New Model Army in Köln. Das Palladium ist zu diesem traditionellen Weihnachtskonzert wieder zum Bersten voll. Und die Briten sind besser, leidenschaftlicher, präsenter.Ein geniales Konzert.
Von Dylan Cem Akalin
Justin Sullivan und seine New Model Army sind wieder wütend. Es ist wohl wieder an der Zeit, es mit den Mächtigen, mit den bestechlichen, ehrlosen Starken aufzunehmen – zumindest musikalisch. Als sich die Band 1980 gründete, sollte es sowas wie die politische Antwort der Arbeiterklasse auf den eisernen Stil der damaligen Premierministerin Margaret Thatcher sein, und das direkt aus der „Curry-Capital“ Bradford, wo Sullivan bis heute lebt. Punk, Wut, geballte Faust zur politischen Poesie. Was als zeitlich begrenztes Projekt begann, hat mittlerweile eine 36-jährige Beständigkeit, so wie das alljährliche Weihnachtskonzert im Kölner Palladium Kultstatus hat. Wieso das so ist, beweist die Band am Samstag schon vom ersten Takt an. Zuvor spielten Douglas Firs und Abwärts.
„Burn The Castle“
Die dunkle Bühne ist in rotes Licht gehüllt, sphärische Musik kündigt die Briten an, die mit ihrem Opener gleich zum Niederbrennen der Schlösser aufrufen. Sieben Stücke aus ihrem genialen aktuellen Album „Winter“ bringt die Band bei ihrem gut zweistündigen Konzert, und „Burn The Castle“ ist eines der zentralen Aussagen des düsteren Werks. Sullivan hat ganz offensichtlich die Schnauze voll von den Hofschranzen, die Politik und Wirtschaft in ihren Händen halten und nach ihren Vorstellungen formen. Schmeichelei und Heuchelei, Intrigantentum und Demütigungen, Verleumdungen, Verlogenheit und Blindheit gegenüber dem, was um uns geschieht, das alles betrachtet der 60-Jährige voller Abscheu. Sullivan schreit es raus, aber nicht mit dem Zorn eines Amokläufers, sondern eines, für den nicht einmal die Sterne Orientierung geben („Drifts“), die eines Verzweifelten, der wie in einem Traum durch die Straßen läuft, wo Gewalt, Exzesse und Gleichgültigkeit herrschen. „Ich schreie vor Wut auf die Götter des Schicksals“, heißt es in „Fate“, das so aktuell ins Programm passt wie „White Light“ (The Love of Hopeless Causes, 1993), den Sullivan mit melancholisch-treibender Kraft singt.
Traum von einer Eiszeit
Und diese Stimmung setzt sich beim Titelstück des neuen Albums fort. Sullivan beginnt zunächst alleine mit der Akustikgitarre. Es ist ein Klagelied, eine Art Traum von einer Eiszeit, die die Sünden der Vergangenheit in den eisigen Böden vergräbt, und diese Elegie steigert sich in einem donnernden Schlagzeugwirbel, was die Fans im vorderen Drittel des vollen Palladiumsaals nur noch mehr antreibt in ihrem Moshing, wo sich nackte, verschwitzte Oberkörper durch die Menschenwogen schlagen, die Arme ausgetreckt, wippend, schlagend, rempelnd zum groben, berauschten Rhythmus.
Sullivan ist keiner, der den Blick abwenden kann, erst recht nicht im Angesicht der vielen hunderttausend Flüchtenden. Was für ein unter die Haut gehender Song! „Part The Waters“ ist der Schrei aus dem Blickwinkel eines Flüchtlings, ein kluges, poetisches Spiel mit biblischen Bildern. Und Sullivan singt diesen Song mit der entschlossenen Wildheit eines Mannes, der eh nichts mehr zu verlieren hat, der zunächst völlig auf sich allein gestellt zu sein scheint. Aber als die Band den Song mit einem hymnischen Schluss beendet und die vielen Tausend ihm zujubeln, da ist es, als könnte diesen Einsamen nichts mehr verwunden. Das merkt offensicht Sullivan ganz unmittelbar. Sichtlich bewegt steht er auf der Bühne: „That fucking scares me“, sagt er.
Was für eine Dramaturgie
Was für eine Dramaturgie des Ablaufs! „Drifts“ ist genau der richtige Song, der darauf folgen kann: “You needed me because I’m not like you/And yes, I needed you because you’re not like me/And the waves will forever break/Between the shoreline and the sea”. Und so langsam hat sich der 60-jährige NMA-Chef in Rage gesungen. Zynisch brüllt er das Schicksal nieder, ein Mann ohne Furcht vor dem Tod, der am Ende von einer Sergio-Leone-Mundharmonika begleitet wird.
Und nochmal ruft er die Leute auf, die Augen zu öffnen: „What kind of stupid joke is this?/ Not to want to know and feel everything that exists/ Behind the curtain drawn by self-appointed control freaks and their apologists”, heißt es in “Devil”. Punkiger, viel härter als auf dem Album kommt “Angry Planet”.
„Born Feral“ hat etwas Archaisches. Die stampfenden Trommeln, bei denen Bassist Ceri Monger Schlagzeuger Michael Dean noch unterstützt und Marshall Gill ausnahmsweise mal den Viersaiter in die Hand nimmt, gehen ohne Umschweife ins Mark. Der händeringende Gesang, der Schrei der Trostlosigkeit, der in ein elektronisches Heulen übergeht, die Trommeln werden immer wilder, wie bei einer Voodoozeremonie. Es donnert, blaue und grellweiße Blitze auf der ansonsten dunklen Bühne. Das Stück mit seiner Roheit ist vielleicht das Highlight des Konzertabends.
„Autumn“ ist ja schon einer der positiv stimmenden Songs, das mit einer wunderschön singenden E-Gitarre startet und die segelnd durchs ganze Werk zieht. Irgendwie auch ein Tanzstück am Rande des Abgrunds: „And everything is beautiful/Because everything is dying”.
Natürlich darf auch „51st State“ nicht fehlen, „Between Dog and Wolf“ kündigt Sullivan als Liebeslied an, das er tatsächlich auch voller Hingabe singt, oder das merkwürdig-sehnsüchtige „Bad Old World“, das die Fans lautstark begleiten. „Wonderful Way to Go“, das mit einer ziemlich schrägen Gitarre startet und Sullivan orchestral begleitet, ist ja schon ein guter Schlusssong. Und doch kommt die Band, die an diesem Abend wieder fantastisch aufgelegt ist zu einer ausufernden Zugabe mit fünf Songs. Danach: nur glückliche Gesichter völlig ausgepumpter Fans.