Olympische Performance: Betterov beschwört den Zeitgeist in der Kantine Köln

Betterov FOTO: Lauritz Velthaus

Wenige Musiker*innen haben die Konzert-Zwangspause der ersten Coronajahre so effizient und erfolgreich nutzen können wie Betterov. Innerhalb der letzten zwei Jahre hat er sich mit einer Veröffentlichungsstrategie, die von einem extrem langen Atem zeugte, zu einem der erfolgreichsten deutschen Indie-Acts entwickelt – und bei seiner zweiten Headliner-Tour jemals bereits vor ausverkauften Hallen gespielt. Am Dienstag war er zu Gast in der Kantine Köln.

Von Freda Ressel

Auf die Debüt-EP 2019 folgte diesen Herbst erst das Debütalbum Olympia – die Zwischenzeit war geprägt von Singleauskopplungen, gut ausgewählten Features und einer Akustik-Livesession mit prominenten Gästen wie Tristan Brusch und Milliarden. Und plötzlich ist Betterov in aller Munde – und das mit einem Sound, der auf den ersten Blick gar nicht so massenkompatibel erscheint, einer sehr eigensinnigen Stimme und sehr persönlichen Texten.

Das Konzert in Köln wurde sehr schnell vom Luxor in die Kantine hochverlegt. Hier hat er selbst schon einmal gespielt – allerdings als Support Act für die Kaiser Chiefs. Das sei dann mal was anderes gewesen als wie sonst vor gefühlt fünf Leuten in irgendwelchen kleinen Clubs zu spielen. Heute, in der komplett ausverkauften Location, fühlt es sich nahezu absurd an, dass dazwischen nur drei Jahre liegen sollen.

Brockhoff FOTO: Lauritz Velthaus

Bevor Betterov aber überhaupt die Bühne betritt, eröffnet Brockhoff den Abend mit zauberhaftem wavigen Indie-Pop. Ein herrlich tightes Schlagzeug, schöne Gitarrenwände, verträumte Melodien und eine Stimme, die sich trotz einer offensichtlichen Angeschlagenheit nach einigen Konzertabenden auf dieser Tour direkt für meiner persönliche Riege der liebsten Sängerinnen qualifiziert: Das war wirklich eine schöne Vorband-Auswahl.

Mitsingfreudige Menge

Als das Betterov-Set dann losgeht, wird bereits durch das Licht klar, dass jetzt nochmal eine Schippe draufgelegt wird. Drei programmierte Standstrahler auf jeder Bühnenseite untermalen die Intromusik, man merkt hier, dass Betterov nicht nur Musik- sondern auch Theatererfahrung hat und weiß, dass man die Bühne mit einfachen Tricks noch etwas mehr erzählen lassen kann. Mit „Schlaf Gut“ spielt er auch direkt einen der besten Songs des Albums „Olympia“ und wird von einer mitsingfreudigen Menge empfangen. Das Stück über Schlaflosigkeit und Gedankenspiralen scheint vielen aus der Seele zu sprechen, vor allem die hoffnungsspendende Schlusszeile „In dieser Stunde in diesem Licht ist alles gut so wie es ist“.

Überhaupt trifft Betterov offensichtlich mit seinen Texten gerade einen Nerv, den es ohne die Pandemie vielleicht in der Ausprägung nicht gegeben hätte – irgendwo zwischen Depressionen und Ängsten, Leistungsdruck, Entfremdung und Einsamkeit vor Bildschirmen, aber auch in Menschenmengen können alle im Publikum andocken. Dass die musikalische Performance aller Beteiligten fantastisch ist, hilft natürlich. Unverschämt knackige 80s Basslines, die sich schön durch den Sound sägen, die vielbeschworene Wall of Sound, die der Leadgitarrist im Alleingang aufbaut und ein tightes Schlagzeug – die vierköpfige Band ist in Bestform. Betterov selbst ist trotz der vielen Konzerte noch gut bei Stimme, lediglich bei den ganz tiefen Passagen wie in „Urlaub am Abgrund“ schweift er manchmal etwas ab. Aber der triumphale Höhere Bereich mit langgezogenen Vokalen ist sowieso seine persönliche Königsdisziplin, hier fühlt er sich wohl und kann glänzen, und hier haben die Leute offensichtlich auch am meisten Spaß bei Mitsingen.

„Dussmann“

Wie sehr, das merkt man bei der nur von Betterov selbst am Klavier begleiteten Version von „Dussmann“, die komplett und textsicher vom Raum getragen wird, so dass er selber die zweite Stimme singen kann („Ihr seid die erste Stadt, in der das geklappt hat“). Da sieht man den Musiker, der den ganzen Abend einen sehr selbstsicheren und kontrollierten Eindruck gemacht hat, dann doch mal sehr gerührt und ein bisschen sprachlos.

Auch „Viertel vor irgendwas“ kommt in der reduzierten Version, bevor die Band wieder auf die Bühne kommt. Ob das hymnische „Böller aus Polen“, das hibbelige „In meiner Straße“ oder der tanzbare Indiehit „Angst“ – viele Atempausen lässt Betterov an dem Abend nicht. Sogar die beiden bereits am Klavier vorgetragenen Stücke werden nochmal in der Version mit voller Bandbesetzung vorgetragen, was begeistert aufgenommen wird. Nach 19 Songs inklusive drei Zugaben dürften fast keine Wünsche beim Publikum mehr offen sein und man wird das Gefühl nicht los, dass bei der nächsten Tour möglicherweise schon die ganz großen Hallen dran sein könnten.