Marc Copland und Claus Raible bringen Trio-Jazzalben heraus – eines setzt Maßstäbe

Zwei klassische Piano-Trios mit völlig verschiedenen Ansätzen. Marc Copland und Claus Raible haben Alben herausgebracht, die unterschiedlicher nicht sein können. Warum mir das Ergebnis von Marc Copland besser gefällt, obwohl das Ergebnis von Claus Raible durchaus wunderschön ist. Warum? Lest selbst…

Von Dylan Cem Akalin

Claus Raible nennt sein Album schlicht Trio!. Mit Giorgos Antoniou (Bass) und Alvin Queen (Drums) hat sich der 52-jährige gebürtige Karlsruher vor allem den Jazzstandards hingegeben. Auch wenn fünf der zwölf Tracks Eigenkompositionen sind, so fügen sie sich doch ohne Bruch ein in Kompositionen wie „I’ll Remember April“, „Thelonious“ oder „On Green Dolphin Street“. Raible wandelt als Jünger von Bud Powell und besonders Thelonious Monk auf deren Pfaden, hat das so verinnerlicht, dass die komplexen Werke so leichtfüßig und spannend interpretiert werden, als seien es seine eigenen.

Dazu wird er von zwei Musikern begleitet, die ihm in Dynamik und Lebendigkeit in nichts nachstehen. Noch dazu ist das Album hervorragend produziert. Die Stücke klingen so vital und ausgefeilt, als würde die Band mitten im Wohnzimmer sitzen. Das ist wirklich klasse.

Bop-Pianist durch und durch

Claus Raible ist Bop-Pianist durch und durch, und das müsste eigentlich schon genügen. Bebop, so sagte er einmal, „ist nach meinem Empfinden der komplexeste Stil – rhythmisch, melodisch und harmonisch. Hank Jones hat in einem Interview in hohem Alter erklärt, er habe es nie geschafft, diesen Stil komplett zu meistern – und das war keine Koketterie. Er hat das ganz ehrlich gemeint.“ Raible spielte schon mit Jazz-Größen wie Art Farmer oder Mark Murphy, lebte in den 90er Jahren in New York, wo Barry Harris großen Einfluss auf ihn ausübte.

Aber genau das ist es, was mich etwas an dem neuen Album stört. Es ist klassisches Bop-Piano wie es auch Barry Harris oder Bud Powell gespielt hätten. Zu deren Zeiten wäre Raible eine Offenbarung gewesen. Wie gesagt, wunderschön gespielt, ein durch tänzelndes Piano, aber leider ohne eigene Stimme. Das Album klingt nach Zeitmaschine. Bop-Fans werden diese bedingungslose Hingabe ohne Zweifel feiern, mir reicht diese Interpretation im 21. Jahrhundert indes nicht.

Marc Copland! And I Love Her

Das sieht bei And I Love Her von Marc Copland schon ganz anders aus. Schon der Opener mit dem fiebrigen Schlagzeug und dem intensiven Bassspiel bei „Afro Blue“ und dem erst zögerlich einsetzenden Piano signalisiert, dass hier etwas Neues entstanden ist. Copland ist ein Pianist/Musiker/Komponist, der selbst so vertraute Stücke wie der Beatles-Titelsong in völlig anderes Licht eingetaucht wird. Und wie er das tut, ist einfach großartig.

Als der wunderbare Gitarrist John Abercrombie 2017 nach langer Krankheit verstarb, hinterließ er eine der kohärentesten Rhythmussektionen des Jazz: Marc Copland, Drew Gress (Bass) und Joey Baron (Drums) – jeder für sich ein eigener Jazzkosmos mit magischem musikalischem Einfühlungsvermögen, die Abercrombies Quartett maßgeblich prägten. Da ist es sicher nur folgerichtig, dass die drei weiterhin zusammen musizieren – als Trio.

Herbie Hancocks Thema von „Cantaloupe Island“ schält sich subtil aus einer bezaubernd akkurat geschichteten Klangwelt heraus. Die Energie entsteht durch ein zurückhaltendes Zusammenspiel, in dem die Instrumente harmonische, doch unerwartete Figuren bilden wie ein Schwarm Sturnus vulgaris im grauen Morgenhimmel. Sie spielen zusammen wie alte Ehepaare miteinander harmonieren und schon wissen, was der andere sagt, bevor der das überhaupt ausgesprochen hat.

Der 71-jährige Pianist Marc Copland, der 59-jährige Kontrabassist Drew Gress und der 64-jährige Schlagzeuger Joey Baron brillieren, weil sie eben nicht auf breit getrampelten Pfaden der klassischen Jazz-Trios wandeln. Sie suchen nach neuen Wegen, und das tun sie nicht mit der brachialen Gewalt einer Machete durch den Dschungel der Jazzrepertoires, sondern stets mit gewisser Eleganz und Konsequenz.

Dieses Trio setzt Maßstäbe

John Abercrombies „Love Letter“ beginnt mit dieser diffusen Harmonik des Pianos, in das plötzlich wie selbstverständlich der Bass unisono in die ungezwungenen Linien einsteigt und das Zepter in der  kultivierten Gruppenkonversation übernimmt. Bekanntes wird renoviert ohne die Grundstruktur komplett zu überdecken. Die Band zaubert, verwebt Linien ohne selbstauferlegte Ecken und Kanten zu schleifen und gewinnt Kraft und Antrieb durch zunächst meditative, abstrakte Soli.

Die Copland-Kompositionen „Might Have Been“ und „Day and Night“ bauen zwar auf melodischem Gefüge auf, lassen aber Raum für aufsteigende, frei fließende Soli. Das Album schließt mit dem unwiderstehlich swingenden Cole-Porter-Stück „You Do Something To Me“, bei dem Copland sich wie ein Tänzer dreht, der seine Partnerin in fließender Harmonie übers Parkett fliegen lässt.

Ein ganz ausgezeichnetes Album, das durch ein gewisses Understatement glänzt, das seine Schönheit durch bescheidene Intensität gewinnt. Dieses Trio setzt Maßstäbe. Fantastisch!