Der zweite Tag beim Night Of The Prog Festival 2019 im Loreley Amphitheater war abwechslungsreicher als der erste und voll mit sensationellen Auftritten. 4000 Zuschauer erlebten zudem die Wiedererweckung der frühen Pink Floyd-Stärken mit Drummer Nick Mason und seiner Band – darunter Spandau Ballet-Gitarrist Gary Kemp.
Von Dylan Cem Akalin
„One of These Days“ ist so epochal. Das ganze Pink-Floyd-Album „Meddle“ ist schon ein erstklassiges Werk, und dann steht der Song auch noch zentral in dem Musikfilm Live at Pompeii von 1972. Und die Band hat ja damals schon mit ihrem grandiosen Sound beeindruckt – und Maßstäbe gesetzt. Als das Windrauschen einsetzt, da sind schon jede Menge Fans ganz aus dem Häuschen. Der Song mit diesem echodurchsetzten, industriell-rhythmischen Basslauf, den Gitarren, die wie Samuraischwerter die Luft durchschneiden, diese ausgedehnte, vieldimensionale Klangwelle, die wie ein lebender, wolkiger Organismus den Körper zu erfassen scheint, ist der absolute Höhepunkt der bisherigen zwei Tage des Night of the Prog Festivals auf der Loreley von Nick Mason’s Saucerful Of Secrets.
Leider beschließt der Song fulminant das Set der Band, zu der neben Mason und Kemp außerdem noch Gitarrist Lee Harris (Blockheads), Guy Pratt am Bass und Komponisten Dom Beken (Keyboards) gehören. Dann kommen zur Zugabe noch zwei nicht minder bedeutende Frühwerke der Progressive/Psychedelic-Rock-Band. Die gut eindreiviertelstündige Show widmete sich überhaupt nur den ganz frühen Stücken der Prä-Dark-Side-of-the-Moon-Ära.
Interstellar Overdrive
Es war einfach eine Freude zu sehen, wie Mason und mit seiner Band – den Gitarristen Gary Kemp und Lee Harris, dem Bassisten Guy Pratt und dem Keyboarder Dom Beken – geradezu davonflog auf dieser Musik, die geprägt war von jede Menger Experimentierfreudigkeit und surrealem Pop.
Die Show begann mit den psychedelischen Soundcollagen von „Interstellar Overdrive“ und „Astronomy Domine“. Und wir merken schnell, dass diese Ära von Pink Floyd – vom psychedelischen Rock von Syd Barrett geprägt – mit den vielleicht insgesamt viel zu unterbewerteten Meisterwerken „Meddle“ und „Obscured by Clouds“ mindestens genauso kreativ war wie „Dark Side oft he Moon“ und alles, was danach kam. Vielleicht waren sie sogar noch risikofreudiger, und es zeigte schon, dass die Vielfalt der Sounds und Herangehensweisen einfach atemberaubend war und ist – von den eher unkomplizierten Pop/Rock-Nummern bis hin zu den ausgedehnten experimentellen Stücken.
Und die psychedelische Syd Barrett-Ära war gut vertreten an diesem Abend, reichte vom Straight-Up-Pop/Rock von „Arnold Layne“ und „See Emily Play“ bis eben zum experimentellen Opening „Interstellar Overdrive“. „Astronomy Domine“ ist da sowas wie ein Kompromiss zwischen diesen beiden Extremen.
Die klassischen Pink Floyd
Das Programm führt uns durch das kristallklare „Remember A Day“ und das üppige „Fearless“, zu „Remember a Day“ und das witzige „Vegetable Man“, das die Originalformation von Pink Floyd nie live aufgeführt hat, so Mason. Nach dem Erfolg von „Arnold Layne“ und „See Emily Play“ wollte Floyds Plattenlabel, dass Syd weitere ähnliche Pop-Songs schreibt. Er war nicht interessiert und fand es eher langweilig. „Vegetable Man“ war wohl mehr als Verarsche gemeint. Es ist auf jeden Fall eingängig, und es hat einen merkwürdigen Text, in dem der Protagonist gelbe Schuhe trägt und der Blues nach blauer Samthose stinkt.
