Markus Stockhausen und seine Band wagen den Einstieg in ihr erstes Live-Konzert seit Beginn der Pandemie mit der 20-minütigen Suite „Far Into The Stars“. Die Bereitschaft zum Risiko zeigt, wie sehr die Markus Stockhausen (Flügelhorn/Trompete), Jeroen Van Vliet (Piano, Keyboard), Jörg Brinkmann (Cello) und Christian Thomé (Drums) bereit fürs Liveerlebnis sind. Das fabelhafte knapp zweistündige Konzert in der Harmonie Bonn ist Teil des Beethovenfestes Bonn.
Von Dylan Cem Akalin
Vielleicht ist es auch eine meditative Art, sich heranzutasten an das neue Gefühl, wieder nach so langer Pandemie bedingter Pause, auf einer Bühne zu stehen. Die Markus Stockhausen Group startet nämlich nicht mit einer Entladung instrumentaler Aufwallungen. Ganz sacht entstehen durchs Streichen mit dem Bogen über den Rand der Becken gläserne Widerhalle, in die sich das Piano nur monoton einfügt. Ein melodisches Thema schält das pizzicato gespielte Cello erst im zweiten Satz heraus, zu dem Thomé die Felle mit dem Besen bearbeitet, den dritten Teil bestimmt die von viel Hall verstärkte Trompete, die von einem sich stetig steigenden Tempo und einem dahinperlenden Piano harmonisch unterstützt werden. Ein unglaublicher Start in einen Abend, in dem Stockhausen und seine Mitmusiker sich herantasten an einen Ausdruck, der mehr von Licht als von Schatten geprägt ist.
Das aktuelle Dreifach-Album „Tales“ ist eine wunderbare Demonstration der erzählerischen Fähigkeiten des Musikers und Komponisten. CD1 besteht aus Kompositionen, die beiden anderen CDs sind ausschließlich Improvisationen. An diesem Abend in Bonn spielt die Band praktisch alle Stücke diesem neuen Album, darunter etwa „Sunday Morning“, durch das sich zwei Akkorde des Pianos wie Glockengeläut durch den Song durchziehen und die Grundstimmung eine durchaus unbeschwerte ist.
Auf dem Album heißt es noch „A Smile“, live kündigt es Stockhausen als „Ein Lächeln“ an, das ein von der Barockmusik inspiriertes Grundthema hat und am Ende Thomé ein wenig Raum für einen solistischen Auftritt bietet. Auch bei „Not In Vain“ nennt Stockhausen den deutschen Titel „Nicht Umsonst“. Zu Beginn erinnert das Stück an Miles Davis „In A Silent Way“, teilweise sogar etwas an Davis‘ „Sketches of Spain“. Im anschließenden Improvisationsteil gibt sich die Truppe etwas wilder, wenn auch die Snare zum Cellosolo recht licht gespielt wird. Eine dissonante Pianobridge leitete dann zu „Warmes Licht“ über. Das Horn klingt, als käme es von einer unbestimmten Ferne, das Klavier wie in einem Raum ohne Wände gespielt, das Schlagzeug scheppert wie ein Windspiel, und das Cello spielt eine fremde Weise. Die Band vermittelt eine merkwürdig entwurzelte, überspannte Anwandlung, keineswegs bedrohlich im Ansinnen, sondern sehnsüchtig nach mehr machend.
Diese Gefühle löst die Truppe auch später bei anderen Werken aus. Bei „Destiny“ etwa greifen Cello und Piano Versatzstücke von zuvor umspielten Tönen auf und präsentieren sie mit einer stolzen Grundhaltung, als seien diese soeben erst entdeckt worden. Am Ende wirkt es wie die Musik zu einem Filmabspann – trostreich und hoffnungsvoll.
Überhaupt gehört es zum Stockhausen’schen Konzept, innerhalb seiner Kompositionen das Gefüge zu verschieben, Grundstimmungen zu verändern, neue Räume zu schaffen, die aus verschiedenen Stoffen bestehen, in denen Elemente des Jazz, der Klassik, der Neuen Moderne und Worldmusic stecken. Insbesondere die unterschiedlichen Ansätze von Brinkmann entführen immer wieder mal in die weiten Steppen der Mongolei, in magische Jurte Tibets, oder er verbindet in ein und demselben Spiel Klassik und Jazz. Verblüffend vielschichtig mit enorm seelenheilender Wirkung.
Stockhausen nutzt seine Trompete oder sein Flügelhorn nie, um sich in den Vordergrund zu spielen. Man sieht es ihm auf der Bühne an, dass es ihm auf die Gesamtwirkung ankommt. Hin und wieder gibt er seinen Mitspielern Zeichen, wenn er Passagen lauter haben will, auf Wiederholungen drängt oder eine Idee stärker herausgestellt haben will. Oder aber er steht mit verschränkten Armen an der Seite und hört dem jeweiligen Solisten aufmerksam zu. Stockhausen liebt offensichtlich offene, weite Klangwelten, in denen sein Horn eher sachte als scharf seine Stimme erhebt, und er bevorzugt dann eher die Tonalität als avantgardistische Wagnisse. Bisweilen mag man sich auch an Nils Petter Molvaers meditativen, mystischen Stil erinnert haben, oder an den Minimalismus von Miles Davis, der ja auch lieber Akzente gesetzt hat, als sich in ausufernden Soli zu suhlen.
Am Ende erklatscht sich das Publikum zwei Zugaben, und dass seine neue CD am Verkaufstisch anschließend richtig gut verkauft wurde, spricht für den glanzvollen Musikabend.