50 Jahre alt, und immer noch ist die Musik der britischen Progrock-Band King Crimson innovativ, wegweisend, in ihrer Mischung aus kopflastigen Strukturen und emotionalem Ausdruck faszinierend wie eh und je. Am Mittwoch und Donnerstag trat das Oktett zweimal vor ausverkauftem Haus in der Lichtburg in Essen auf.
Von Dylan Cem Akalin
Das Stimmengewirr kommt aus dem Off. Ebenso das ordnungslose Stimmen der Instrumente. Man will ganz offensichtlich den Eindruck erwecken, es ginge um eine klassische Aufführung. Und klassisch ist sie ja auch irgendwo. Das Theater mit den roten Plüschsitzen strahlt eh etwas altehrwürdiges aus. Und die Herren Robert Fripp (Gitarre, Keyboard), Jakko Jakszyk (Gesang, Gitarre), der übrigens der Schwiegersohn von King Crimson-Mitbegründer Michael Giles ist, Bill Rieflin (Keyboards), Tony Levin (Bass, Chapman Stick) und Mel Collins (Saxophon, Flöte) kommen alle in weißen Hemden, Krawatte und Anzugwesten auf die Bühne. Vor ihnen drei Schlagzeuge: Pat Mastelotto, Gavin Harrison (früher Porcupine Tree) und Jeremy Stacey, der auch mal das Keyboard bedient, beginnen mit einem afrikanischen Trommelsturm. Als die restliche Band „Hell Hounds of Krim“ eröffnet, Fripp mit metallisch, verzerrter Gitarre einsteigt, ist es, als würde eine Käseglocke gelüftet. Alles ist plötzlich präsent. Und der Sound im Saal so gut, dass jede Nuance der einzelnen Instrumente klar zu unterscheiden sind.
Töne scheinen zu zerfließen
Und dann der erste Break des Abends. Und nichts ist mehr, wie es war. Die Töne scheinen zu zerfließen, scheinen wegzudriften, als herrschte eine völlig andere Gravitation. Collins spielt ein Altsaxsolo, das zunächst wie aus der Ferne in einer surrealen Welt klingt. Dagegen klingt das Jazzfusion-orientierte „Pictures Of A City“ geradezu erdig, auch wenn Fripps schräge Arpeggien zu den ausflippenden Drums im Gegensatz zum Baritonsaxsolo stehen.
Nach „Neurotica“ beginnt Levin alleine am Steh-E-Bass zu spielen. Sein Spiel ist entfernt keltisch geprägt, in das sich scheppernd das E-Piano einfügt. Fripp ist ja auch ein Meister der musikalischen Inszenierung. Als dann die ganze Band wuchtig mit ihrem Spiel einsetzt, das Mellotron wie eine Klangwolke jede Lücke im Saal erfüllt, wissen die Fans, dass eines der schönsten KC-Stücke beginnt: „The Court of the Crimson King“. Drei Keyboarder (inklusive Fripp) lassen die Akkorde dröhnen wie in einer Kathedrale, die Drums grollen, der Bass ist körperliches Fühlen.
Fripp hockt wie immer rechts oben vor seinem Kasten voller Elektronik, die Les Paul umgeschnallt, das Keyboard vor sich. Er scheint überhaupt nichts wahrzunehmen außer seiner Band. Er schaut nur zu seinen Mitspielern. „Was machen Sie eigentlich“, wurde er kürzlich von einem polnischen Journalisten gefragt. „Ich halte einfach alles am Laufen“, lautet seine trockene Antwort.
Der Mann ist ein Phänomen. Ein disziplinierter Forschungsreisender in seiner eigenen musikalischen Welt, die, so scheint’s multidimensional ist. Auch wenn es der 72-Jährige auch durchaus versteht, eindringliche Melodien zu spielen. Ihm geht es vor allem darum, das Äußerste des Ausdrucks zu erreichen, so als wollte er die Grenzen seines Universums ergründen. Und dabei herrscht stets penible Ordnung im systematischen Caos. Und seine Gitarre spielt er mal metal-mäßig aggressiv oder lässt es abstrakt wie Morsezeichen durch die Trommelwirbel pfeifen („The Errors“), oder er jagt die Linien mit unendlichem Sustain zur Saaldecke.
Wespenschwarm im Crescendo
Wie ein Wespenschwarm im Crescendo erklingt die achtköpfige Truppe („Radical Action III“, „Larks‘ Tongues in Aspic, Part Five“), durch das helles Glockenspiel erklingt und die Rockriffs sich immer weiter hochpeitschen. Danach wird es Zeit für eine Ballade. Bei „Islands“ muss Collins, wie so oft, immer wieder die Instrumente wechseln. Von der Baritonquerflöte zum Tenorsaxofon zum Sopran, und er ist so glänzend mit dem, was er da macht. Sein Solo über die schneeflockenleichten Pianoparts sind Balsam für die Ohren. Doch vor der Pause lässt Fripp nochmal ein paar schräge Läufe aufs Publikum nieder, Sounds aus einer dunklen Welt: „Larks‘ Tongues in Aspic (Part IV)“
Das Zusammenspiel der Band ist einzigartig und fordert ganz offensichtlich höchste Konzentration. Die drei Drums sind immer wieder faszinierend aufeinander eingespielt, mal synchron, mal ganz leicht versetzt, mal spielen sie gegenläufig oder unterstützen den Hauptdrummer. Levin ist mit seinem Bass oder dem Chapman Stick sowas wie der Redwoodbaum. Ruhig und fest verwurzelt in seinem Spiel („Devil Dogs of Tessellation Row, Indiscipline“) sorgt er für Standhaftigkeit und Orientierung. Und was für einen Sound der Mann hat!
Freejazzig beginnt „ The ConstruKction of Light” und entwickelt sich zu einer Art Horrornacht im Kinderzimmer. Auch das hat Fripp drauf: das Spiel mit Bedrohung, Angst, Schönheit, Harmonie, Zerstörung, mit Erinnerung und Déja vus (wie etwa beim Bolerohaften „Lizard“). Er schafft Soundkonzepte, die so verwinkelt sind, so waghalsig konstruiert, dass man den Atem anhält und einfach nur lachen muss, wenn er so spielerisch alles wieder auflöst. Diese Musik spielt sich nicht nur im Kopf ab, man hat das Gefühl, sie zu schmecken.
Es geht psychedelisch zu („Easy Money“), rasant wie bei einer Verfolgungsjagd („Larks‘ Tongues in Aspic, Part II“) oder einfach nur schön („Epitaph“, „Starless“). King Crimson sind eben immer noch eine der einzigartigsten Bands unserer Zeit. Am Ende des fast dreistündigen Konzertes empfindet man einfach nur Dankbarkeit und Glück.