
Mit „POPtical Illusion“ kehrt John Cale zurück und präsentiert ein Album, das elektronische Experimente mit poetischer Gesellschaftsanalyse verbindet. Warum der Avantgardist auch mit über 80 Jahren musikalische Grenzen sprengt – ein Blick auf sein faszinierendes Spätwerk.
Von Dylan C. Akalin
Mit „POPtical Illusion“, das am 14. Juni 2024 erscheint, präsentiert John Cale sein achtzehntes Studioalbum und setzt damit seine beeindruckende Karriere als innovativer Musiker und Komponist fort. Im Gegensatz zu seinem vorherigen Werk „Mercy“ (2023), das durch zahlreiche Kollaborationen geprägt war, entstand „POPtical Illusion“ hauptsächlich in Cales eigenem Studio in Los Angeles, wobei er die meisten Instrumente selbst einspielte.
Das Album zeichnet sich durch eine faszinierende Mischung aus elektronischen Klängen, Synthesizern und Gitarren aus, untermalt von Beats, die Cales Affinität zum Hip-Hop widerspiegeln. Trotz der düsteren Thematik, die sich mit einer Welt in Flammen auseinandersetzt, strahlt das Werk eine spielerische Energie aus. Die Produktion übernahm Cale gemeinsam mit seiner Managerin Nita Scott, was zu einer kohärenten und fokussierten Klanglandschaft führte.
Die Single „How We See the Light“, veröffentlicht am 26. März 2024, bietet einen eindrucksvollen Einstieg in das Album und wurde von einem Musikvideo unter der Regie von Pepi Ginsberg begleitet. Weitere bemerkenswerte Tracks sind „Shark-Shark“ und „Davies and Wales“, die die thematische Vielfalt und musikalische Tiefe des Albums unterstreichen. „POPtical Illusion“ wurde von der Kritik positiv aufgenommen und fand Eingang in mehrere Jahresbestenlisten, darunter Platz 28 in den „75 Best Albums of 2024“ des MOJO Magazins und Platz 21 in den „80 Best Albums of 2024“ von Uncut.
John Cale – „POPtical Illusion“: Ein Meister der Illusionen und Klangexperimente
John Cale, der ewige Avantgardist, kehrt mit „POPtical Illusion“ (2024) zurück – einem Album, das sowohl als Fortsetzung seines letzten Werks „Mercy“ (2023) als auch als eigenständige Erkundung neuer klanglicher und thematischer Gefilde funktioniert. Während „Mercy“ stark von Kollaborationen geprägt war, ist „POPtical Illusion“ ein Werk größtenteils aus einer Hand: Cale schrieb, produzierte und spielte die meisten Instrumente selbst, wodurch das Album eine künstlerische Geschlossenheit erhält, die in seiner diskografischen Entwicklung eine besondere Stellung einnimmt.
Doch der Titel täuscht nicht – Cale ist nicht an geradlinigen musikalischen Aussagen interessiert. Wie eine optische Täuschung spielen die Songs mit der Wahrnehmung, verweben Nostalgie mit Futurismus und wechseln ständig zwischen Entrückung und Direktheit. Dies spiegelt sich sowohl im Sound als auch in den Texten wider, die – typisch für Cale – zwischen poetischer Abstraktion und beißender Gesellschaftsanalyse oszillieren.
Klanglandschaft: Elektronik, Beats und melodische Dekonstruktion
Musikalisch zeigt sich „POPtical Illusion“ als eine Hybridform aus elektronischen Experimenten, kühler Industrial-Ästhetik und melancholischem Songwriting. Die Arrangements sind von einem postmodernen Ansatz geprägt: Orchestrale Synthesizerflächen treffen auf verzerrte Gitarren, während elektronische Beats oft mit jazzigen oder klassisch inspirierten Harmonieverläufen kontrastieren.
