Von Dylan C. Akalin
Schwarz-Weiß-Aufnahmen eines Polizeieinsatzes bei einer Demo, dazu die konzentrierten Blockakkorde und schreienden Saxofonklänge, dazwischen die aufmerksamen Blicke der Pianistin. Die Doku „Irène Schweizer. A Film By Gitta Gsell Irène Schweizer.“ Von der RECK Filmproduktion Zürich ist einfach sehenswert, wenn man diese außergewöhnliche Jazzpianistin kennenlernen will und sie nie live erlebt hat.
Irène Schweizer ist am 16. Juli 2024 im Alter von 83 Jahren verstorben. „Sie starb nach langer Krankheit in Zürich. Irène Schweizer hat uns mit ihrer Musik glücklich gemacht und als wichtige Neuererin die Welt des Jazz bereichert. Sie war Mitbegründerin des Taktlos Festivals, des unerhört Festivals und des CD-Labels Intakt Records. Wir trauern um diese großartige Musikerin und Freundin“, teilte Intakt Records noch in der Nacht mit.
Virtuosität, Kreativität und emotionale Tiefe
Irène Schweizer wurde am 2. Juni 1941 in Schaffhausen, Schweiz, geboren. Schon früh zeigte sich ihr musikalisches Talent, das sie zunächst in klassischen Klavierstudien entfaltete. Doch es war der Jazz, der ihre wahre Leidenschaft entfachte. Inspiriert von Größen wie Thelonious Monk und Cecil Taylor, entwickelte sie einen eigenen, unverwechselbaren Stil, der durch seine Virtuosität, Kreativität und emotionale Tiefe bestach.
Schweizer war nicht nur eine Pionierin des europäischen Free Jazz und eine herausragende Vertreterin der Improvisationskunst, sie war eine politisch denkende Künstlerin, die früh im Kollektiv gearbeitet hat, die und gerne über ihre Kunstform hinaus gedacht hat. In einer Männerdomäne behauptete sie sich mit beeindruckender Kraft und entfaltete eine künstlerische Ausdruckskraft, die ihresgleichen suchte. Ihre Musik zeichnete sich durch eine faszinierende Mischung aus rhythmischer Komplexität, harmonischer Innovation und einer unbändigen Spielfreude aus. Ich habe sie leider nur einmal 2004 live erleben dürfen – beim Klaviersommer im Bonner Beethovenhaus. Ein tolles Programm mit so unterschiedlichen Protagonisten wie Susi Hyldgaard, Lynne Arriale und Geri Allen, Anke Helfrich und Ulrike Haage sowie eben Irène Schweizer.
Engagierte Kollaborateurin
Neben ihrer beeindruckenden Solokarriere war Irène Schweizer auch eine engagierte Kollaborateurin. Sie spielte mit einer Vielzahl von renommierten Musikerinnen und Musikern zusammen, darunter Han Bennink, Pierre Favre und Louis Moholo. Zu ihren frühen Drummern gehörte Mani Neumeier, Gründungsmitglied und Kopf der Krautrock-Band Guru Guru. Ihre Zusammenarbeit mit anderen Künstlern war stets geprägt von einer tiefen musikalischen Verbundenheit und einem gegenseitigen Respekt, der in unzähligen gemeinsamen Projekten und Aufnahmen zum Ausdruck kam.
Irène Schweizers Bedeutung für den Jazz geht weit über ihre musikalischen Fähigkeiten hinaus. Sie war eine Vorreiterin und eine unermüdliche Kämpferin für die Gleichberechtigung der Frauen im Jazz. Ihr Beitrag zum europäischen Jazz ist enorm. Einem amerikanischen Magazin sagte sie einmal: „In der Hardcore-Free-Jazz-Szene des Europa der 70er-Jahre zu spielen, war für eine Frau schwierig, sogar für eine, deren Musik sehr gut in den ‚Boys‘ Club‘ der europäischen Free-Musik passte: Manchmal litt ich; sie alle respektierten, was ich als Musikerin tat, und das konnte ich spüren. Aber ich musste mit ihnen klarkommen, und manchmal hatte ich keine Lust, in die Bar zu gehen und mir die Seele aus dem Leib zu trinken. Musikalisch hatte ich nie Probleme, und manchmal hatten andere Musikerinnen, wenn sie mit Männern spielten, Sängerinnen, wissen Sie, Probleme, weil Musiker mehr als nur Musik wollten! Aber sie wussten, dass sie das mit mir nicht machen konnten, weil ich nicht heterosexuell bin, sondern lesbisch. Die meisten von ihnen wussten es, also haben sie es nicht versucht.“
Eine wahre Ikone des Jazz
Schweizer erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Schweizer Grand Prix Musik und den Preis der deutschen Schallplattenkritik. Ihr Einfluss auf kommende Generationen von Musikerinnen und Musikern ist unermesslich, und ihr Erbe wird in der Welt des Jazz weiterhin lebendig bleiben. Mit dem Tod von Irène Schweizer verliert die Welt nicht nur eine außergewöhnliche Pianistin, sondern auch eine inspirierende Persönlichkeit und eine wahre Ikone des Jazz.
Irène Schweizer hinterlässt ein beeindruckendes musikalisches Vermächtnis, das in zahlreichen Alben und Aufnahmen dokumentiert ist. Zu ihren wichtigsten Werken zählen „Irène Schweizer“ (1977)- Auf – Dieses Soloalbum zeigt sich Schweizers bemerkenswerte Fähigkeit zur Improvisation und ihren einzigartigen Stil. Es ist ein Meilenstein in ihrer Karriere und ein essenzielles Werk des europäischen Free Jazz. „Willi the Pig“ (1977) ist eine Kollaboration mit dem Schlagzeuger Louis Moholo. Dieses Album wird oft als eines der besten Beispiele für ihre Zusammenarbeit mit anderen Musikern gewürdigt und zeigt ihre Vielseitigkeit und musikalische Intensität.
Soloaufnahmen
Auf „Piano Solo Vol. 1“ (1990) sind ein paar herausragende Soloaufnahmen, die ihre technische Brillanz und ihre emotionale Tiefe eindrucksvoll präsentiert. „First Choice: Piano Solo KKL Luzern“ (2006) fängt ihre beeindruckenden Live-Performance-Fähigkeiten ein.
„Irene Schweizer & Louis Moholo-Moholo“ (2007) ist eine weitere bedeutende Kollaboration mit dem Schlagzeuger Louis Moholo-Moholo. „To Whom It May Concern“ (2011) ist ein Live-Solo-Album aus der Tonhalle in Zürich.