„A Saucerful of Secrets“, nach der Masons Band natürlich benannt ist, entstand beim „Ummagumma“-Projekt, das halb live, halb im Studio aufgenommen wurde. Es zeigt Floyd wohl in ihrer klassischsten Form.
Am Nachmittag hören wir noch Tim Bowness, „t“ (Thomas Thelen), Karcius aus Montreal und die französische Truppe Lazuli.
Bowness betreitet sein Set neben Stücken aus seinem aktuellen Album „Flowers at the Scene“ vor allem aus Material der Band No-Man, die er zusammen mit Steven Wilson führt.
Hinter „t“ steckt der deutsche Multiinstrumentalist, Sänger und Produzent Thomas Thielen, der an diesem Abend zum ersten Mal mit seiner eher melancholisch-trübsinnigen Musik live zu erleben war.
Starker Auftritt: Karcius
Karcius kommt aus Montreal und begeistert mit ihrer sehr autarken Mischung aus Fusion, Rock, Pop, World, Klassik und Jazz. In ihrer Musik blitzen mal Pink Floyd, mal Emmerson, Lake &Palmer, mal Opeth, Porcupine Tree und Folkanklänge auf. Simon L’Espérance (Gitarre), Thomas Brodeur (Drums), Sébastien Cloutier (Keyboards) und Sylvian Auclair (Bass, Vocals) sind so versierte Musiker, dass sie die teilweise komplizierten Strukturen federleicht präsentieren. Das hat Cloutier auch schon mal völlig experimental-jazzige Läufe raus, die L’Espérance dann zu rasanten rockmelodischen Gitarreneskapaden entwirrt.
Cloutier ist ein Gitarrist, der das breite David Gilmore-Soundvolumen mit dem genreübergreifenden Klangmodell eines Mikael Åkerfeldt verbindet. Das wird vor allem bei „Watch Out“ ersichtlich. Die Songs haben wunderschöne Instrumentenschichtungen, von der akustischen Kraft von „Absence of Light“, dem mystischen, östlich klingenden „Hardwired“ bis hin zu Prog Metal-Stücken.
Fantastisch: Lazuli
Ganz starker Auftritt und damit bei den Topacts des bisherigen Festivals: Lazilu. Schon optisch geben die Franzosen etwas her. Mit ihren schwarzen Überhosen, Röcken und Schürzen und den langen Haaren sehen sie aus wie aus einer anderen Zeitdimension. Und schon beim Opener machen sie klar, wo die musikalischen Akzente liegen: da erklingt ein Horn von Keyboarder Romain Thorel mit orientalischen Weisen, tiefröhrende, an Didgeridoo erinnernde Sounds, über denen helle Xylophone tänzeln. Und dann setzen diese wuchtigen Drums zum hohen Gesang ein. Dominique Leonetti, der Mann mit dem geflochtenen Kinnbart, hat zwei Gesichter. Stimmlich gesehen. Der sympathische Frontmann der Band versetzt seine Stimme in hohe Lagen und hat dabei eine weibliche Ausdruckskraft, dass man meint, da müsste noch jemand auf der Bühne stehen.
Sein Bruder Claude ist der Mann an der sogenannten Léode, ein Instrument, das er selbst entworfen hat, nachdem er bei einem Motorradunfall einen Großteil seiner linken Hand verloren hatte. Es erinnert ein wenig an der Chapman Stick, eine Mischung aus Bass, Gitarre und Keyboard, aber die Sounds sind vielleicht sogar noch weitreichender: Er erzeugt damit türkische, arabisch-nomadische, wehklagende Singstimmen, satte Bässe oder Linien wie vom Lap Steel. Gédéric Byar erinnert von der Ferne etwas an den Soundgarden-Gitarristen Kim Thayil und hat einen Sound, dass es einem heiß den Rücken runterläuft, Schlagzeuger Vincent Barnavol hat bis zu diesem Zeitpunkt das am besten abgemische Schlagzeug und ist auch einer der stärksten Drummer des Festivals. Zur Zugabe spielen alle Musiker an einem Xylophon, als letztes Pink Floyds „Money“. Was für ein Übergang zu Nick Mason!