
Mit einer fulminanten Doppelshow eröffnen New Model Army und Billy Idol am Sonntag die KunstRasen-Saison in Bonn – rau, poetisch, exzessiv. Während Justin Sullivan mit düsterer Intensität die Seele seziert, zündet Billy Idol das große 80s-Rock-Feuerwerk. Ein Abend zwischen Gänsehaut, Gitarrenekstase und rebellischem Pathos.
Von Dylan C. Akalin
Die Eröffnung der KunstRasen-Saison am Sonntagabend ist ein Doppelwumms. Ein doppelter Frontalangriff aufs Herz und die Seele, eine kollektive Behandlung der Erinnerungskultur. Wenn auch mit unterschiedlichen Ansätzen. Irgendwann fängt sogar die pubertierende Tochter des Paares vor mir, die mit demonstrativer Langeweile im Gesichtsausdruck klarmacht, dass sie NICHT FREIWILLIG hier ist, an zu wippen.

Immerhin erleben wir zwei Acts, die auf den ersten Blick wenig verbindet, und die sich auf der Bühne dennoch ideal ergänzen: New Model Army als raues Gewitter der Innerlichkeit, Billy Idol als entfesselter Star der Pose, der Inbegriff des 80er-Jahre-Pop-Punk-Rock.
New Model Army – Die wütende Poesie einer unbeugsamen Band
Schon beim ersten Ton von „White Light“ bekomme ich Gänsehaut. New Model Army ist keine Band, die auf der Bühne nur abliefert. Sie lebt ihre Musik. Justin Sullivan – schmal, mit ergrautem Haar und dem stoischen Blick eines Mannes, der schon alles gesehen hat,– singt, als ginge es um alles. Und vielleicht tut es das auch. Für ihn. Die Stimme ist noch rauer als sonst, kräftig, eindringlich.
Was für eine Band!
Dean White (Gitarre, Keyboards) sorgt mit flirrenden Klangflächen für cineastische Breite, Michael Dean spielt ein Schlagzeug, das auf erzählerische Art vorwärtsstrebt, er kann aber auch seinen Stil ändern, wie im Intro zu „Devil’s Bargain“, bei dem er wilde Wirbel entfesselt. Und dann ist da Ceri Monger, der stoische Bassist, dessen Spiel zwischen Erdbeben und Meditation pendelt.

Doch den Moment der Verwandlung bringt Violinistin Shir-Ran Yinon, deren Spiel zwischen Folk, Wut und Trauer mäandert. Besonders in „Vagabonds“ verleiht sie der Musik eine mystische Schwere, als würde sich plötzlich das englische Hochmoor öffnen. Ihr Geigenspiel ist Teil einer ganz eigenen emotionalen Hauptader – manchmal klagend, manchmal schneidend. Die Geige wird zur zweiten Stimme Sullivans, zur klagenden Schwester seines unbeugsamen Baritons.
Radikal poetisch
Und über allem: die Texte. „Never Arriving“ ist eine existenzielle Meditation, „Stormclouds“ eine zornige Litanei gegen politische Lethargie, „Here Comes the War“ ein düsterer Trommelwirbel gegen den Zynismus der Gegenwart. Eine meiner Lieblingsnummern: „Winter“ – ein Lied von Entbehrung und innerer Kälte, getragen von Sullivans rauer Stimme und der Intensität der Geige. Die Nummer ist mehr als eine düstere Ballade – es ist ein politisches Klagelied über soziale Kälte, Ausgrenzung und den Verlust gemeinschaftlicher Verantwortung, ein musikalischer Protest gegen eine Gesellschaft, die ihre Schwächsten erfrieren lässt.
Sullivans Sprache bleibt radikal poetisch, nie predigend, sondern bohrend. Jeder Song ist ein Kapitel, jeder Refrain eine offene Frage. Und was für eine Intensität, eine klagende Leidenschaft er in „March in September“ bringt!
Das Publikum ist natürlich nicht mit jenem begeisterten und geradezu impulsiven bei den jährlichen Weihnachtskonzerten im Kölner Palladium zu vergleichen. Dennoch wird die Band gefeiert. Es wird laut, wenn „Green and Grey“ die Konflikte von Stadt und Land, Herkunft und Entfremdung in die Menge schleudert. Hier steht eine Band, die nie gefallen wollte – und deshalb so eindringlich ist.
Billy Idol – Der ewig glühende Restposten der Dekadenz
Nach dieser intensiven Tiefe ist Billy Idol, der sich NMA übrigens ausdrücklich als Support gewünscht hat, beinahe eine Art Eskapismus – aber was für einer. Der Mann mit dem gebleichten Schockhaar, den blitzenden Reißzähnen und dem frechen Hüftschwung betritt die Bühne wie ein Rockstar aus dem Bilderbuch.

