Muse mit überragender Show auf dem Pinkpop-Festival

Muse - Matt Bellamy FOTO: Horst Müller

Man muss eine Band wie Muse schon live gesehen haben, um ihr Verständnis von Klangästhetik, Dramatik und avantgardistischer Popkultur in Gänze nachvollziehen zu können.

Von Dylan Cem Akalin

Ihre Liebe zur visuellen Inszenierung, die Lust an auserlesenen Bildern, Farben, Lichtspektakeln führt am Ende zu einem geradezu perfekt präsentierten Stück anspruchsvoller Rock-Pop-Musik – und das mit der emotionalen Gestik der italienischen Oper. Das so gekonnt auf die Bühne zu bringen, das zeichnet Muse aus. Und die 55.000 Fans dankten es dem britischen Grammy-prämierten Trio mit frenetischem Beifall und textsicherer Chorunterstützung. Der erste Pinkpop-Festival-Tag im niederländischen Landgraaf hätte Freitagnacht nicht glücklicher enden können.

Und auch das Wetter spielte weitgehend mit. Ein heftiger nachmittäglicher Regenguss schockte zunächst Publikum und Veranstalter. Doch es blieb glücklicherweise dabei. Der Rest des Festivaltags konnte bei bedecktem Himmel, aber angenehmen Temperaturen genossen werden.

Pop-Ereignis zu Pfingsten

Das Angebot von weniger bekannten und großen Acts ist das Markenzeichen dieses Festivals, das zu den ältesten Europas gehört. 1970 startete es noch als eintägiges Pop-Ereignis zu Pfingsten (daher der verballhornte Name Pinkpop), und gehört mittlerweile mit seinem dreitägigen, hochkarätig besetzten Programm zu den renommiertesten Festivals in Europa.

Nicht immer überzeugen konnte das Programm indes am ersten Tag. Der englische Singer/Songwriter George Ezra, der erst vor wenigen Tagen seinen 22. Geburtstag feierte, erwies sich als nicht so richtig festivaltauglich. Das Publikum vermochte er jedenfalls nicht zu überzeugen. Mit „Cassy O’“ startete er zwar zunächst vielversprechend, doch die eher statische Bühnenpräsenz schluckte dann doch viel von dem sonst recht sensiblen Songpotenzial. Stücke wie „Benjamin Twine“ oder sein Hit „Budapest“ sind wohl doch in Clubatmosphäre besser aufgehoben.

Above & Beyond

Was das Publikum wollte, das waren Stimmungsmacher vom Schlage Slash oder Above & Beyond. Das britische Trance-Projekt der Musikproduzenten Jonathan „Jono“ Grant, Tony McGuinness und Paavo Siljamäki machten aus dem großen Zirkuszelt „Brand Bier Stage“ eine Partyhalle. Auch wenn es zunächst eher mit sanften Sounds („Quieter is Louder“) losging, ließen die fetten Bässe und eleganten Rhythmenspiele bei Songs wie „We Are All We Need“ nicht lange auf sich warten. Ein irrer Spaß, der am Ende mit sphärischen, geradezu esoterischen Synthieklängen aushallte.

Zylinder, Sonnenbrille, Les Paul: Slash FOTO: Horst Müller
Zylinder, Sonnenbrille, Les Paul: Slash FOTO: Horst Müller

Sehr viel Platz gab es beim Auftritt von Slash feat. Myles Kennedy & The Conspirators auf dem Areal der 3FM Bühne kaum. Und schon die ersten typischen Rockriffs zu „You’re A Lie“ ließen das Publikum springen. Slash, wie immer in Zylinder, Sonnenbrille, rot-schwarz kariertem Holzfällerhemd, war gewohnt spielfreudig und hatte Spaß auch an einer ganzen Reihe von Guns N‘ Roses-Stücken wie dem noch härter als im Original performten „Nighttrain“, „You Could Be Mine“ oder „Sweet Child O‘ Mine“. Das Publikum wollte reinen Rock ‚n‘ Roll – und bekam ihn. Der sympathische Myles Kennedy ist eh ein erstklassiger Sänger. Den sollte sich Slash auf jeden Fall warm halten. Eine bessere Combo als die beiden ist kaum denkbar.

Myles Kennedy FOTO: Horst Müller
Myles Kennedy FOTO: Horst Müller

Setlist:

You’re a Lie
Nightrain
Back from Cali
You Could Be Mine
The Dissident
World on Fire
Anastasia
Sweet Child O‘ Mine
Slither
Paradise City

Zuvor hatte die Bühne noch Faith No More gefüllt. Sehr floral. Sehr Zenmäßig. Ganz in Weiß, mit Perlenketten – fast wie Sannyasins des Rock standen Mike Patton und die übrige Truppe da inmitten der üppigen Blumengebinde auf der Bühne. Wer das Kalifornische Quitett, das wie kaum eine andere Rockband für grenzenlose Verschmelzungen der Genres steht, in München bei der Rockavaria oder in Gelsenkirchen gesehen hatte, wäre schwer überrascht gewesen.

