Nirgendwo so glücklich wie am Klavier: Interview mit Julia Kadel

Julia Kadel mit Autor Dylan Akalin. FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Mit knapp 27 Jahren konnte Julia Kadel ihre Trio-Debüt-CD bei dem legendären Label Blue Note veröffentlichen, zwei Jahre später folgte dort ihr zweites Album. Beim Jazzfest Bonn überzeugte sie jetzt mit einem Soloabend im Haus der Volksbank. Hinterher sprach mit ihr Dylan C. Akalin.

Solo ohne Trio. Wie ist das?

Julia Kadel: Das ist natürlich was anderes, prinzipiell so anders wie jede andere Bandformation aus. Solo koste ich natürlich die Freiheiten aus. Man muss aber auch zusehen, dass man umso mehr Verantwortung für alle möglichen anderen Dinge übernimmt.

An so einen Soloabend trauen sich viele nicht dran. Das ist ja auch so was wie die Königsdisziplin. Was geht Ihnen da in der Vorbereitung durch den Kopf?

Julia Kadel: Ich gehe da relativ frei ran. Ich habe ja ein paar Solo-Kompositionen. Aber prinzipiell spiele ich erst mal einfach drauf los. Es gibt natürlich auch einfach ein Vokabular, was ich immer parat habe von Stücken bis hin zu Konzepten, die ein bisschen abstrakter sind. Da sind Ideen, die kürzer, kleiner sind. Für mich ist jedes Solokonzert eine eigene Entdeckungsreise, es ist jedes Mal etwas komplett anderes.

Sie sind hier in Bonn ja volles Risiko gegangen. Sie haben mit Ihren Stücken viel experimentiert, haben auch andere Ausflugsmöglichkeiten ausprobiert. Ist das vor so einem Festivalpublikum nicht ein ziemliches Wagnis?

Julia Kadel: Ja, Musik ist immer ein Wagnis, gerade wenn man improvisiert. Ich bin immer der Meinung gewesen, dass man dem Publikum nicht eine bestimmte Haltung oder bestimmte Ohren zuordnen sollte, sondern dass man gut und gerne das machen kann, was man als Musiker für sich als Ausdruck selber wählt – und dann kann das Publikum selbst sehen, wie es damit umgeht, wenn Dinge neu oder irgendwie vielleicht ein bisschen unbequemer als Mainstream sind. Ich habe bislang die Erfahrung gemacht, dass ein Publikum gerne bereit ist, sich darauf einzulassen. Ich bin jedenfalls niemand, der von vornherein sagt, ich mach es lieber ein bisschen gefälliger mit Mainstream-Elementen. Ich finde, dass sich ja auch ein Publikum sich nicht weiterentwickelt, wenn es mit solch einer Einstellung einem Musiker begegnet. Bis jetzt habe ich jedenfalls immer sehr spannende Erfahrungen gemacht.

Als ich Sie bei dem Konzert da beobachtet habe in diesem doch sehr, sehr hellen Atrium der Volksband in Bonn, da habe ich auch mal kurz überlegt, ob das eigentlich der richtige Ort für so ein Konzert ist. Sie haben ja auch ein Stück diesem Ort gewidmet, ich hatte indes den Eindruck, als seien Sie nicht so wahnsinnig glücklich gewesen – jedenfalls Ihrer Mimik nach zu urteilen.

Julia Kadel: Na, ich bin sehr oft sehr, sehr konzentriert versunken. Aber klar, man empfängt auch immer etwas, das zurückkommt vom Raum, vom Ort, vom Publikum und wird dann damit auch spontan umzugehen wissen. Für mich war das ein sehr schönes Konzert. Ich hatte mir aber auch zum Ziel gesetzt, den Raum wirklich auszuschließen und alles nach draußen zu spielen, was möglich ist. Und ich habe da gemerkt, dass das die Leute aufnehmen. Aber prinzipiell finde ich es gerade schön, mal an einem Ort zu spielen, wo ansonsten völlig andere Dinge passieren.

Und der Sound…?

