Julian Sas – „Miles and Memories“: Ein Gitarren-Meisterwerk voller Leidenschaft und Authentizität

Mit „Miles and Memories“ feiert Julian Sas seine 30-jährige Karriere – und liefert ein Album, das tief im Blues-Rock verwurzelt ist. Mitreißende Gitarrensoli, ehrliche Texte und ein roher, kraftvoller Sound machen diese Platte zu einem Muss für Fans von Rory Gallagher & Co. Warum dieses Album so besonders ist.

Von Dylan C. Akalin

Was für eine göttliche Gitarre! Fantastisch gespielt, hervorragend produziert. Ein toller Sound! Mit „Miles and Memories“ liefert Julian Sas ein Album zu seiner nun 30-jährigen Musikerkarriere, ein Album, das tief in den Wurzeln des Blues-Rock verankert ist und zugleich eine sehr persönliche Note trägt. Der niederländische Gitarrist und Sänger, bekannt für seine energiegeladenen Live-Performances und seine emotionale Gitarrenarbeit, präsentiert hier eine Sammlung von Songs, die von Lebenserfahrungen, Verlust, Hoffnung und der unermüdlichen Suche nach einem Platz in der Welt erzählen. Die Texte handeln von Erinnerung, Schmerz und Durchhaltevermögen, während die Musik eine Hommage an den klassischen Blues-Rock darstellt.

Musikalische Atmosphäre & Stil

„Miles and Memories“ pendelt stilistisch zwischen klassischem Blues-Rock, Southern Rock und leichten psychedelischen Einflüssen. Sas setzt auf ein erdiges, analoges Klangbild – keine überproduzierten Soundwände, sondern roher, ehrlicher Rock, bei dem seine kraftvolle Gitarre und raue Stimme im Mittelpunkt stehen. Besonders beeindruckend ist sein dynamisches Spiel, das mit gefühlvollen Soli die Emotionen der Songs verstärkt.

Die Songs – Ein emotionales Roadmovie

Bereits der Opener „Miles and Memories“ gibt die Richtung vor: Eine Reise durch Erinnerungen und vergangene Erlebnisse, voller Nostalgie und Sehnsucht. Der Song trägt den klassischen Road-Trip-Vibe, den Sas mit warmen Gitarrenriffs und treibendem Rhythmus perfekt einfängt.

Die Zeile „The gas and miles are memories“ deutet darauf hin, dass die Straßen, die man bereist hat, und die Erlebnisse, die man gemacht hat, zu wertvollen Erinnerungen werden. Doch es klingt auch eine Sehnsucht nach „nach Hause kommen“ mit – möglicherweise im metaphorischen Sinn als Suche nach einem inneren Frieden oder einem Ort, an dem man sich wirklich zugehörig fühlt. Es ist nachvollziehbar, dass Julian zu diesem Anlass einmal zurückblickt. Blicke zurück, Erinnerungen an frühe Jahre der Jugend tragen immer etwas Melancholisches in sich. Das transportiert das Album wirklich perfekt.

Julian Sas im vergangenen November in der Harmonie Bonn FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

„Midst of Madness“ bringt eine dunklere, fast bedrohliche Atmosphäre ins Spiel. Der Text handelt von Verrat, falschen Freunden und der Verwirrung in einer Welt voller Lügen („Hiding another web of deceit and lies“) – ein Thema, das Sas mit eindringlichen Riffs und einem melancholischen Solo unterstreicht. Doch trotz all dem Wahnsinn gibt es Hoffnung: „These winds will open closed doors“, heißt es da einmal – es ergeben sich immer wieder neue Möglichkeiten, selbst wenn man sich gerade verloren fühlt.

Mit „Light Finds a Way“ kommt wieder ein Hauch von Optimismus ins Album. Der Song erinnert daran, dass auch in schweren Zeiten ein Licht am Ende des Tunnels existiert. Musikalisch balanciert er zwischen sanften Strophen und kraftvollen Refrains und gehört zu den Highlights der Platte.

„One Step Closer to Hell“

Eines der emotionalsten Stücke ist „One Step Closer to Hell“ – eine dunkle Ballade über das Ende einer Beziehung, in der Sas sein Herz auf der Zunge trägt. Die Gitarre klagt und weint förmlich, während der Text von unerfüllter Liebe und der Unfähigkeit, loszulassen, erzählt.

„Hiding Place“ ist einer der härtesten Songs des Albums – sowohl inhaltlich als auch musikalisch. Es geht um das Verlangen, sich vor der Welt zu verstecken, um die ewige Flucht vor den Schatten der Vergangenheit. Sas‘ Gitarrenspiel ist hier besonders roh und leidenschaftlich.

