Warum der dritte Abend des Crossroads Festivals des WDR Rockpalasts in der Harmonie Bonn kaum noch zu toppen ist. Morgane Ji und Vanja Sky beeindrucken mit ihren Bands.
Von Dylan C. Akalin
Ihre Musik ist ein berückendes Kaleidoskop aus imponierenden Klangfarben, berauschenden Rhythmen, rätselhaft poppigen Melodien und immer wieder überraschenden auditiven Impressionen. Morgane Ji und ihre musikalische Welt ist so vielfältig wie ihre Heimat, die Insel La Réunion, mitten im Indischen Ozean. Ich denke an die Bambusbäume, die sich wie mit Fäden behangene Fabelwesen im feuchtwarmen Wind wiegen, an feuerrot blühende Flamboyantbäume, die die grüne Kulisse mit ihrer flimmernden Farbenpracht betupfen, die Litschibäume mit ihren rostbraun-roten Früchten, die Hänge der über und über bewachsenen vulkanischen Bergfalten, an die Hochebenen von Saint-Philippe und Sainte-Rose, wo die Wälder Bébour und Bélouve mit ihrer Vielfalt überraschen, an die Takamaka-Wälder, Flechten, Olivenholz, Orchideen und Mispeln. Es ist genau diese kulturelle Promiskuität und die mysteriöse Philosophie der Vielfalt, die sich in ihrer fesselnden Musik widerspiegelt.
Und eine beeindruckende Erscheinung ist die Künstlerin auch, die dasteht wie eine mystische Kriegerin, behängt mit Perlen, Silber, Damast-Paspeln, Ketten und Armreifen. Auch wenn der Start wie eine spacige Mischung aus Artrock und Worldmusic anmutet, ist „Radio On“ ein tanzbarer Ohrwurm. Ihr Banjo-Sound entspricht eh nicht der Norm und tritt nur selten in dieser charakteristisch knackig-scheppernden Art auf, wirklich auffallend eigentlich nur bei der Ballade „My Lady“. In „Better Bend Than Break“, gewidmet all den Flüchtenden der Welt, lässt sich ihr Klang nur elektronisch verfremdet aus der Dichtigkeit des Gesamtsounds wahrnehmen. Bei „Time Bomb“ klingt sie eher nach Steeldrum, während die sensationelle Gitarre von Eric Laplean uns aus dem Gebräu aus Rock, Pop, World in eine neue Dimension des Artrock eines Steve Hackett hinausfliegt. Man wird schier trunken vor Glücksgefühlen, die diese schleierhaften Klangwelten auslösen.
Bei praktisch jedem Song gibt es neue Nuancen, abweichende Strukturen zu entdecken. „Homo Sapiens“ beginnt wie „Kashmir“ von Led Zeppelin, nicht nur, weil Laplean den Bogen an seine Gitarrensaiten ansetzt, sondern rockig-orchestrale Sounds erzeugt. Gesänge wie von einem Himba Tribe Song treffen auf Space-Rock. Die Drums von Nogan Cornebert haben die ekstatische Kraft eines indigenen Trommlers, zwischendurch scheint ein australischer Aborigine die Maultrommel zu spielen, und der französische Text tut sein Übriges, um uns zu betören.
Die kraftvollen Trommeln bei „Woman Soldier“ werden vom Bass ordentlich unterstützt. Überhaupt ist Olivier Carole an seinem fünfsaitigen E-Bass eine sichere Bank, wenn es darum geht, unterschiedliche Soundeffekte zu betonen. Sein Solo, das ganz leise beginnt, zeigt, wie viele Ausdrucksmöglichkeiten er beherrscht. Das Urteil ist eindeutig: Es ist der bislang beeindruckendste und nachhaltigste Auftritt beim Crossroads Festival. Auch die Harmonie-Programmchefs Bert Jakwerth und Wolfgang Koll bestätigen: „Sowas hat es in unserem Club noch nie gegeben.“
Vanja Sky
Überhaupt weicht dieser dritte Crossroads-Abend von vielen ab: Wir hören praktisch zwei komplette Sets. Beide Band liefern gut anderthalbstündige Gigs ab. Zuvor auch Vanja Sky mit ihrer Band, bestehend aus Robert Wendt und Günther Haas an den Gitarren, Artjom Feldtser am Bass und Sebastian Harder am Schlagzeug. Für zwei Stücke kam zudem Gitarrist Krissy Matthews als Special Guest hinzu. Und auch hier gibt es am Auftritt nichts zu mäkeln.
Natürlich bringt Krissy Matthews bei seinem Einsatz bei den Stücken „Don’t Forget To Rock’n’Roll“ und dem Rory Gallagher-Cover „Shadow Play“ fulminante Gitarrenmomente auf die Bühne. Wirklich angetan hat es mir aber Günther Haas, der ausschaut, als wolle er in seine Fender kriechen. Vielleicht ist es, dass Haas nicht immer das spielt, was man gerade erwartet, was ihn so interessant macht. Es ist aber auch sein ausgezeichneter Sound und seine Empathie, gepaart mit einer gewissen Eigenheit, die aus seinen Solos spricht. Bei „Voodoo Mama“, was Vanja in ihrem tollen Gesang mit dämonischen Lachern vervollkommnet, spielt er eine ziemlich psychedelische Einlage, bei „Hard Working Woman“ beginnt er seine Improvisation wie eine Mundharmonika. Zum Bee Gee-Cover verweigert er praktisch eine herzzerreißende Einlage und gibt sich mit einem ziemlich clean gehaltenen Sound als trockener Liebesverweigerer. Das ist schon ein geiler Typ! Mich wundert nicht, dass er von vielen Künstlern angeheuert wird, darunter Udo Lindenberg, Cyndi Lauper und Scotty Moore.
Robert Wendt setzt da sowas wie einen Gegenpart. Mit seinen meistens Slide gespielter Gitarre holt er auch mal einen warmen Nashville-Sound in die Band, was besonders bei „Hard Times“ zur Geltung kommt.
Vanja Sky hat sich seit ihrem Blues-Caravan-Auftritt vor vier Jahren zu einer selbstbewussten Entertainerin entwickelt. Sie weiß genau, wie sie das Publikum anheizt, und ihre Eigenkompositionen wie die Arrangements der Cover-Songs zeugen von einem sicheren Gespür für Spannung, Dramatik und Unterhaltung. Ihre rauchige, tiefe Stimme will manchmal gar nicht zu der zierlichen Person mit dem vielen Glitzer im Gesicht passen. Die Band präsentiert einen überaus radiotauglichen Bluesrock.
Als sie „Simple Man“ von Lynyrd Skynyrd als großes Finale ankündigt, hatte sie nicht zu viel versprochen. Der Song kommt so hymnisch rüber, wie er muss. Während Haas jeden Ton aus seiner Gitarre zu modellieren scheint, spielt Wendt hier sein bestes Solo des Abends. Bei der Zugabe des vielgecoverten R&B-Songs „I Don’t Need No Doctor“ beeindruckt Vanja mit einer überaus facettenreichen Stimme, beginnend mit einem operettenhaften Gesang singt sie an einer anderen Stelle mit einer Stimmfarbe von ganz hoher Kopfstimme bis zu tiefer Bruststimme – offenbar mit Leichtigkeit. Ein ganz starker Abend, der kaum zu toppen ist.