Jim Kerr wird immer besser, der Sound ist sensationell, die Stimmung sowieso – und die Simple Minds spielen, als wäre es ihr erstes Konzert seit drei Jahren. Das Konzert der schottischen Kultband auf dem KunstRasen in Bonn dürfte niemanden der rund 3200 Fans unbeeindruckt gelassen haben. Die Stimme ihres Frontmanns ist etwas sonorer als in den 1980er Jahren, aber nicht minder charismatisch. Als Support erleben wir einen tollen Auftritt der irischen Sängerin, Songwriterin und Multiinstrumentalistin Imelda May.
Von Dylan Akalin
Es kommt ein wenig Wehmut auf. Bei manchen setzte sich vielleicht auch eine Träne ab. Die Simple Minds gehörten einst zu den Bands, die den Sound der 80er Jahre prägten. Dieser unbeschwerte Rock, der auch in tanzbaren Momenten immer diese zerstreute Melancholie in sich trägt, die synthetischen, sauberen Sounds mit den fetten Bässen, die mitreißenden Drums und die Gitarre, die elegant über alle Verschmelzungen der Instrumente dahinsegelt und die Stimme mit breitem Beistand unterstützt – das sind die goldenen 80er Jahre, das ist die Musik aus der Zeit, in der die Clubszene erblühte. Alleine in Bonn gab es mehr als ein Dutzend Läden, wo man die Nacht zum Tage machen konnte. Vielleicht konnte man weder zuvor noch danach als junger Mensch so gut abfeiern.
Und die Musik der Simple Minds gehörte unbedingt dazu. Eine Musikgruppe, die mehr als 60 Millionen Tonträger verkauft hat, hat alleine damit schon ein Statement gesetzt. Kaum zu glauben, dass diese Band, die in ihrer Geschichte schon so manchen Musikpreis abgeräumt hat, 44 Jahre alt ist. Auch wenn vom alten Kern der Simple Minds nur noch der wunderbare Jim Kerr und Gitarrist Charlie Burchill dabei sind, die neuen Mitglieder tragen den Sound der Band in die neue Zeit.
Der Schotte mit dem italienischen Pass
Die Musik der Simple Minds ist immer noch erhebend, vital und versetzt das Publikum in einen melodiedurchfluteten Rausch, sie ist wie eine Injektion, die die Sehnsucht nach der Vergangenheit erweckt und sie zu einem Fest des Moments macht. Songs wie „Waterfront“, „Mandela Day“ oder „Someone Somewhere in Summertime“ haben immer noch genügend Kraft und Intensität, um zu begeistern. Und Jim Kerr hat auch mit seinen 63 Jahren die Ausstrahlung eines Rockstars. Er trägt Jeans, ein weißes Schlabber-T-Shirt unter einer braunen Jacke und einen blass roten Schal. So ein Outfit wäre in den 80ern ein No-Go gewesen, in so manchen Club wäre er damit nicht eingelassen worden. Doch heute, in den 2020er Jahren ist das völlig egal. Der Schotte mit dem italienischen Pass, der seit vielen Jahren ein eigenes Hotel in Sizilien führt, ist keiner, der was auf Konventionen gibt. Und wer ihn persönlich kennenlernt, weiß, dass das ein unkomplizierter, wahnsinnig freundlicher Mensch ist. Und ein Künstler, der auf der Bühne alles gibt. Schon nach dem ersten Stück („Act Of Love“) ist er völlig verschwitzt. Er tanzt, kniet nieder und streckt sich, liegt auf dem Boden und springt. „We gonna give you one hundred percent“, verspricht er, bevor er mit „Glittering Prize“ den dritten Song anstimmt – und er hält das Versprechen.
„Mandela Day“, „Belfast Child“ und viele Songs mehr
Höhepunkte? Viele. „Waterfront“ beginnt mit einem fetten Bassintro und der Song wird für Kerrs Stimme etwas tiefer angesetzt. Bei „Book Of Brilliant Things“ überlässt Kerr Sarah Brown das Scheinwerferlicht. Ihre eindringliche, soulige Stimme füllt den KunstRasen bis in die letzte Ecke. Die Harmonien von „Mandela Day“ treffen das Herz vom ersten Takt an.
„Belfast Child“ mit einer traditionellen keltischen Melodie als Basis erleben wir in einer fantastischen Version – und der Genuss wäre vollendet gewesen, wenn, wie so oft, nicht so mancher Zuschauer und Zuschauerin ausgerechnet im Beginn des fast a cappella gesungenen Teils so laut gelacht und rumgealbert hätte. Dann setzen die dramatischen Drums (überhaupt fällt Cherisse Osei als tolle Musikerin auf) ein, der Mittelteil wird eindringlich, auch durch das Gitarrensolo, das Burchill, hell angestrahlt, auf seiner weißen Gretsch spielt, und das Stück endet in epischem Terrain und einem flötengleichen Keyboard.
Bei „Theme for Great Cities“ kommt Keyboarderin Berenice Scott mit einem Keytar nach vorne, seine schottische Herkunft kann Kerr mit dem rollenden „R“ bei „Someone Somewhere in Summertime“ einfach nicht verbergen, „See the Light“ kommt mit dieser schmachtenden Coolness und der Soundästhetik der 80er. Apropos Sound: Der Klang auf dem Platz war selten so gut auf dem KunstRasen. Mit einer XXL-Version von „Don’t You (Forget About Me)“ beendet die Band das offizielle Set, liefert dann aber noch drei Songs als Zugabe.
Die Ballade „Speed Your Love to Me“, gesungen von Berenice Scott and Sarah Brown, nimmt zwar zunächst etwas vom Schwung raus, dafür bringen „Alive and Kicking“ und „Sanctify Yourself“ das Publikum wieder auf Betriebstemperatur. Allerdings hat die Band bei „Alive and Kicking“ das Tempo etwas gedrosselt, was etwas irritiert.
Dennoch: Hände zum Himmel, offene Arme, Gesten zum Publikum – Kerr und seine Gruppe machen den Freitagabend zum aufregenden Übergang ins Wochenende. Und die Simple Minds zeigen, dass sie immer noch diese elegante Energie und einen charismatischen Bandchef haben. Die Simple Minds symbolisieren Prinzipien wie Liebe, Freundschaft und Loyalität. Es passt, dass sie Kampagnen für Amnesty International fördern und Alben veröffentlichten, die auch inhaltlich so engagiert sind wie etwa das 89er-Album „Streets Fighting Years“. Die Simple Minds setzten sich in den Neunzigern für humanitäre Initiativen ein, besangen die Befreiung des südafrikanischen Führers Nelson Mandela und widmeten ihr Album dem chilenischen Singer-Songwriter Víctor Jara. Wir erinnern uns an ihren Auftritt 1985 bei Live Aid –die Lieder von Simple Minds haben sowas wie eine kollektive Identität von vielen Menschen geschmiedet. Sie müssen sich keine Gedanken machen: „Don’t you forget about me“? Werden wir nicht.