Warren Haynes gehört zu den Musiker, die sich ohne Scheuklappen in ihrem jeweiligen Genre bewegen. Haynes ist vom Blues, vom Americana, vom vielkulturellen Sound der Berge von North Carolina, wo er aufgewachsen ist, beeinflusst. Im J&R-Interview sagte er einmal, er strebe beim Sound seiner Gitarre dem Klang von Sonny Rollins‘ Tenorsaxofon nach. Noch Fragen? Gov’t Mule geben beim Trippelkonzert bei den Leverkusener Jazztagen am Dienstagabend wieder einmal einen hervorragenden Einblick in ihr weites musikalisches Kosmos. Ganz großartig auch das britische Bluesrock-Trio The Brew und Albert Lee.
Von Dylan Cem Akalin
Das im Song „Kind of Bird“ von den Allman Brothers ganz viel Jazz steckt, hatten Haynes und seine Band Gov’t Mule ja schon bei ihrem Projekt „Sco Mule“ mit dem Gitarristen John Scofield bewiesen. Am Dienstag bildete das Stück in einer epischen Länge nochmal sowas wie das Zentrum ihres Konzertes. Jorgen Carlsson leitet den Song mit einem zürnenden Bass ein, der wie eine Sturmwelle anrollt, in das Danny Louis mit einem klaren E-Piano und Matt Abts mit straightem Schlagzeug einsteigen. Haynes spielt seine Les Paul äußerst jazzig. Nach den bekannten ersten Breaks und Tempiwechseln liefert Louis eines seiner abgefahrenen Darbietungen an der Hammondorgel und wechselt darin in ein regelrecht gehacktes Pianosolo. Haynes beginnt mit einer zunächst zurückhaltenden Gitarre. Die Sounds sind geprägt vom Crescendo-Spiel mit dem Volumepedal. Und es ist wieder einmal begeisternd mitzuerleben, wie Haynes immer wieder Zitate einbaut, diesmal „In Memory of Elizabeth Reed“ von der Allman Brothers Band. Großartig! Und ebenso brillant Louis‘ Posauneneinlage, bevor die Band wieder zum Hauptthema zurückkehrt.
Mit dem Jeff Beck-Shuffle „Freeway Jam“ bringt die Band die zweite Fusionnummer. Ungewöhnlich für Haynes: Von den 14 Stücken waren sechs vom neuen Album „Revolution Come … Revolution Go“. Zu Recht, wie ich finde. Denn das zehnte Studioalbum der Band ist große Klasse. Don Was, der zwei Tracks auf der neuen Platte koproduziert hat, nennt Haynes „einen der gefühlvollsten Typen überhaupt“. Der Produzent vergleicht den Kraft und die Entschlossenheit in Haynes‘ Songwriting mit der „direkten Ehrlichkeit“ von John Lennon.
„Revolution Come … Revolution Go“ wird auch von einer gewissen aktuellen politischen Dringlichkeit angetrieben, die auf „Mule“ von 1995 zurückgeht – mit seiner bitteren Anspielung auf Entwicklungen des amerikanischen Südens nach dem Bürgerkrieg „Where’s my mule/Where’s my 40 acres? „) – und Haynes Kindheit in Asheville, North Carolina. Seine Eltern ließen sich scheiden, als Haynes acht war; Als jüngster von drei Söhnen lebte er meist bei seinem Vater, der die Demokraten wählte und eine wilde, unabhängige Haltung hatte. Edward Haynes arbeitete 25 Jahre lang für eine Supermarktkette im Management. Als das Unternehmen in der Region geschlossen wurde, wurde Edward ein Umzug angeboten. Doch er weigerte sich, seinen Jungen die Wurzeln zu nehmen, wie es Haynes ausdrückt. Darüber ging ja der Song „Company Man“ auf seinem Soloalbum „Ashes and Dust“ und darüber handelt in gewisser Weise auch der eindringliche Blues „Railroad Boy“, mit dem die Band ihr Konzert eindrucksvoll eröffnet.
Der Mann ist einfach großartig, wie er gefühlsvolles Songwriting und anspruchsvolle Arrangements mit viel Platz fürs Jamen verbindet. Ein Mann vieler Worte ist er nicht. Jedenfalls auf der Bühne. Auf der Bühne bietet er dem Publikum die größtmögliche Unterhaltung, und das heißt bei ihm: viel Musik, viel Improvisation, viel Abwechslung und eben Soul ohne Ende. Auch diesmal wieder in Leverkusen.
