Kamasi Washington spielt in der Kölner Live Music Hall. Viele tanzen. Jazz mit modernem Anstrich. Politisch, ausgelassen, emotional. Ein unglaublicher Abend.
Von Dylan Cem Akalin
21 Minuten dauert der Auftakt, die Verkündigung, das Statement voller Ausbrüche. Das Thema, fast etwas schleppend, etwas orientalisch, voller afrikanischer Rhythmen, krümmt sich in der schwülen Luft der Live Music Hall, während Kamasi Washington im Zentrum der Bühne steht, fast unbeweglich, unerschütterlich wie ein Berg, stolz wie ein Eroberer. Er trägt eine afrikanische Kutte mit dazugehöriger Mütze, die tief über den Ohren sitzt. Als er das erste Mal die Augen schließt, beginnt Ryan Porter sein Posaunensolo auf „Change of the Guard“. Ein episches Stück über den Wächter eines Tores in den Bergen, gegen den junge Krieger antreten. (siehe auch Interview, Konzert Liège)
Trotzige Wildheit
Die Geschichte darf durchaus metaphorisch verstanden werden, denn gleichzeitig geht es in dem Stück um die Überwindung von Konventionen, um die eigene Rolle der jungen Musiker in der Geschichte des Jazz, deren Traditionen gehütet werden von einer Handvoll einflussreicher Jazzer. Das Stück ist aber auch eine Verbeugung vor der Leistung der großartigen Musiker, die den Jazz in den vergangenen Jahrzehnten weiterentwickelt haben. Und so dringt immer wieder ein fast traditionelles Jazzthema durch das Stück, in dem jeder Musiker seine eigene Haltung unmissverständlich klar macht. Porter explodiert förmlich, die körperliche Anstrengung ist ihm anzumerken, sein Spiel folgt den Regeln einer wilden Rede. Die Sätze, die aus seiner roten Posaune manchmal mit einer fast trotzigen Wildheit tönen, ändern Duktus und Ausdruck, stocken mal, stolpern aufgeregt, dann schießen sie in eigenwilliger Entschlossenheit nur so aus ihm heraus.
Guerillero des Jazz
Wie ein überlegener Krieger lenkt Kamasi Washington die Truppe mit einem Wink wieder in ruhige Zurückhaltung. Sein Saxofon spielt er mit einer melodischen Sanftheit, in der Bluesstrukturen erkennbar sind. Dann wirft er Fetzen von Phrasen hin, im Staccato wie Gewehrsalven spukt er sie aus seinem Instrument. Die Band folgt seinem Rhythmus mit treuer Gefolgschaft. Die Sanftheit bleibt nicht lange. Kamasi wird zum Einpeitscher. So standhaft er die Mitte der Bühne beherrscht, so beharrlich steigert er seine wütenden Eskapaden. Das Stück entwickelt sich in ein psychedelisches Jazzrockwerk, in das Miles Mosley nur zu gerne einsteigt mit seinem Bass. Zunächst bearbeitet er die dicken Saiten mit dem Bogen, als wollte er sein Instrument zersägen. Der Guerillero des Jazz hat Effektgeräte angeschlossen, er schlägt auf den Akustikbass ein, als wäre es eine E-Gitarre, die wah-wah-verzerrten Töne funkeln im Hip-Hop-Rhythmus, die Finger rasen in Metal-Manier über die Bünde. Mosley schaufelt Rockriffs ins Publikum wie ein Lokführer Kohlen in die Dampfmaschine. Bis die Bläser wieder ansetzen und, das Stück, begleitet von metallischen Keyboardklängen, wieder zurück zum Hafen führen. Frenetischer Applaus.
So in diesem Stil geht der Abend weiter. Wechselbäder der Gefühle. „Malcolm’s Theme“, zu dem Kamasis Vater Rickey Washington ein klares Querflötenintro spielt, kommt wie ein Flächenbrand übers Publikum. Ein Ausschrei, eine Klage, ein Gebet, politische Agitation und Theater. Ein Trauermarsch. Und Patrice Quinn, die dauertanzende Diva in der Band, singt, schreit und weint ihren Zorn und ihre Hoffnung aus der tiefsten Seele.
Hymnisch und emotional
„Giant Feelings“ von Brandon Coleman („The man is bad!“) bringt emotionale Entspannung. Der Keyboarder spielt und singt seine Komposition in der Tradition eines George Duke, mit ungeheurer Virtuosität und Sinn für Sounds. Mit 17 Minuten Länge das kürzeste Stück des Abends – sieht man mal von dem zwölfminütigen Schlagzeugduell von Ronald Bruner, Jr. und Tony Austin ab.
„Truth“, kündigt Kamasi an, sei „eine Hommage an uns selbst“. Er sei als Musiker so viel unterwegs und begegne so unterschiedlichen Menschen und unterschiedlichen Kulturen und Religionen. „Diversität ist etwas wunderschönes, es ist ein Segen. Es ist etwas, das wir feiern sollten“, sagt er. Entsprechend besteht das Stück aus fünf Themen, die die Instrumente nach und nach anspielen. Fünf unterschiedliche Themen, die zusammengespielt keine Kakophonie, sondern eher so etwas wie ein harmonisches Chaos bilden und am Ende – es wird noch hymnisch emotional – in einen Strom fließen.
Mit “The Space Travelers Lullaby” und “Fists of Fury“ stellt Kamasi Washington im letzten Teil des mehr als zweistündigen Konzerts noch zwei Stücke aus seinem neuen Album „Heaven and Earth“ vor, das am 22. Juni erscheint. „We no longer ask for justice! Our time as victims is over!”, heißt es im letzten Stück, das scheppernd, lärmend und krachend daherkommt wie die Horden des Spartacus. Undiszipliniert und zu allem entschlossen.