Julia Kadel: Also der Sound war toll. Wir haben den Flügel ja auch ein bisschen weiter ausgestellt in Richtung Publikum, sonst wäre der so in der Ecke an der Wand verschwunden.

Ich unterhalte mich immer sehr gerne mit Musikern darüber, wovon ihr Ausdruck beeinflusst wird. Neulich zum Beispiel mit Omar Klein, der ja auch hier auf dem Festival war, und wir haben festgestellt, dass man zum Beispiel aufgrund seiner Musik überhaupt keine Folgerung über seine Herkunft ziehen kann. Und mit Ihrer Musik geht es mir ähnlich, und je öfters ich mir Ihre Platten anhöre, desto verwirrter bin ich, weil da wahnsinnig viel drinsteckt. Worum geht es in Ihrer Musik?

Julia Kadel: Alles, was ich erlebe, alles, was ich erfahre, alles, was ich schön finde, mir geht es immer irgendwie um Schönheit und teilweise sogar auch ganz konkrete Erfahrungen. Das habe ich ja auch auf dem Festival, dass ich etwas erlebe und dann ist eine Idee da. In der Regel spiele ich und merke dabei, was mir an einer Idee gefällt. Und dann nehme ich sie und arbeite damit.

Bei Ihrem Konzert hier in Bonn ist mir aufgefallen, dass da auch viel Klassik in Ihrer Bilderwelt steckt, ich habe da ein bisschen Strawinski und Tschaikowski, vielleicht sogar Rachmaninow herausgehört, aber auch Esbjörn Svensson…

Julia Kadel: Strawinski! Toller, toller Komponist. Ich bin da sehr, sagen wir mal, von dem, was ich höre, sehr undogmatisch. Und ja, Sie haben insofern recht, dass ich aus der Klassik komme. Also: richtig gehört! (lacht) Ich hatte eine tolle Klassik-Lehrerin, die eigentlich auch im Endeffekt meine beste Jazzlehrerin war. Wissen Sie, ich denke in Musik und ich denke in Klängen und in Bildern. Tatsächlich mache ich mir überhaupt keine Gedanken darüber, wie das jetzt irgendwo einzuordnen ist. Das sollen sozusagen die Anderen tun. Ich höre alles Mögliche – außer Schlager.

Gehört das also zum Konzept, so völlig undogmatisch zu sein? Gehört das vielleicht auch zum neuen modernen Jazz, zur jungen Sprache des Jazz?

Julia Kadel: Für mich schon. Mir geht es um die Art zu Musizieren, mir geht es nicht darum, irgendetwas wiederzugeben, was es schon mal gab und daraus mein eigenes Ding zu drehen. Es gibt auch Leute, die das ganz toll machen, die das sogar brauchen, um ihren Bezug zu haben und dann jahrelang eine bestimmte Stilistik auszuchecken. Ich bin schon immer der Typ gewesen, der von innen nach außen geht.

Was heißt das?

Julia Kadel: …, dass mich meine Gefühle ziemlich stringent in den Ausdruck hinleiten, weil mein Ohr bestimmte Dinge hören will. Und dann improvisiere ich über, was weiß ich, Klassik oder irgendwas, ich dabei aber sofort auf Sachen stoße, die dann von mir kommen. Und diese Ideen schreibe ich auf, damit arbeite ich und entwickele daraus mein eigenes Vokabular. Natürlich ist man immer von irgendetwas beeinflusst, das ist klar. Aber dich beeinflussen eben ja viele Dinge: ein toller Film, den du gerade gesehen hast, ein Treffen mit einem tollen Menschen… Aber ich kann nicht viel Musik hören. Musik ist für mich eine bewusste Sache. Ich kann dabei auch nicht irgendwas parallel machen, und ich gehöre auch nicht zu den Menschen, die nonstop das Radio laufen haben. Musik hat für mich auch etwas mit Konzentration und Ruhe zu tun.

Kamasi Washington habe ich mal gefragt, um was es ihm in der Musik geht. Er sagte, seine Generation müsse einen völlig neuen Weg gehen und sich ein bisschen freischwimmen von diesen Jazz-Wurzeln. Würden Sie das unterschreiben?

