächelnde, glückliche Gesichter.
Die Nacht gehört dann Elbow und Mumford & Sons. Aber die hätte es fast gar nicht mehr gebraucht…