Opeth im Palladium Köln: Ein Ritt durch die Abgründe und Höhen der Progressive-Metal-Kunst

Opeth live im Palladium Köln 2025 FOTO: Peter "Beppo" Szymanski

Von Dylan C. Akalin

Mikael Åkerfeldt ist super gut drauf, geradezu in Plauderlaune. Man muss sicher nicht alles ernst nehmen, was der Opeth-Frontmann von sich gibt – etwa dass die Band ein Livealbum mit dem Coversong „You Suffer“ von Napalm Death als Highlight planen. Wer die Schweden im vergangenen Sommer live erlebt hat, weiß, dass das eine Art Running Gag ist: der kaum eine Sekunde dauert, praktisch nur aus einem trashigen Aufbäumen besteht. Klar bringt die Band diesen Spaß auch am Montagabend im ausverkauften Palladium in Köln zum Besten.

Besuch in der Kölner Kirche und im Plattenladen

Wenig spricht dafür, dass auch die Erzählungen über Bassist Martin Mendez stimmen. Er sei an dem freien Tag in Köln in die Kirche zum Beten gegangen, während er, Åkerfeldt, sich zum zehnten Mal „Escape from Alcatraz“ angeschaut habe.

Wahr hingegen dürfte sein, dass er im Parallel-Schallplattenladen einkaufen gewesen sei. Der bekennende Vinyl-Freak habe unter anderem eine Platte von Jimi Hendrix gekauft, die er zwar schon habe, und eine Platte „eines gewissen Achim Reichel“ aus dem Jahr 1972, „die wahrscheinlich scheiße ist“.

„The Last Will and Testament“

Zudem gab er zu, dass die Band nicht alle Stücke vom aktuellen Album „The Last Will and Testament“ so drauf hätten, dass sie sie live spielen könnten. Das glauben wir gerne. Denn das Album ist hochkomplex, bisweilen vielleicht sogar etwas sperrig, auf jeden Fall ziemlich anspruchsvoll. Immerhin vier Tracks aus dem Album spielt Opeth an diesem Abend: §1, §3, §7 und „A Story Never Told“. Ansonsten lässt die Setlist das Herz der Fans höherschlagen, denn es sind praktisch aus allen Schaffensphasen Songs dabei.

Ein Opeth-Konzert ist mehr als nur eine Abfolge von Songs – es ist eine Reise und eine Erfahrung für die Sinne. Der Sound ist an diesem Abend wieder einmal phänomenal, die Bilderflut von den Leinwänden beeindruckend und auf jeden Song geschmackvoll abgestimmt, die Lichteffekte bisweilen ergreifend. Allerdings muss ich anmerken, dass die Bühne oft ziemlich dunkel bleibt und die einzelnen Bandmitglieder nur schattenhaft zu sehen sind. Ja, das ist seit einigen Jahren ein Stilmittel vieler Metalbands – dennoch finde ich es schade für die Fans, die die Band auch optisch erleben möchten.

Faszinierende Band

Das Konzert am Montag ist sowas wie eine Expedition in die dunkelsten Tiefen des Progressive Metal, eine Expedition durch melancholische Klanglandschaften und eruptive, zerstörerische Riffs, die sich in orchestrale Schönheit auflösen. Am Abend ihres Auftritts in Köln beweisen jedenfalls Mikael Åkerfeldt (Gesang und Gitarre), Fredrik Åkesson (Gitarre), Martin Mendez (Bass), Joakim Svalberg (Keyboard) und Schlagzeuger Waltteri Väyrynen, der erst seit 2022 dabei ist, warum sie als eine der innovativsten und faszinierendsten Bands des Genres gelten – ja geradezu Kultstatus genießen – und das zu Recht.

Fredrik Åkesson mit Opeth live im Palladium Köln 2025 FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Schon mit dem Eröffnungsstück „§1“ werden wir von Sounds, bunten Spots und einer opulenten Ahnengalerie, zu der auch rätselhafte Symbole und Schlüssel gehören, in den Opeth’schen Erlebniskosmos gesogen. Bei „Master’s Apprentices“ rollen brutale Riffs und Åkerfeldts unnachahmlicher Wechsel zwischen dämonischem Growling und samtweichem Klargesang über uns hinweg. Die düsteren Melodien und der wuchtige Mittelteil des Songs reißen das Publikum sofort mit. Ein besonderer Moment folgt auf ein wildes Keyboardspiel: Die Band nimmt das Tempo plötzlich raus und Åkerfeldt lässt seinen Gitarrensound ins Unendliche treiben, während trostlose Bilder von kargem Geäst und dunklen, winterlichen Baumstämmen auf den Leinwänden auftauchen.

„The Leper Affinity“

Dunkle Höhlengänge, Bilder vom Tod und unwirkliche, in rotes Licht getauchte Welten begleiten uns bei „The Leper Affinity“, das mit seinen abrupten Rhythmuswechseln und melancholischen Zwischenspielen hypnotisch wirkt. Die Präzision, mit der die Band selbst die komplexesten Passagen mit spielerischer Leichtigkeit präsentiert, ist fantastisch. Der düstere Ausklang mit der melodiös-aggressiven, wah-wah-verzerrten Gitarre Åkerfeldts zu den irren Arpeggiolinien von Fredrik Åkesson, der mich von Mal zu Mal immer mehr begeistert, lässt Raum für den nächsten Stimmungswandel – der zunächst von einem klaren Pianosolo bestimmt wird.