Schon der Opener „How We See the Light“ setzt den Ton: Ein pulsierender elektronischer Rhythmus, sphärische Synthesizer und Cales eindringliche, oft brüchig klingende Stimme – das Stück ist düster, aber nicht hoffnungslos. Das dazugehörige Musikvideo, inszeniert von Pepi Ginsberg, verstärkt diese Stimmung, indem es surreale, lichtdurchflutete Bilder mit dystopischen Anklängen verbindet.

Andere Stücke wie „Shark-Shark“ treiben dieses Konzept weiter: Hier experimentiert Cale mit hip-hop-inspirierten Beats und verfremdeten Gesangseffekten, was an seine frühen Arbeiten mit elektronischen Texturen erinnert. „Davies and Wales“ dagegen ist ein melancholischer Rückblick, der fast in Richtung eines klassischen Singer-Songwriter-Stücks tendiert, wäre da nicht die subtile, schwebende Produktion, die dem Ganzen einen entrückten Charakter verleiht.
Diese Mischung aus organischen und synthetischen Klängen zieht sich durch das gesamte Album und zeigt, dass Cale auch im Alter von über 80 Jahren immer noch an den Grenzen des Pop und der Avantgarde operiert. Wo andere Künstler aus seiner Generation oft in nostalgischen Retro-Sounds verharren, bleibt Cale ein Grenzgänger, der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander verschmelzen lässt.
Thematische Tiefenschärfe: Die Welt als brennendes Schauspiel
Inhaltlich bleibt „POPtical Illusion“ dem Cale’schen Grundthema treu: eine ungeschönte Auseinandersetzung mit der Welt und ihrer Zerrissenheit. Das Album vermittelt eine Art düsteres Staunen – eine Mischung aus resignierter Erkenntnis und zynischer Hoffnung.
„How We See the Light“ könnte als Metapher für gesellschaftliche Wahrnehmungsverschiebungen gelesen werden – wie Wahrheit heute konstruiert wird, welche Macht Bilder haben und inwiefern wir nur noch Illusionen konsumieren. Der Titel des Albums selbst, eine Wortspielerei aus „optischer Täuschung“ und „Pop“, deutet bereits darauf hin, dass es hier um mehr geht als nur um eingängige Melodien.
Cale scheint sich bewusst zu sein, dass Popmusik längst eine hyperreale, von Marketingstrategien durchsetzte Maschinerie geworden ist. Doch anstatt dies zu beklagen, nutzt er die Mechanismen selbst – um sie zu dekonstruieren.
Ins Werk eingeordnet: Ein Spätwerk, das keine Ruhe gibt
Verglichen mit den frühen Werken Cales, etwa „Paris 1919“ (1973) oder „Music for a New Society“ (1982), ist „POPtical Illusion“ radikaler in seiner Produktion und unkonventioneller in seiner Songstruktur. „POPtical Illusion“ steht dabei in einer Linie mit Alben wie „Black Acetate“ (2005) oder „Shifty Adventures in Nookie Wood“ (2012), die ebenfalls mit elektronischen Beats und verfremdeten Vocals spielten. Dennoch klingt das neue Werk konzentrierter, wütender und gleichzeitig spielerischer.
Ein Meisterwerk der Verunsicherung
Mit „POPtical Illusion“ beweist John Cale einmal mehr, dass er einer der letzten großen Unruhestifter der Popmusik ist. Sein Werk ist eine Mischung aus Experiment, Pop und Avantgarde – ein Album, das in seiner Klangvielfalt und thematischen Dichte ebenso verstörend wie faszinierend wirkt. Wo andere Musiker in ihrem Spätwerk oft versöhnlich werden, bleibt Cale kantig, unberechenbar und unbestechlich. „POPtical Illusion“ ist kein nostalgischer Rückblick, sondern ein herausforderndes Werk, das sich mit der Gegenwart auseinandersetzt – und das auf eine Weise, die sowohl zeitlos als auch hochaktuell ist. Kurz gesagt: Ein Album, das John Cale als unermüdlichen Innovator zeigt – und das beweist, dass wahre Kunst immer mit der Wahrnehmung spielt.