Puh, was für ein Abend voller bildreicher Musik in der Brotfabrik Bonn! Das Jazzfest Bonn präsentiert mit JO, der Band des Schlagzeugers Jo Beyer, und dem Trio von Jean-Paul Bourelly zwei Vertreter des Jazz, die mit eigensinniger Lust an der Dekonstruktion von gängigem Jazzverständnis und einer auch andere Gültigkeiten erfassenden eigenen Sprache arbeiten. Das gelingt dem aus Chicago stammenden Gitarristen indes überzeugender als dem 27-jährigen Kölner Schlagzeuger.
Von Dylan Cem Akalin
Jean-Paul Bourelly ist sowas wie ein globaler Griot, ein Musiker, der Episches als Geschichtenerzähler und Lehrer mit ungewöhnlichem musikalischem Vokabular vorträgt. Die westafrikanischen Griots tragen ja dazu bei, dass durch mündliche Überlieferung traditionelles Wissen weitergegeben wird. Bourelly ist ein Botschafter für Menschlichkeit, für interkulturelle Humanität und seine Auffassung von Jazz. „Wenn ich spiele, dann habe ich das Gefühl, in meinem Kopf steckt ein ganzes Radio“, erzählt er mir nach dem Konzert. Er wirkt auf glückliche Weise erschöpft.
Interaktion mit der Welt
Der Mann mit den haitianischen Wurzeln ist in Chicago, einem unglaublichen Schmelztiegel ungezählter Kulturen, geboren und aufgewachsen, lebte ab 1994 vorwiegend in Berlin und ist wie ein Griot unterwegs, um alles aufzusaugen, was er erlebt. In den vergangenen Jahren sei er auch nochmal viel in den USA unterwegs gewesen, erzählte er mal, und habe entdeckt, was für Unterschiede dort herrschten. „Ich versuche weiterhin, Menschen und Orte zu lernen und zu fühlen und zuzulassen, dass mich das beeinflusst. Ich habe diese Interaktion mit der Welt immer genährt. Es entzündet sich. In den letzten Jahren habe ich in Nord-, Ost- und Westafrika sowie im Libanon gearbeitet. Wenn man auf der ganzen Welt ist, lernt man, dass Kultur die verschiedenen Arten ist, wie Menschen ihr Leben ausdrücken und ihre Probleme lösen, aber die Menschen, die Menschen selbst, sind sich mehr ähnlich als verschieden“, fasst er zusammen.
Wenn er seine Musik macht, dann hat man das Gefühl, als hätte er all diese Erfahrungen in sich gepresst und müssten nun wie in einem inneren Konflikt herausströmen. Mit seiner siebensaitigen E-Gitarre und seiner Stimme fasst er alle Phänomene und Effekte zusammen, die darauf beruhen, dass bestimmte Größen jeden beliebigen Wert annehmen können. Das Eröffnungsstück klingt wie ein James-Brown-Soul, der in seine Leptone und den Eichbosone gespalten und in einem Paralleluniversum in einem völlig anderen Aggregatzustand wieder zusammengefügt wird.
„Gil Groove“, das zweite Stück, ist wie ein zorniger, avantgardistischer Hendrix-Schrei – inklusive Wah-Wah verzerrter Rockgitarre. „Funk To Kontact IC“ verschmelzt Funk, Rock, Blues, Merengue und Highlife. Die Gitarre ist für Bourelly gleichermaßen Medium, Handwerkszeug, Instrument und Biest. Hörgewohnheiten aus dem Blues werden nur als Landmarken auf einer Terra Incognita benutzt, um völlig freie, ja kompromisslose Linien zu kreieren. Da kann die Gitarre auch mal wie eine verrücktgewordene Karimba klingen oder sie dient dazu, seinen Gesang oder schmerzvollen Schreie zu unterstützen.
Bourelly wird von der Lust an Musik getrieben. Seine Musik enthält viel mehr Informationen, als man überhaupt beim ersten Hören erfassen kann. Er selbst sagt: „Ich habe meine Improvisationsstile fortgesetzt, und dadurch hat sich mein Ausdruck weiterentwickelt. Ich habe das Gefühl, dass eine massive Veränderung stattfindet. Wir befinden uns in einer Übergangsphase. Das etablierte System ist noch nicht verblasst und die nächste Phase ist hier noch nicht vollständig. Ich hoffe, dass die Dinge weiterhin offener werden.“
Der Mann ist auf dem Weg zum Zen-Meister, auf der Suche nach abstrakter Erleuchtung. Das letzte Stück des regulären Sets war ein außerirdischer Wahnsinn mit jeder Menge Cream-Verweisen. Hier treffen New Creative, Hard Rock, Blues wie durch Spiegel umgeleitetes Licht auf eine schäumende Quelle.
Mit dem ebenfalls in Berlin lebenden US-Schlagzeuger Kenny Martin (Defunkt) und dem Bassisten Darryl Taylor aus Houston präsentierte sich das Trio als oft hypnotische und energische Band, wobei es seine Rhythmustruppe verstand, Bourelly konzentriert in seinen Eskapaden zu unterstützen. Taylor spielt einen wuchtigen sechssaitigen Bass und hält in bewundernswerter Weise eine Balance, als wäre er der Steuermann eines wilden Wespenschwarms. Und Martin folgt dem Triochef aufmerksam bei jedem Rhythmus- und Taktwechsel.
„Musik im Allgemeinen lebt seit vielen, vielen Jahren mit Nostalgie, und es ist schwierig, durch fortschrittliche Ideen mit dem Publikum in Kontakt zu treten“, sagte er einmal. Am Dienstag konnte er sich nicht beschweren, im Gegenteil, das aufgeschlossene Publikum wollte sogar mehr. Mit Zugabe spielte das Trio 103 aufregende Minuten.