Während die Band dort schon fast sowas wie eine Leistungsverweigerung an den Tag gelegt hatte, war sie beim Pinkpop Festival kaum noch zu bremsen. Selbst der Opener „Motherfucker“ kam in einer selten gesehenen Härte. Auch bei „From Out Of Nowhere“ machte die Band keine Gefangenen. Patton zeigte sich wandlungsfähig, stimmgewaltig, wie man es von ihm kennt. Hundegebell kündigte dann an, was folgte: Von hypnotisch-schweren Gitarrenriffs begleitet der Gesangsausbruch zu „Caffeine“. Es sind dann diese krassen Gegensätze, wenn auf solche schweren Metalriffs Songs voller gläserner Schönheit wie „Evidence“ folgten, oder der Commodores-Hit „Easy“ nach der stampfenden Rockhymne „Midlife Crisis“. Faith No More haben mit ihrem Auftritt in Landgraaf wieder versöhnt. Ein Konzert, wie man es von den Meistern des Crossover-Rock eigentlich gewohnt ist.

Setlist:

Motherfucker
From Out of Nowhere
Caffeine
Evidence
Epic
Black Friday
The Gentle Art of Making Enemies
Midlife Crisis
Easy (Commodores cover)
Last Cup of Sorrow
Separation Anxiety
Matador
Ashes to Ashes
Superhero

Elbow auf der Hauptbühne des Pinkpop Festivals. FOTO: Horst Müller
Elbow auf der Hauptbühne des Pinkpop Festivals. FOTO: Horst Müller

Ganz anders ging es bei Elbow auf der großen Bühne zu. Elbow – das ist Musik, die irgendwie gar nicht von dieser Welt scheint. Schon diese zarten, verträumten, manchmal auch ein wenig rätselhaften Texte zu dieser völlig entschleunigten Rockmusik. Die Zeit bleibt stehen, wenn Guy Garvey mit seiner Band die Bühne betritt. Und es spricht für seine Begeisterung und die von Mark Potter (Gitarre), Craig Potter (Keyboard), Pete Turner (Bass) und Richard Jupp (Drums), dass sie sich nicht lumpen lassen und mit großer Bandbesetzung auftreten. Echte Streicher, echte Bläser. Keine Sequenzer, kein doppelter Boden. Wie zauberhaft das dann klingt, zeigten sie mit ihrem Opener „The Birds“. Oder beim von Streichern getragenen Song „One Day Like This“, ein Lied voller Zuversicht und Sonne… Auch „Fly Boy Blue / Lunette“ ist so ein Stück, das so voller liebevoller musikalischer Details ist, und dann dieser zartfühlende Gesang von Guy Garvey – das ist ganz großes Kino.

Setlist:

The Birds
Fly Boy Blue / Lunette
One Day Like This
Bitten by the Tailfly
My Sad Captains
The Take Off and Landing of Everything
Lippy Kids
Grounds for Divorce

Und dann der große Auftritt von Muse. Diese durchinszenierte Show, getragen von einer Flut von vorwiegend schwarz-weiß bestimmten Bildern, Filmsequenzen, unterstützt von theatralischen weißen Lichtkegeln, wird wohl keiner so schnell vergessen: die roten und weißen Papierschlangen, die vor der dunklen Bühnenkulisse plötzlich in den Himmel schossen, die überdimensionalen schwarzen Bälle, die wie aus dem Nichts, wie mysteriöse Eier über dem Publikum hinwegschwebten. Dazu diese überragende musikalische Fähigkeit des Trios mit einem schon fast beängstigend präsenten Matthew Bellamy, der eine so unfassbare Gesangsqualität besitzt, aber auch an der Gitarre ein kreativer Virtuose und experimentierfreudiger Klangkünstler ist. Muse bedienen sich bei ihrer Musik aus allem, was die kreative Spezies geschaffen hat: Strukturen aus der Klassik, Rhythmen aus dem Progressive Rock, die musikalischen Gebärden des emotionalen Pop und die weiten Landschaften der cineastischen Soundtrack-Welt. Da werden Queen, Oasis, Prince, Radiohead und Rush mit jeder Menge eigenen Amalgamanteilen zu einer völlig neuen Kunstform verschmolzen, das kann mal metallhart und wütend, mal melancholisch und hymnisch klingen. Auf keinen Fall langweilig und abgedroschen. Muse sind sicher noch längst nicht am Zenit angekommen.

Setlist:

[Drill Sergeant]
Psycho
Interlude
Hysteria
New Born
Supermassive Black Hole
Dead Inside
Resistance
Munich Jam
Madness
Apocalypse Please
Stockholm Syndrome
Plug In Baby
Mercy
Time Is Running Out
Reapers

Encore:

[JFK]
Uprising
Starlight
Knights of Cydonia (Ennio Morricone’s Man With a Harmonica intro)