Man kennt die Schwestern Klara (25) und Johanna (27) Söderberg, die sich First Aid Kit nennen, von ihrem zauberhaften Hit „My Silver Lining“ und aus der Renault Kadjar-Werbung, wo der Song eingesetzt wird. Jetzt kommt das Indie-Pop-Duo mit einem neuen Album. „Ruins“ erscheint am 19. Januar 2018 und erobert seinen Zuhörer vom ersten Takt an. Diese betörende Mischung aus Folk, Country, Pop mit sehr starken Anklängen an Townes Van Zandt und die Carter Family legt sich gleich hinter die Herzklappe.
Von Dylan Cem Akalin
Der dramatische Opener „Rebel Heart“ verkörpert die ganze Bandbreite der Band, alle benutzten Harmonien und Echo-Gitarrenlinien, die so beruhigend sind wie ein sanfter Whiskey am Kamin, während draußen der schottische Wintersturm tobt.
Überhaupt sind die Songtexte des Albums voller Herzschmerz und zertrümmerter Träume. „Auf unseren anderen Platten haben wir viel über Natur und märchenhafte Dinge geschrieben“, sagt Johanna über ihre frühen Aufnahmen, die Elemente aus der amerikanischen Folkmusik mit schwedischer Folklore und Storytelling vereinte. „Aber wenn du dir die Texte auf diesem Album anhörst, dann wirst du merken, dass sie viel mehr von uns handeln, sie sind viel persönlicher.“
„Cedar Lane“ ist ein Walzer, der sich um Liebeskummer dreht und in dem Mantra-artig immer wieder die Zeile „something good will come out of this“ zu hören ist, in „Shattered & Hollow“ manifestiert sich unmissverständlich der Wunsch nach Entkommen. In „Waitress Song“ phantasiert Klara darüber, wie es wäre, alles hinzuschmeißen und ein komplett neues Leben zu beginnen. „I could move to a small town and become a waitress“, singt sie, „say my name was Stacy / and I was figuring things out.“
Wer weiß, was die Söderbergs dazu brachte, sich vorsichtig aus ihrer Komfortzone zu begeben. Die Songs deuten darauf hin, dass sich das Paar von der frühen deutlichen Anlehnung an Ryan Adams löst und immer mehr in Richtung Americana und Indie-Rock geht. Das ruhige, mit akkuratem Fingerpicking begleitete „To Live a Life“ zeigt noch, dass sie Adams wohl sehr lieben. „Fireworks“ ist in der Konzeption kühn, könnte es doch gar von R.E.M. stammen. Die akrobatische, skalengängige Gesangsmelodie und die klassische Soul-Untermauerung werden aufgebrochen von Arpeggien, die von fernen elektrischen Gitarren gespielt werden und eindeutig Indie-Sound schaffen. Es ist eine gefühlvolle Ballade wie aus den 50er Jahren, ein Song über schädliche Selbstzweifel, der sich sowas fürs Radio und als Ohrwurm eignet. Und auch der aufrührende Refrain von „My Wild Sweet Love“ dürfte die gleiche Qualität haben wie „My Silver Lining“ und ist auf jeden Fall ein Anwärter für die Charts.
Der Sound dürfte nicht überraschen: Der Longplayer wurde von Tucker Martine mit Beiträgen von R.E.M.s Peter Buck, Wilcos Glenn Kotche und Midlakes McKenzie Smith produziert. Neben ihrer gewohnten melodischen Frische verzaubert „It’s a Shame“ sowohl mit seinen schlauen Hooks als auch mit seinem sehr nostalgischen Grundfeeling. Der Song, in dem Klara über eine zerfallene Beziehung nachdenkt, könnte sowohl Simon & Garfunkel verpflichtet als auch dem Folk-Duo Open Book verpflichtet sein.
Und „Postcard“ ist vielleicht der am authentischsten klingende Country-Song, den das schwedische Folk-Duo bisher aufgenommen hat, obwohl das Magazin Rolling Stones ihr letztes Album ja zu den Top-Country-Platten des Jahres zählte. Man kann geradezu die Honky-Tonk-Dielen knarren hören, über denen die Pedal-Steel-Gitarre jault.
Die dunstige Elektronik, die unter der Oberfläche von „My Wild Sweet Love“ und dem nachdenklichen Titeltrack brodelt, lässt auf eine experimentelle Popästhetik schließen, die sich insbesondere beim Rausschmeißer „Nothing Has To Be True“ konzentriert. Aufbauend auf einem gewaltigen Crescendo von Synthesizern und ordentlichen Feedbacksounds, spielt das Duo mit ausfransender Dissonanz. Die Art und Weise, wie es endet, mit einem verzerrten, fast schmerzhaften Dröhnen, die abrupt abschneidet, spiegelt die Gesamtentwicklung des Duos wider. Wir werden noch einiges von ihm hören. Ein wunderbares Album!