Und er liefert. Der Mann wird im November 70 Jahre als, ist immer sagenhaft gut bei Stimme und echt fit – den durchtrainierten Oberkörper präsentiert er gleich mehrmals, wirft zwischendurch sein durchschwitztes T-Shirt ins Publikum, die Oberarme straff, der Bauch auch. Da kommt sicherlich bei dem einen oder anderen Alt-Fan Neid auf.
„Still Dancing“
„Still Dancing“ ist Statement genug. Ja, Billy Idol tanzt noch. Und wie. Mit einer Setlist, die klug zwischen Klassikern („Cradle Of Love“, „Flesh For Fantasy“) und neuem Material („Too Much Fun“, „People I Love“) balanciert, bringt Idol das KunstRasen-Gelände zum Kochen.
An seiner Seite: Steve Stevens, ein Gitarrist von einer anderen Welt. Auch er sieht immer noch so aus wie in den 80er Jahren: dunkel gekleidet, schlank, immer noch die gleiche schwarze toupierte Langhaarfrisur.
Steve Stevens an der Gitarre
Sein erstes wah-wah-bestimmtes Solo auf „Still Dancing“ ist ein Statement: Mit dem Mann ist zu rechnen. Bei „Flesh For Fantasy“ explodiert sein Spiel geradezu. Sein Solo-Block startet mit einer Salve wie sie auch von Al Di Meola hätte sein können, gespickt mit Zitaten aus Led Zeppelins „Over The Hills And Far Away“ und „Stairway To Heaven“, und Van Halens „Eruption“ klingt auch mal durch.

Der Mann kann was, hat einen sensationellen Sound, was ihn in den 80ern zu einem der gefragtesten Gitarristen gemacht hat und ihn nicht zuletzt auch Michael Jackson in Anspruch nahm. Sein Solo an diesem Abend ist auch eine ironisch funkelnde Hommage an ein Zeitalter, in dem Gitarrenheldentum noch ein Lebensentwurf war.
„Flesh!“
„Flesh!“ Die Fäuste schießen im Takt nach oben. Diese Musik, die neonfarbenen Bilder und Grafiken auf der Leinwand, der Sound, Billy Idol – das alles ist der Inbegriff der Eighties. Diese Farben und Schriftzüge bei „Too Much Fun“ – MTV 1986!
Billy singt, grinst, flirtet – aber auch er hat seine ernsten Momente. Das Rose Royce-Cover von „Love Don’t Live Here Anymore“ ist überraschend zart, fast gebrochen. Es zeigt: Unter der Lederjacke schlägt auch ein Herz, das die Verlorenheit kennt. Als dann die sensationelle Backgroundsängerin noch hinzukommt und mit ihrem kräftigen Sound in der Stimme dem Song eine ordentliche Portion Motown-Soul hinzufügt, flippt das Publikum total aus. Toll auch die Interpretation des Tommy James & The Shondells-Klassikers „Mony Mony“!
Was für ein Finale
Das Finale mit „Rebel Yell“, „Dancing With Myself“, „White Wedding“ ist Ekstase pur. Hände in der Luft, Stimmen im Chor. Es ist Rock’n’Roll, und es ist schön.











Setlist Billy Idol KunstRasen Bonn 29.06.2025:
Still Dancing
Cradle Of Love
Flesh For Fantasy
77
Eyes Without A Face
Steve Stevens Guitar Solo mit Themen aus Over The Hills And Far Away, Eruption und Stairway To Heaven
Mony Mony
Love Don’t Live Here Anymore (Rose Royce Cover)
Too Much Fun
Ready Steady Go
Rebel Yell
Encore
Dancing With Myself
Hot In The City
People I Love
White Wedding
Setlist New Model Army KunstRasen Bonn 29.06.2025:
White Light
Echo November
First Summer After
Winter
Devil’s Bargain
Never Arriving
Here Comes the War
Stormclouds
March in September
Do You Really Want to Go There?
Before I Get Old
Vagabonds
Purity
Wonderful Way to Go
Green and Grey



