LOUISIANA LEAF, das vierte Album von The Marble Man, klingt wie ein Musik gewordener Film Noir. Alles atmet schönen Verfall. Die Songs folgen dabei einer ganz eigenen Zeitrechnung. In spartanischen Arrangements scheinen sie immer wieder unerwartet zu verharren und in einen hypnotischen Stillstand zu verfallen. Zeit wird in solchen Momenten bedeutungslos. Getragen von einem stoischen Bass und einem unbeirrbaren Schlagzeug, arbeitet diese Band wie eine Reduktionsmaschine. Kein Ton zu viel.
Das Ergebnis sind Stücke, die in kein Format-Korsett gezwängt werden, sondern über die Ufer treten dürfen. Als Josef Wirnshofer 2007 mit seinem Debütalbum SUGAR RAILS als The Marble Man auf den Plan trat, beeindruckte nicht nur sein Gespür für zeitloses Songwriting und die betörende Leichtigkeit, mit der der damals 19-jährige, zum Ohrenschlackern talentierte Songschreiber und Multiinstrumentalist zu Werke ging. Es war auch die souveräne Sparsamkeit, mit der der gebürtige Traunsteiner seine Mittel einsetzte. Da gab es kein effektheischendes Rekurrieren auf harmonische Einfälle, kein stolzes Herumreiten auf gelungenen Refrains. Alles hatte sein Maß.
Genauso auf LATER, PHOENIX…, das der Wahlmünchner drei Jahre später nachlegte. Eine schier diszipliniert zu nennende Zurückgenommenheit zeugte von einer Reife, Stilsicherheit und Klasse, die weiterhin auf Großes hoffen ließ.Und das folgte. 2013 erschien das dritte Album HAIDHAUSEN –erstmals mit der mittlerweile fünfköpfigen Band aufgenommen. In dessen klanglicher Grandezza war gleichwohl auch dieser Wille zur Reduktion spürbar: Statt Großpop-hymnisch aufzutrumpfen, was qua Songmaterial und Klangkörper ohne Weiteres möglich gewesen wäre, feilte die Band an ihrem konzentrierten, tintenschwarz funkelnden Sound. Verspieltheit und Ornamentik fanden praktisch nicht statt, dafür Tiefgang und Gewicht.Gut sieben Jahre nach HAIDHAUSEN und eine lange Reihe von Konzerten später gehen The Marble Man diesen Weg der Expansion durch Reduktion weiter. Und der führt sie auf LOUISIANA LEAF tiefer hineinin dunkle, kühle, nächtliche Regionen der Seele und des Sounds.
Da ist ein Stück wie „The Twins“, das wirkt, als müsse es erst noch auftauen und aus seiner Starre erwachen, bevor die Erzählung Fahrt aufnehmen kann, um schließlich wie ein Schiff auf hoher See im Sturm eines stetigen Crescendo zu versinken. Wir hören Nummern wie das erhabene „Totem“ mit seinem New-Wave-Synth-Bass und seinen Galeeren-Trommeln, oder das versöhnliche „Ruby“ mit seiner magischen Gesangslinie. Nackt und geheimnisvoll dagegen „Pusher Street“ mit seinem schleppend triphoppigen Beat.
Für LOUISIANA LEAF brachte Josef Wirnshofer Songs mit in den Proberaum, Skelette, die die Band dann gemeinsam in lustvoller Detailversessenheit mit Fleisch behangen hat. Aufgenommen haben The Marble Man das Album mit Frank Mollena (Missouri, Bambi Davidson) im Lone Star Studio in Nürnberg. Ziel war dort, vertraute Klangbilder zu umschiffen und den Songs einen eigenen Sound zu verpassen. Heißt konkret, dass sich Michael Zahnbrechers Orgeln und Rhodesimmer wieder ihren Weg durch Effektketten und Tape Echos bahnen müssen. Oder dass Jonas Übelherrs Schlagzeug Hand in Hand geht mit analogen Drumcomputern und Samples vom Windspiel bis zur zuschlagenden Dixieklo-Tür. Daniel Mannfelds Gitarren kommen in Flächen und Wolken, bis zur Unkenntlichkeit gehäckselt oder mit dem Geigenbogen gestrichen. Und Boris Mitterwiesers Bass pluckert zwischendurch wie auf alten Bert-Kaempfert-Aufnahmen.
Gebaut ist diese Klangästhetik auf unverstellten Arrangements, die jedem Sound Raum lassen. Kanten dürfen Kanten sein (man höre die beißenden Gitarren beim Opener „A Man We Knew“ oder die kakophonischen Snares bei „Rowboats“), Fehler dürfen Fehler sein (bei „Ruby“ wurde das Rauschen eines defekten Gitarrenamps kurzerhand in den Song integriert). Auf ähnlich experimentellem Weg erhielt Josef Wirnshofers Gesang auf jedem Stück einen eigenen Sound –mal mit regenschwerem Delay, mal wie aus weiter Ferne durchs Transistorradio, mal irisierend-schwebend durch die Leslie-Box.
Mit LOUISIANA LEAF haben The Marble Man nicht nur einen selbstbewussten Schritt in Richtung Unverwechselbarkeit getan. Sie haben Musik zu unserer Zeit geschrieben. Dieses Album ist weder rückwärtsgewandt, noch drängt es nach vorne. Es spielt genau im Heute. Ideenreich und sicher in der Wahl der Mittel.
(Text: Josef Winkler, Guido Möbius/Millaphon Records GmbH)