In „Getting Tougher Every Day“ verarbeitet er das Thema Durchhaltevermögen und Resilienz. Der Song vermittelt eine kämpferische Haltung und erinnert daran, dass man trotz aller Rückschläge weitermachen muss – ein klassisches Blues-Thema, das Sas mit kraftvollen Riffs und einer eingängigen Hook umsetzt.

„Kindred Spirits“ geht in eine introspektive Richtung und beschäftigt sich mit der tiefen Verbindung zwischen Menschen. Der Song ist atmosphärischer, fast verträumt, und zeigt eine sanftere Seite von Sas‘ Songwriting.

Den Abschluss bildet „Ain’t Comin’ Back“, ein Stück, das wie ein finales Statement klingt: Der Protagonist verabschiedet sich endgültig von seiner Vergangenheit und blickt nach vorne. Der Song hat eine fast hymnische Qualität und endet das Album auf einer kraftvollen Note.

Die Gitarre: Das wahre Herzstück des Albums

Was „Miles and Memories“ besonders macht, ist die Art, wie Julian Sas seine Gitarre einsetzt. Und seine Gitarre, darauf deutet schon die Gitarre hin, ist die Königin seiner Musik. Julian gehört zu den Musikern, die mit jedem Ton eine Geschichte zu erzählen wissen. Sein Spiel ist mal sanft und erzählerisch, mal aggressiv und druckvoll – immer jedoch voller Authentizität.

In Songs wie „One Step Closer to Hell“ oder „Midst of Madness“ lässt er seine Gitarre regelrecht jammern, die Soli sind langgezogen, intensiv und voller Schmerz. Besonders beeindruckend ist sein Vibrato, das an Rory Gallagher erinnert, sowie die Art, wie er mit wenigen Noten eine maximale Wirkung erzielt. „Light Finds a Way“ wiederum zeigt seine Fähigkeit, mit leichten, fließenden Licks eine hoffnungsvolle Atmosphäre zu kreieren.

Das Zusammenspiel von Rhythmus- und Lead-Gitarre ist hervorragend – die Riffs sind satt und druckvoll, die Soli dynamisch und nie übertrieben, aber immer wieder beeindruckend und fesselnd. Gerade in „Getting Tougher Every Day“ und „Hiding Place“ zeigt sich, dass Sas nicht nur ein guter Solist ist, sondern auch das Blues-typische Call-and-Response zwischen Gitarre und Gesang meisterhaft beherrscht.

Der Gesang: Rau, aber limitiert

Während Sas’ Gitarre auf höchstem Niveau spielt, bleibt sein Gesang indes etwas hinter den instrumentalen Qualitäten zurück. Seine Stimme ist rau und authentisch – eine wichtige Voraussetzung für Blues –, aber nicht besonders vielseitig. Vor allem in tiefen sowie In ruhigeren Passagen fehlt ihm manchmal die Tiefe und Ausdruckskraft, während er in druckvollen Stücken dazu neigt, sich in ein monotones Shouting zu verlieren.

Besonders in „Ain’t Comin’ Back“ und „Miles and Memories“ wird deutlich, dass er zwar mit Leidenschaft singt, aber nicht immer die emotionale Tiefe transportieren kann, die seine Gitarre so mühelos vermittelt. Es fehlt ihm die Nuancierung, die Joe Bonamassa oder Walter Trout sicher mehr mitbringen.

Stärken und Schwächen

„Miles and Memories“ ist ein authentisches, emotional aufgeladenes Album, das die Stärken von Julian Sas in voller Breite zeigt. Seine markante Stimme, sein gefühlvolles Gitarrenspiel und die ehrlichen, lebensnahen Texte machen die Platte zu einem intensiven Hörerlebnis. Der Niederländer spielt hier wieder in seiner bevorzugten Trio-Formation mit dem wunderbaren Edwin van Huik am Bass und Lars-Erik van Elzakker am Schlagzeug – zwei Rhythmusmaschinen, auf die er sich immer verlassen kann. Fans von Blues-Rock im Stil von Rory Gallagher oder Walter Trout werden hier voll auf ihre Kosten kommen.

Julian Sas beweist einmal mehr, dass er zu den großartigsten Blues-Gitarristen Europas gehört. Seine Stimme ist vielleicht seine Achillesverse: Sie passt zu Stücken mit rauer Blues-Ästhetik, aber im Vergleich zu seiner Gitarrenkunst wirkt sie bisweilen etwas eindimensional. Gitarrentechnisch aber ist dieses Album ein Meisterwerk.