Das Hochwasser steigt. Noch ist der Keller trocken, aber Nobbis Plattenladen ist in Rheinnähe – und der Keller voller Schallplatten. Zwei Tage lang hat er die Kisten in Sicherheit gebracht. Über zu wenig Arbeit kann sich Norbert Schumacher, 52, von allen Kunden einfach nur „Nobbi“ genannt, also nicht beschweren. Und doch. Wie für viele aus dem Einzelhandel macht ihm der Lockdown zu Schaffen.
Von Dylan Cem Akalin
Nicht nur der Umsatz fehlt. „Die soziale Schiene, die miss ich. Das bin ich gar nicht mehr gewohnt, hier alleine zu sein“, sagt Nobbi. Und sein Plattenladen an der Marienstraße in Bonn-Beuel unweit des Sankt Josef-Hospitals ist nicht nur wegen seines sagenhaften Angebots von mehr als 100.000 Secondhand-Schallplatten eine Kultstätte für Vinyl-Liebhaber. „Irgendwo ist das auch ein Treffpunkt für Musikverrückte“, sagt der Mann mit dem langen blonden Haarschopf. „Das ist alles so völlig komisch.“ Und er gehört immer mehr zu den letzten Mohikanern, die überhaupt noch Platten und CDs anbieten.
Er reicht einem Kunden ein paar Platten durch die Ladentür. Es ist ein Arzt, der seinen Namen nicht erwähnt haben will. „Die Musik ist das, was mir durch diese Zeit und durch den Stress hilft“, sagt der und winkt mit ein paar „Kultplatten von Edgar Winter“. Er schaut auf die Cover, und seine Gesichtszüge bekommen einen lächelnd-zufriedenen Ausdruck. „Ich bin von so vielen Stammkunden angeschrieben worden, dass ich mich entschlossen habe, einen Bestell- und Abholservice anzubieten“, sagt Nobbi.
Die Kunden können montags bis samstags, von 10 bis 17 Uhr unter 0228/466595 anrufen und Platten oder CDs bestellen und diese später an der Marienstraße 21 abholen. Die Stimmung sei bei vielen seiner Kunden schlecht, vor allem bei den Singles, die den ganzen Tag im Homeoffice sitzen und dann auch noch die Freizeit in den selben vier Wänden verbringen. Das bekomme er immer wieder zu hören.
„Aber der Lockdown zieht mich auch ein bisschen runter“, gibt Nobbi unumwunden zu, während er eine Kiste mit Schallplatten aus dem Weg räumt. Sein Rezept gegen den Corona-Blues? „80er Jahre-Musik. Ich höre zurzeit fast nur Platten aus dieser Zeit: Simple Minds, Bruce Springsteen, Dire Straits, Pink Floyd. Und natürlich Mountain. Die reißen doch jeden sofort aus jedem Tief.“
Die New Yorker Hardrockband Mountain wurden vor allem berühmt wegen ihrer allgewaltigen Soundkonstruktionen, das mitunter träge, entspannte, stampfende Rockgerüst, über das sich weitläufige Gitarrenimprovisationen legen – irgendwo zwischen Cream und Greatful Dead sind sie zu Vorbildern für viele Bands geworden, die später kamen und sorgten 1969 beim Woodstock-Festival für Furore. Kurz vor Weihnachten starb deren wunderbarer Gitarrist Leslie West. „Das hat mich richtig traurig gemacht. Aber seine Musik bleibt unsterblich“, sagt Nobbi.
Der 52-Jährige stammt eigentlich aus Hellenthal in der Eifel und ist gelernter Schreiner. „Aber ich hatte eine Allergie gegen verschiedene Stoffe in der Werkstatt und so musste ich nach acht Jahren meinen Beruf aufgeben“, erzählt er während im Hintergrund die Musik der Berliner Rockformation Pothead läuft. Als Jugendlicher war er schon musikbegeistert – und Schallplattensammler. „An Wochenenden bin ich auf Flohmärkte und habe Platten verkauft. Als ich dann meinen Beruf nicht mehr ausüben konnte, habe ich beschlossen, einen Laden aufzumachen.“ Und wieso ausgerechnet in Beuel? Nobbi lacht. „Ich hatte damals eine Freundin in Bonn. Also bin ich mit dem Auto rumgefahren und habe nach einem geeigneten Ladenlokal Ausschau gehalten. Von Beuel hatte ich damals noch nicht einmal was gehört.“
Aber seine Standortwahl hat er niemals bereut – nicht mal in Hochwasserzeiten. „Laufkundschaft kommt eh nicht oder eher selten. Meine Kunden kommen gezielt und wissen, wo sie mich finden.“ Und die kommen von überall her. Selbst aus dem nahen Ausland reisen Plattenfreaks extra an den Rhein, um bei Nobbi zu stöbern. Stöbern können sie jetzt zwar nicht. Aber Bestellungen telefonisch abgeben. Und der Mann kennt sein Repertoire aus dem EffEff. Das ist einfach irre.
Hast du David Coverdales „Northwinds“?
„Ach, grad verkauft.“
Legs Diamonds?
„Klasse Band. Hier.“
Flying Burrito Brothers „The Gilded Palace of Sin“?
„Müsste hier sein.“
Überall in seinem Geschäft stapeln sich Kisten voller Schallplatten. „Jetzt habe ich wenigstens Zeit, die letzten Ankäufe von Sammlungen zu sichten und sortieren“, erklärt Nobbi, der seinen Laden mittlerweile schon seit mehr als 25 Jahre an diesem Standort betreibt. Die Wünsche und Vorlieben seiner Stammkunden kennt er so gut, dass er beim Durchschauen das eine oder andere Schätzchen beiseitelegt.
An der Theke liegen einige Platten mit Zetteln versehen. Zum Beispiel „Headhunter“ von der schweizerischen Hard-Rock-Band Krokus mit einem metallenen Totenkopf auf dem Cover. „Ich weiß genau, dass ich damit einem Kunden eine Riesenfreude machen kann“, sagt der. „Der steht total auf sowas.“ Die Band hat in den späten 70ern/Anfang 80ern einige Erfolge gefeiert. Vor allem dieses Album war auch in den USA ziemlich erfolgreich. Die Single „Screaming in the Night“ schaffte es sogar in die Charts. Immerhin der Pop-Star Rihanna outete sich einst als Fan dieser schweizer Hardrocker.
„Und Jazz wird unheimlich gefragt. Die Klassiker von Miles Davis bis Dave Brubeck werden viel gefragt – viel mehr als sonst. Anscheinend hilft Jazz auch beim Corona-Blues“, sagt Nobby und lacht, während er eine Tasche mit Singles packt. Für wen sind die? „Die bekommt mein Single-König“, sagt er schmunzelnd. Er habe da einen ganz besonderen Stammkunden, der in einer Betreuten Wohneinrichtung lebe und kaum rauskomme. Den fahre er einmal in der Woche besuchen und schenke ihm die kleinen Schallplatten – ein besonderer Service in Corona-Zeiten.
Nobbis Plattenladen, Marienstraße 21, Beuel, Bestell- und Abholservice, montags bis samstags, 10 bis 17 Uhr unter0228/466595