Authentizität, musikalische Vollendung und schöpferische Dialoge prägten den Auftritt der britischen Sängerin Norma Winstone mit Clauco Venier am Flügel und Klaus Gesing (Sopransaxophon und Bassklarinette). Experimentierfreude und ein geradezu erfrischend respektloser Umgang mit Musikstilen von Progressive-Rock über Swing und Hardbop bis hin zu Drum’n’Bass und folkloristischen Einflüssen aus dem arabischen und afrikanischen Raum bestimmten die Musik der 15-köpfigen Jazz Big Band Graz (JBBG) unter der Leitung von Heinrich von Kalnein (Saxophone und Querflöte) und Horst-Michael Schaffer (Gesang und Trompete). Zwei wunderbare Geschichtenerzähler beendeten am Samstag das 3. Jazzfest Bonn im Forum der Bundeskunsthalle.
Von Cem Akalin
Die Welt ist ihr nicht genug: Die Jazz Big Band Graz spielt mit allerlei Sounds, ob sie elektrisch verstärkt und verzerrt von der Drehleier kommen oder wie aus den Weiten des Kosmos, ein Eindruck, den die bewegten Bilder auf der großen Leinwand dahinter bestärken. Keine Frage, die deutsch-österreichische Truppe ist ein Erlebnis für die Sinne. Schwarz-weiße dokumentarische Filmeindrücke von Fischern in ihren Nachen, Kanonen, Sportlern, Agitatoren werden mit farbigen Mustern, Bildern aus dem Weltall und Negativbildern der Musiker verfremdet und als großartige fließende Collagen an die Leinwand geworfen. Archaische Klänge mischen sich mit beeindruckenden Bläsersätzen, lyrische Gesänge werden abgelöst von mitreißenden und spannungsgeladenen Soli der Drehleier, Posaune, Keyboards oder Saxophone.
Solistische Highlights: Gregor Hilbe hat nicht nur alle Tricks eines Schlagzeugers drauf, er bearbeitet sein Werkzeug mit Händen und Stöcken, spielt elektronische Sounds hinein und schafft wunderbare Rhythmuswelten; Henning Sieverts, Echo-Preisträger von 2010 und im vergangenen Jahr bereits mit seinem fantastischen Trio auf dem Jazzfest zu hören, beweist wieder einmal sein ungeheures Klangpotenzial, und der Chef selbst, Heinrich von Kalnein, überzeugt bei dem Stück „Coming Home“ mit einem Solo auf dem Sopransaxophon, das einen Spannungsbogen zwischen Melodiösität, Expressivität und einer gehörigen Portion Risikofreude entwickelte.
Ein schaler Geschmack blieb indes: Kein Wort zum erst im vergangenen Monat verstorbenen Bandmitglied, der einzigartigen Barbara Buchholz, eine der ganz wenigen Theremin-Spielerinnen. Immerhin: Die Zugabe war ihr gewidmet, auf der Leinwand war sie nochmal auf schwarz-weißen Bildern zu sehen.
Norma Winstone ist eine Sängerin, die ihre Stimme im wahrsten Sinne des Wortes als Instrument einsetzt und alle Klangfarben beherrscht. Ihre klare Phrasierung, ihre Professionalität, ihre Fähigkeit, jede Emotion zum Ausdruck zu bringen, haben ihr zu Recht viele Preise eingebracht. Sehnsucht, Liebe, Wahnsinn, Einsamkeit – das alles kann die Britin mit ihrem Gesang ausdrücken wie kaum eine andere Sängerin aus der Jazzszene.
Sagenhaft: Ihre Interpretation des Peter Gabriel-Songs „Here Comes The Flood“. Winstone, die bereits in den 70er und 80er Jahren mit ihrem Mann, dem Pianisten John Taylor, und dem Hornisten Kenny Wheeler mit ungewöhnlichen musikalischen Abenteuern für Furore sorgte, spielt seit etwa zehn Jahren mit dem italienischen Pianisten Glauco Venier und dem deutschen Klaus Gesing, der aus der Bassklarinette auch schon mal ein Perkussioninstrument zaubern kann. Besonders eindrucksvoll waren die improvisierten Gesangsparts, wenn Winstone scheinbar mühelos ihre stimmliche Klangfarbe umschalten konnte, im Duett mit dem Klavier oder im rasanten Wechselgesang mit dem Sopransaxophon oder der Bassklarinette. Der letzte Abend des Jazzfest war gewiss das Tüpfelchen auf dem i.