§7

„§7“ startet mit einem ominösen Bass. Es ist ja in dem Konzeptalbum der letzte Absatz des Testaments. Ian Andersons Worte (und die Flöte) kommen aus dem Off, um zu verkünden, was der alte Patriarch seinen Kindern hinterlassen hat. Bilder des Alten tauchen auf, ominöse Schlüssel. Das Stück ist auf progressive Art anarchistisch mit vielen Wendungen und Details, die man beim ersten Hören kaum alle erfassen kann. Der Gesang wiederum wechselt von sauber zu knurrend und wieder zurück. Ein Peitschenhieb von einem Song – dynamisch, unvorhersehbar und voller Schmerz, der sich in Schönheit auflöst. Dies ist auch Svalbergs Glanzmoment. Und dann sind da noch diese großartigen Solos von Åkesson.

„Häxprocess“

Und dann kommt mit „Häxprocess“ eines meiner Lieblingsstücke auf dem Album „Heritage“. Da sind die von zwei Gitarren und dem Bass unisono gezupften Momente, das helle Piano, die leichten Folkrockattitüden, das breite Melotron, die atmosphärischen Wechsel und eine fast sakrale Melancholie, getragen von Åkerfeldts zerbrechlicher Stimme und den filigranen Gitarrenharmonien von Fredrik Åkesson. Ein Song, der dich in die Lüfte trägt. Am Ende kommt diese fast meditative Stimmung, als Åkerfeldts fast unbegleitet die ruhige Gitarre spielt, mit viel Hall und Echo. So leise hat man das Publikum im Palladium selten gehört, während einzelne Töne das Weite suchen. Wahnsinn!

Diese Stimmung setzt sich bei „In My Time of Need“ weiter, verdichtet sich vielleicht sogar noch ein wenig. Die Band flechtet noch kurze Schnipsel aus „Closure“ und „To rid The Disease“ ein. Es ist erstaunlich, wie selbst die so staccato gesungenen Zeilen so emotional rüberkommen können. Zum Schluss der Nummer füllen Melotron-Schwaden die Halle.

„The Night and the Silent Water“ und §3

„The Night and the Silent Water“ ist eine eindrucksvolle Reminiszenz an die frühen Tage der Band. Und Åkerfeldt spricht davon, dass er sich mit 50 alt fühlt. Das Stück ist auch ein beleg dafür, wie sehr sich Opeth über die Jahre entwickelt haben, ohne ihre Wurzeln zu verlieren. Die düsteren Melodien und das epische Finale erinnern an die rohe Intensität ihrer Anfangstage und wird von den Fans mit großer Begeisterung aufgenommen.

„§3“ kommt geerdeter und strukturierter als andere Tracks des Albums rüber. Hier dreht Fredrik Åkesson nochmal richtig auf. Doch die wahre Abrissbirne des Abends ist wohl „Ghost of Perdition“. Ein Paradebeispiel für Opeths Songwriting-Kunst: unerbittlich, episch und voller emotionaler Kontraste. Die Wucht des Songs reißt das Publikum endgültig mit. Besonders hervorzuheben ist das Wechselspiel aus ruhigen Passagen und heftigen Riffgewitter, das Opeth so meisterhaft beherrscht.

„A Story Never Told“

„A Story Never Told“ bietet danach eine atmosphärische Verschnaufpause, die die Spannung jedoch nicht minderte. Der Song zeigt einmal mehr die Vielseitigkeit der Band und ihren exzellenten Umgang mit der Kunst des Zerbrechlichen. Die Band hat es einfach drauf, sich immer wieder neue Klangwelten zu erschließen. Die eingebauten Schnipsel aus „The Drapery Falls“ passten übrigens ganz hervorragend. Das epische Gitarrensolo am Ende lassen mir fast die Tränen in die Augen schießen. Ist das nicht einfach nur schön?

Zwei Songs zur Zugabe

Zur Zugabe gab es nochmal zwei Höhepunkte aus dem Werkbuch der Band: „Sorceress“ mit seinem düsteren Groove und Åkerfeldts diabolischem Timbre, was eine beinahe okkulte Atmosphäre heraufbeschwört, ist ein toller Song der Band. Der schwer groovende Refrain trifft das Publikum mit voller Wucht, während die jazzigen Elemente in den Strophen für eine faszinierende Vielschichtigkeit sorgen.

Die gnadenlosen Riffs bei „Deliverance“, die verspielten Interludes und das epische Finale lassen uns in einem Zustand euphorischer Erschöpfung zurück. Der mitreißende, sich stetig steigernde Schlussriff bleibt uns noch lange im Ohr.

Was diesen Abend so besonders macht, ist nicht nur die Perfektion der Darbietung, sondern die emotionale Tiefe, die Opeth in jedem einzelnen Song entfaltet. Zwischen bombastischer Brutalität und stiller, fast zerbrechlicher Schönheit kreieren sie ein Konzerterlebnis, das weit über den Moment hinaus nachhallt. Ein Meisterwerk, eine Reise – und ein Abend, den man nicht so schnell vergisst.

Setlist Opeth Köln 2025

§1
Master’s Apprentices
The Leper Affinity
You Suffer (Napalm Death Cover)
§7
Häxprocess
In My Time of Need (Mit kurzen Schnipseln aus Closure und To rid The Disease)
The Night and the Silent Water
§3
Ghost of Perdition
A Story Never Told (mit kleinem Ausschnitt aus The Drapery Falls)

Encore

Sorceress
Deliverance

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Fredrik Åkesson mit Opeth live im Palladium Köln 2025 FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
Opeth live im Palladium Köln 2025 FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
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Joakim Svalberg und Opeth live im Palladium Köln 2025 FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
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Mikael Åkerfeldt mit Opeth live im Palladium Köln 2025 FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
Mikael Åkerfeldt mit Opeth live im Palladium Köln 2025 FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
Der Finne Waltteri Väyrynen ist der Neue an der Drums bei Opeth live im Palladium Köln 2025 FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
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