
Ein poetischer Festivalmoment: Gitarrist Dominic Miller holt bei der Zugabe Camille Bertault auf die Bühne – gemeinsam improvisieren sie über „Shape of My Heart“. Zuvor zeigt Bertault in einem Auftritt zwischen Stolperstart und stimmakrobatischem Glanz, was Jazz alles sein kann. Miller hingegen brilliert zwar mit technischer Finesse, doch sein Set wirkt lange zu glatt, zu gefällig – erst spät zeigt er Ecken, Kanten und Tiefe. Ein Abend voller Kontraste, Raffinesse – und einer Prise Magie. So war der Samstagabend beim Jazzfest Bonn 2025 in der Bundeskunsthalle:
Von Dylan C. Akalin
Ein Erlebnis, wie es ihn nur auf Festivals geben kann: Dominic Miller, vor allem bekannt als Gitarrist von Sting, bittet bei der Zugabe im Forum der Bundeskunsthalle die französische Sängerin Camille Bertault zu sich auf die Bühne. Gemeinsam mit seinem kongenialen Bassisten Nicolas Fiszman improvisiert er über die Ballade „Shape of My Heart“, jenes introspektive Stück aus dem Sting-Kosmos, dessen ikonisches Riff von Miller selbst stammt. Es ist der vielleicht poetischste Moment eines Doppelabends beim Jazzfest Bonn, an dem Leichtigkeit und Tiefe, Struktur und Freiheit, Reibung und Raffinesse ein vielschichtiges Wechselspiel eingehen.
Camille Bertault tänzelt mit der Stimme und tanzt mit dem Körper
Zunächst jedoch läuft Bertaults Auftritt etwas holprig an. Die ersten fünfzehn Minuten wirken überraschend blass, beinahe uninspiriert – als müsse sich die Sängerin erst sortieren. Dabei stürmt sie die Bühne in Frack-Jacke, Hut und einem Stab wie eine Zirkusdirektorin oder Dompteuse. Ein gröberer Patzer bei einer vokalisierten Improvisation zur Trompete sorgt kurz für Irritation. Doch dann fängt sich die Sängerin, mit ihr das Publikum, und der Funke springt über.

Ihre Stücke, klug in der Dramaturgie und spielerisch im Ausdruck, entfalten zunehmend Charme und Tiefe. Vor allem „Je suis un arbre“ und das federleichte „Nouvelle York“ mit der stimmlichen Polizeisirene zu Beginn und als Abschluss zeigen, wozu Bertault fähig ist: Sie tänzelt über Harmonien, jongliert mit Worten, swingt zwischen Intellekt und Intuition. Der Trompeter Julien Alour glänzt mit weichem Ton, Fady Farahs Piano ist mal impressionistisch, mal verspielt, während Minino Garay mit feinem Gespür rhythmische Kontraste setzt. Eigentlich fehlt nur eine große Leinwand, auf der man auch in den hinteren Reihen die Gesichtsmimik der sympathischen Französin miterleben kann. Die unterstützt sie nämlich bei ihren stimmakrobatischen Erzählungen ganz zauberhaft.
Dominic Miller: Easy Listening auf höchstem Niveau
Das Set von Dominic Miller und seiner Band beginnt zunächst vielversprechend. Die Dynamik, die Breaks und das plötzliche Fortepiano hätte sogar einem Miles Davis gefallen. Was Miller da auf seiner weißen akustischen Gitarre spielt, ist (meistens) makellos, klangschön, geschmackvoll. Doch die Setlist wirkt eher wie ein fließender Strom denn als bewusst gesetzte Dramaturgie. Der erste Teil des Konzerts fließt dahin wie Easy Listening auf höchstem Niveau, umschmeichelt das Ohr, lässt an Ecken und Kanten vermissen.

Das Highlight und eine veritable Überraschung ist die Bearbeitung von „A Day In The Life“ der Beatles: wuchtig, dramatisch, fast cinematisch. Auch einige Bearbeitungen seines Chefs bekommen wir zu hören, durchaus anziehend. Am Sonntag, verrät er, fliegt er nach Colorado, um Sting wieder zu begleiten.
„Ripped Nylon“
Erst im zweiten Teil nimmt der Auftritt Fahrt auf. Und mit „Ripped Nylon“ zeigt Miller, wie filigran und kraftvoll Gitarrenspiel zugleich sein kann. Seine Band – allen voran Mike Lindup am Keyboard – folgt ihm sensibel, hält das Gleichgewicht zwischen Struktur und Spielraum.
Am Ende steht die Begegnung der beiden Klangwelten: Miller, der Ästhet, und Bertault, die Freigeistige – vereint in einem Lied über das Herz. Es ist ein Moment, der nachhallt. Und zeigt, wie unterschiedlich musikalischer Ausdruck sein kann, wenn er sich doch in der gemeinsamen Sprache des Jazz begegnet. Das Publikum feierte beide Auftritte, aber es waren beim Festival eher jene, die nicht sehr nachhaltig in Erinnerung bleiben werden.
Besetzungen:
Camille Bertault (Vocals), Julien Alour (Trompete, Flügelhorn), Fady Farah (Klavier, Keyboard), Minino Garay (Schlagzeug, Perkussion)
Setlist:
Bonjour mon amour
Un grain de sable
Bizarre
Do Do
Jo
Impulsion
Balad For N
Has been
Ваch
Ma muse
Je suis un arbre
Certes
Nouvelle York
A’quoi Bon
Dominic Miller (Gitarre), Mike Lindup (Klavier, Keyboard), Nicolas Fiszman (Bass), Nicolas Viccaro (Schlagzeug)