Julia Kadel: Für mich schon, weil ich nie etwas nachmachen konnte, ich musste immer meinen eigenen Weg gehen. Ich glaube, es gibt einfach ganz unterschiedliche Typen und jeder hat seine eigene Herangehensweise, und jede hat seine Berechtigung. Gerade unsere Generation hat einerseits so viele Möglichkeiten, andererseits trägt sie auch eine fette Bürde – übers Internet sind alle Informationen zu jeder Zeit in beliebiger Masse verfügbar. Was machen wir damit? Wie unterscheiden wir uns? Wonach wird man beurteilt?

Wie meinen Sie das?

Julia Kadel: Ich habe den Eindruck, dass es nur noch nach Leistung geht, danach, dass man bestimmte Kriterien erfüllt. Und dann wird erwartet, dass man sich schon im jugendlichen Alter spezialisiert. Und dann soll es genau diese eine Sache sein, die man dann für das ganze Leben tut? Ich bin einfach ein großer Fan von den alten Universalgelehrten wie Goethe oder Nietzsche, die viele unterschiedliche Fächer studiert haben und sich mit so unterschiedlichen Fachrichtungen beschäftigt haben. Damals hatten Bibliotheken und Bücher eine andere Bedeutung, und die Welt war noch nicht so global…

Klingt so, als hätte es die junge Generation heute schwerer, trotz der vielen Möglichkeiten zu sich selbst zu finden.

Julia Kadel: Ich finde es tatsächlich extrem schwer für meine Generation. Aus dieser vermeintlichen Freiheit wirklich eine Tugend zu machen und seine eigene Sprache zu finden, ist nicht einfach. Für mich ist Musik auch Selbstverwirklichung, ein Mittel, zu sich zu finden. Und ich bin da sehr sensibel. Wenn ich bei einem Stück merke, das bin jetzt gerade nicht mehr, dann kann ich das nicht spielen.

Sie haben ja auch Psychologie studiert. Stimmt es, dass Julia Hülsmann, ihre damalige Klavierlehrerin, Sie so ein bisschen in diese Richtung Musikerin gedrängt hat?

Julia Kadel: Nicht gedrängt. Ich hatte halt Unterricht bei ihr. Damals hatte ich ja vor allem Gesang an der Musikschule. Bei Julia hatte ich Klavier, weil ich gerne bei ihr Unterricht haben wollte. Und sie meinte so nach der ersten zweiten Stunde: Warum bist du nicht Pianistin? Und tatsächlich war das Piano ja immer meine Leidenschaft, aber ich musste vielleicht auch etwas Wissenschaftliches

Also wie geht’s jetzt weiter für Sie? Was haben Sie für Pläne?

Julia Kadel: Das Trio geht natürlich weiter. Dann ist da noch mein neues Duo mit dem fantastischen Cellisten Thilo Thomas Krigar, mit dem ich seit einem Jahr spiele. Und ich kann mir wirklich vorstellen, dass ich auch demnächst mal einen Feature-Gast zum Trio einlade.

Was treibt einen eigentlich so dazu, sich musikalisch auszudrücken?

Julia Kadel: Es gibt eigentlich nichts Schöneres, und ich finde es auch so ein Geschenk, dass einem Leute dabei zuhören. Ich finde es total wichtig, dass man sich dessen bewusst ist, was für ein Glück es ist, wenn Leute sich hinsetzen, still sind und einem zuhören. Das ist ein totales Geschenk.

Natürlich treibt das einen auch an, wenn Zuhörer hinterherkommen und sagen: Ich war berührt von der Musik. Musik ist eine Sprache, die einzigartig ist. Das ist keine wörtliche Sprache. Und das Improvisieren an sich ist sowas wie eine Weisheit für sich, die mir selbst auch im Alltag gut hilft – beim Leben. Und es ist einfach eine Lebenseinstellung. Mein bester Freund hat mal zu mir gesagt, ich sähe nirgendwo so glücklich aus wie am Klavier.