Das Gewimmel ist aus dem dichten Dunst nur als entferntes Crescendo zu hören. Die Posaune dringt einem Nebelhorn gleich nur ganz sachte aus dem schummrigen Licht, bis sich das Saxofon zum Dialog bereit ist. „Dust City“ ist der Opener auf dem neuen Album der französischen Jazz-Powerband Ozma. Und wie sich die Instrumente um sich winden und in harmonischer Einigkeit zu einem Wirbel aus kakophonischen Ausbrüchen verbinden, der in einem einzigen Kraftausdruck endet. Das ist großartig. Es ist das musikalische Porträt der Millionenstadt Peking. Auf „Hyperlapse“, dem siebten Studioalbum von Ozma, sind zehn solcher Porträts vereint. Und das ist ganz großes Filmtheater!
Von Dylan Cem Akalin
Das ist ein ganz moderner Ansatz des Jazz. Elektonic, ProgRock, Experimentelles fließen mit Elementen der Filmmusik zu einem spannenden Konglomerat der unterschiedlichsten Ausdrucksformen zusammen. Das Titelstück, das für Hamburg steht, thematisiert eine babylonische Sprachvielfalt, die sich in einer sehr elektronisch bestimmten Beschaffenheit entwickelt. Bandleader und Schlagzeuger Stéphane Scharlé hat alle Stücke unter dem Eindruck ihrer Welttournee komponiert. Julien Soro (Saxofon und Keyboards), Édouard Séro-Guillaume (Bass und Keyboards), Tam de Villiers (Gitarre) und Guillaume Nuss (Posaune und Effekte) setzen das angeregt, dynamisch und, wo nötig sehr dramatisch um. Das klingt schon sehr rätselhaft, wenn die Truppe über die Terrakotta-Armee in Xi’an erzählt.
„Wir erzählen uns gerne Geschichten, das hilft uns, unsere Stücke zu strukturieren“, sagt Scharlé, der Jazz am Konservatorium Straßburg studiert hat und ergänzt: „Diese Geschichten vertonen wir und erzählen sie dann unserem Publikum. Natürlich kann man ein Stück wie Clay Army gänzlich unbeeinflusst auf sich wirken lassen. Aber wenn ich verrate, dass die beeindruckende Terrakotta-Armee im chinesischen Xi’an gemeint ist, dann verbindet es die Zuhörenden noch mehr mit unserer Musik und hilft ihnen, das nachzuvollziehen, was wir dort gesehen haben.“
An die Angebetete in Marrakesch
„À Leila“ ist eine Ballade für die Angebetete in Marrakesch. Wenn sich das Saxofon aus dem sich steigernden Posaunenchorartigen Background freispielt, ist das Gänsehaut pur. Dann übernimmt die Posaune zu einer rhythmisch ansprechenden an einen lebendigen Markt erinnernden Begleitung das Wort und löst die melancholische Spannung auf.
Geheimnisvolle an die Didgeridoos der Aborigines hinweisende Sounds zu violinenartigen Gitarren leiten ein Stück ein, das einmündet in eine sehr merkwürdige musikalische Stimmungslage. Die Rhythmusgruppe könnte auch zu einer psychedelischen Progrock-Band aufspielen, die Bläser jagen los wie zu alten Zeiten von Art Blakey’s Jazz Messengers und das Saxofon spielt ein orientalisch angehauchtes Solo. Am Ende einigt man sich dann auf eine Hardbop-Grundlage, um dann doch wieder auf Fußspitzen einen entrückten Ausgang zu suchen. Sagenhaft! „Spleen Party“ ist Ahmedabad gewidmet.
Der Wahnsinn und die Ruhe
Mumbai ist für die Band ganz offenbar ein musikalischer Quell für eine Komposition zwischen Ruhe und absoluter Hektik. „Tuk-Tuk Madness“ lebt, wie alle Stücke, von den solistischen Vielseitigkeiten. Die Posaune erzählt so vielschichtig und lässt dabei den ungewöhnlichen Begleitinstrumenten so viel Raum, dass die Rage, in die sich der Solist spielt, immer Teil des universellen ganzen Wahnsinns bleibt. Und dann übernimmt das Saxofon noch genau diese Dynamik, die so wild aus Soro ausbricht wie das Feuer nach einem richtig scharfen Currygericht.
„Infinite Sadness“, sagt Scharlé, „ist ein Requiem für eine zerfallende Welt, wie sie die Band auf Jakarta erlebt hat.“ Entsprechend ruhig ist die Erzählhaltung. Die Bläser lösen sich dabei immer wieder vom gemeinsamen Spiel, während im Hintergrund die Gitarre klingt wie der Widerhall aus einem verfallenen Tempel.
Der Himmel über Purwokerto
„Die Gilde“ ist eine Ode an die hanseatische Vergangenheit Lübecks. Offene Akkorde, sehr klangvolle Melodieführungen von Posaune und Gitarre, die sich wie in einem weiten Horizont auszubreiten scheinen. In Simbabwe hatte das Quintett offenbar eine sehr fröhliche Zeit verbracht. „One Night In Bulawayo“ kommt erstaunlich funky rüber – mit einem afrikanischen Takt am Ende, der einem Tanz gleich ausgelassen in eine riffartige Melodie über einer weiteren Kadenz führt.
Einen ruhigen Schlusspunkt setzt „Entre Chien Et Loup“, ein melancholisches Spiel über den wechselhaften Himmel über Purwokerto. Dieser, heißt es dazu, habe sich über den Stadt in Indonesien praktisch jede Minute verändert, als sie dort auf den Zug warteten. Das setzt Ozma mit dramatischer Geste um. Was für ein großartiges Album!