Zuvor eröffnete Albert Lee den Abend mit seinem bekannten flinken Hyperpicking und seiner vom Country geprägten Musik. Und Lee wird von einer hervorragenden Band begleitet: Will MacGregor am Bass, Ollie Sears an den Drums und JT Thomas, der später auch einmal als Gast bei Gov’t Mule mitspielt, an den Keyboards. Thomas ist eine absolut coole Sau. Nicht nur optisch mit seinem stramm gebundenen Pferdeschwanz. Bei der Ray Charles-Nummer „Leave My Woman Alone“ etwa steht er nach einem Break vom Keyboard auf, stellt sich mit verschränkten Armen neben Bassist und Drummer und sitzt bei seinem Einsatz wieder vor den Tasten. Der Fats Domino-Rock ‚n‘ Roll „I’m Ready“ ist der Opener des Konzertes des immer noch jugendlich klingenden Lee, gefolgt von Little Feats „Rad Gumbo“. Bei „Restless“ lässt Lee seine flinken Finger tanzen. Mit „Luxury Liner“ bot er einen Emmylou Harris-Klassiker, auf dem er auch schon damals bei der Sängerin mitspielte. Und auch sein eigener Klassiker „Country Boy“ durfte auf der Setliste nicht fehlen.
The Brew – das sind der Wirbelwind an der Gitarre und Sänger Jason Barwick, Drummer Kurtis Smith, wahrscheinlich eher direkter Nachkomme von Animal aus der Muppet Show, als von Tim Smith, der mit seinem stoischen Bass sowas wie Ruhe in das Trio bringt. Wenn „Ruhe“ überhaupt das richtige Wort ist. Die drei Briten gehen sofort auf Tempo 100. Ohne Umwege, ohne die Beschleunigungsspur zu nehmen sind die drei sofort auf Betriebstemperatur. Dass der Sound beim ersten Stück noch eher genehmigungswürdig ist, egal. Das zweite Stück „Johnny Moore“ kommt bereits mit der Wucht eines Tsunamis. Dass das Trio immer gerne Druck macht auf ihren Konzerten, weiß man. Diesmal scheinen sie sogar noch einen weiteren Gang hochzuschalten.
Warum diese Band immer noch nicht auf den ganz großen Bühnen landet, ist mir völlig unbegreiflich. Songs wie „Knife Edge“ sind dermaßen ausgereift, bieten alles, was das Rockerherz begehrt. Fette Riffs, Hammerschlagzeug, hymnischen Gesang. Barwick bekommt bei diesem Stück seinen ersten psychedelischen Saitenausbruch. Das Publikum rastet völlig aus. Etwa 1200 Besucher machen Krach für 2000. Unfassbar, dass dieser Abend im Forum Leverkusen nicht ausverkauft war.
„Mute“ beginnt Barwick zunächst allein mit Gitarre und Gesang, bevor Drums und Schlagzeug kraftvoll einsteigen. Barwick lässt seinen Gitarrensound über einen Phaser ordentlich verfremden.
„Kam“ spielt Barwick auf einer abgewetzten Fender. Zunächst mit diesem fendertypischen klaren runden Sound. Im Gegensatz zur Platte lässt er dabei am Ende jeden Riffs die Akkorde schmatzend knallen. Was für ein sagenhaft gutes Stück, das viel Gefühl und einen ins Ohr gehenden Chorus hat. Ja, hier spielt die Trupps so emotional, Kurtis Smith greift zu den Klöppeln, um die Trommel noch wärmer klingen zu lassen. Natürlich steigert sich der Song immer weiter in höhere Sphären, bis die drei beim Schlussakkord im Dunkeln stehen, lediglich von hinten grell angeleuchtet. Sehr viel mehr Drama geht nicht.
Abgewetzt sind die Marshalltürme, abgewetzt Gitarren und Bass. Sie demonstrieren damit, dass sie eine Liveband sind – durch und durch. Und sie geben alles. Und sie haben alle Tricks drauf, die man als Rocktrio braucht. Energie und ein wenig Selbstdarstellung, Finesse und Virtuosität. Wie sich Bass und Drums bei „Name On A Bullet“ von hinten ins mit einem Geigenbogen gespielte Gitarrensolo nähern, wie eine Armee bei Nacht, das ist großes Kino.